Demokrit noch in Herodot incarnirt; aber auch in Aristoteles nicht, ge- schweige denn in unser einem: wer aber nicht bloss in dem stande des famuli Wagner beharren will, der muss sein subject in die schanze schlagen, nicht bloss auf die gefahr hin, sondern mit der sicheren zuversicht, im drang nach wahrheit jämmerlich zu irren.
ThukydidesNoch ehe das buch des Herodotos erschien und doch durch dieses angeregt fasste der junge Thukydides den plan, den entscheidungskampf um die herrschaft in Hellas, der eben begann, darzustellen. der grosse vorgänger hatte ihn gereizt, nicht es ihm nachzumachen, sondern es anders zu machen. ihm schien die weltgeschichte erst recht anzufangen; die herodoteische tragoedie erschien ihm als eine dichtung, gut genug für die erweckung erbaulicher hochgefühle an einem festtage, aber nicht als nahrung für den geist des handelnden mannes. über dem werke Hero- dots lag der verklärende schimmer der poesie: Thukydides wollte das licht und den schatten des tages festhalten. er vermeinte, dass des grossen nicht eben sehr viel übrig bliebe, wenn man jenen schimmer durch ruhige kritik der vergangenheit beseitigte: grossartig dagegen erschien ihm die cultur, die Athen besass und für die es stritt, deren sieg er erwartete. er selbst war ein nachkomme von barbaren zugleich und von Philaiden. weder der stolz des autochthonen noch der gegensatz gegen die Alkmeoniden noch die furcht vor tyrannen und Medern hat ihm irgendwie den blick getrübt. er fühlte sich als der moderne mensch einer neuen grossen welt. weder die novelle noch die sage wollte er gelten lassen. weder die götter noch die individuen, sondern die poli- tischen mächte sah er auf erden regieren, und ihre kämpfe wollte er beobachten und erzählen, minder um ihrer absoluten bedeutung willen, als zu nutz und frommen der künftigen politiker. das attische Reich war auch notwendig gewesen, damit Herodotos schriebe; aber er sah in ihm den abschluss der geschichte. für Thukydides war seine existenz die voraussetzung, denn politische geschichtsschreibung setzt einen wirk- lichen staat mit grossem politischem leben voraus. Thukydides fasste den plan zu seinem geschichtswerke, während er sich anschickte in die politische laufbahn einzutreten. Herodotos gehörte zu den anhängern des theoretikos bios. dass ein junger reicher Athener der herrschenden gesellschaft 432 die zeitgeschichte hat schreiben wollen, verdient in wahrheit sehr viel grössere bewunderung als die ausführung dieses planes, die der durch sein politisches geschick in den theoretikos bios hinab- gestossene nach 404 einigermassen geleistet hat. erst die unfreiwillige musse hat ihn dazu getrieben, mit den mitteln der neuen rhetorik ein
II. 1. Die quellen der griechischen geschichte.
Demokrit noch in Herodot incarnirt; aber auch in Aristoteles nicht, ge- schweige denn in unser einem: wer aber nicht bloſs in dem stande des famuli Wagner beharren will, der muſs sein subject in die schanze schlagen, nicht bloſs auf die gefahr hin, sondern mit der sicheren zuversicht, im drang nach wahrheit jämmerlich zu irren.
ThukydidesNoch ehe das buch des Herodotos erschien und doch durch dieses angeregt faſste der junge Thukydides den plan, den entscheidungskampf um die herrschaft in Hellas, der eben begann, darzustellen. der groſse vorgänger hatte ihn gereizt, nicht es ihm nachzumachen, sondern es anders zu machen. ihm schien die weltgeschichte erst recht anzufangen; die herodoteische tragoedie erschien ihm als eine dichtung, gut genug für die erweckung erbaulicher hochgefühle an einem festtage, aber nicht als nahrung für den geist des handelnden mannes. über dem werke Hero- dots lag der verklärende schimmer der poesie: Thukydides wollte das licht und den schatten des tages festhalten. er vermeinte, daſs des groſsen nicht eben sehr viel übrig bliebe, wenn man jenen schimmer durch ruhige kritik der vergangenheit beseitigte: groſsartig dagegen erschien ihm die cultur, die Athen besaſs und für die es stritt, deren sieg er erwartete. er selbst war ein nachkomme von barbaren zugleich und von Philaiden. weder der stolz des autochthonen noch der gegensatz gegen die Alkmeoniden noch die furcht vor tyrannen und Medern hat ihm irgendwie den blick getrübt. er fühlte sich als der moderne mensch einer neuen groſsen welt. weder die novelle noch die sage wollte er gelten lassen. weder die götter noch die individuen, sondern die poli- tischen mächte sah er auf erden regieren, und ihre kämpfe wollte er beobachten und erzählen, minder um ihrer absoluten bedeutung willen, als zu nutz und frommen der künftigen politiker. das attische Reich war auch notwendig gewesen, damit Herodotos schriebe; aber er sah in ihm den abschluſs der geschichte. für Thukydides war seine existenz die voraussetzung, denn politische geschichtsschreibung setzt einen wirk- lichen staat mit groſsem politischem leben voraus. Thukydides faſste den plan zu seinem geschichtswerke, während er sich anschickte in die politische laufbahn einzutreten. Herodotos gehörte zu den anhängern des ϑεωϱητικὸς βίος. daſs ein junger reicher Athener der herrschenden gesellschaft 432 die zeitgeschichte hat schreiben wollen, verdient in wahrheit sehr viel gröſsere bewunderung als die ausführung dieses planes, die der durch sein politisches geschick in den ϑεωϱητικὸς βίος hinab- gestoſsene nach 404 einigermaſsen geleistet hat. erst die unfreiwillige muſse hat ihn dazu getrieben, mit den mitteln der neuen rhetorik ein
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II. 1. Die quellen der griechischen geschichte.
Demokrit noch in Herodot incarnirt; aber auch in Aristoteles nicht, ge-
schweige denn in unser einem: wer aber nicht bloſs in dem stande des
famuli Wagner beharren will, der muſs sein subject in die schanze schlagen,
nicht bloſs auf die gefahr hin, sondern mit der sicheren zuversicht, im
drang nach wahrheit jämmerlich zu irren.
Noch ehe das buch des Herodotos erschien und doch durch dieses
angeregt faſste der junge Thukydides den plan, den entscheidungskampf
um die herrschaft in Hellas, der eben begann, darzustellen. der groſse
vorgänger hatte ihn gereizt, nicht es ihm nachzumachen, sondern es
anders zu machen. ihm schien die weltgeschichte erst recht anzufangen;
die herodoteische tragoedie erschien ihm als eine dichtung, gut genug für
die erweckung erbaulicher hochgefühle an einem festtage, aber nicht als
nahrung für den geist des handelnden mannes. über dem werke Hero-
dots lag der verklärende schimmer der poesie: Thukydides wollte das licht
und den schatten des tages festhalten. er vermeinte, daſs des groſsen
nicht eben sehr viel übrig bliebe, wenn man jenen schimmer durch
ruhige kritik der vergangenheit beseitigte: groſsartig dagegen erschien
ihm die cultur, die Athen besaſs und für die es stritt, deren sieg er
erwartete. er selbst war ein nachkomme von barbaren zugleich und von
Philaiden. weder der stolz des autochthonen noch der gegensatz gegen
die Alkmeoniden noch die furcht vor tyrannen und Medern hat ihm
irgendwie den blick getrübt. er fühlte sich als der moderne mensch
einer neuen groſsen welt. weder die novelle noch die sage wollte er
gelten lassen. weder die götter noch die individuen, sondern die poli-
tischen mächte sah er auf erden regieren, und ihre kämpfe wollte er
beobachten und erzählen, minder um ihrer absoluten bedeutung willen,
als zu nutz und frommen der künftigen politiker. das attische Reich war
auch notwendig gewesen, damit Herodotos schriebe; aber er sah in
ihm den abschluſs der geschichte. für Thukydides war seine existenz die
voraussetzung, denn politische geschichtsschreibung setzt einen wirk-
lichen staat mit groſsem politischem leben voraus. Thukydides faſste
den plan zu seinem geschichtswerke, während er sich anschickte in die
politische laufbahn einzutreten. Herodotos gehörte zu den anhängern
des ϑεωϱητικὸς βίος. daſs ein junger reicher Athener der herrschenden
gesellschaft 432 die zeitgeschichte hat schreiben wollen, verdient in
wahrheit sehr viel gröſsere bewunderung als die ausführung dieses planes,
die der durch sein politisches geschick in den ϑεωϱητικὸς βίος hinab-
gestoſsene nach 404 einigermaſsen geleistet hat. erst die unfreiwillige
muſse hat ihn dazu getrieben, mit den mitteln der neuen rhetorik ein
Thukydides
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/22>, abgerufen am 03.12.2024.
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