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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die provisorische verfassung von 403. Lysias rede 34.
schliessen. den antrag formulierte für diese partei Phormisios, und zwar
wollte er die politischen rechte an den grundbesitz binden; die demokratie
bediente sich wieder der feder des Lysias. sie hat gesiegt, und Sparta,
in dem die parteien des Pausanias und Lysandros selbst einen geheimen
krieg führten, hat sich dabei beruhigt, zumal Athen ihm die den Dreissig
vorgeschossenen gelder abzahlte und auch sonst botmässig blieb.

Das document, dem wir diese tatsachen verdanken, ist die rede desLysias rede
34.

Lysias, von der Dionysios ein grosses bruchstück gerettet hat (rede 34).
dieser lässt es unbestimmt, ob die rede wirklich gehalten sei, und
natürlich hat sie als pamphlet mindestens so stark gewirkt wie durch
den mund des sprechers. aber da sie sicherlich einer bestimmten person
in den mund gelegt ist (3), so haben wir keine veranlassung zu be-
zweifeln, dass es wirklich eine volksrede ist10): als schriftsteller konnte doch
nicht wol ein athenischer staatsmann mit fremdem kalbe pflügen. die rede
hat durch Usener (Fleckeisens Jahrb. 1873, 145), als er ihren urkund-
lichen text feststellte, auch eine geschichtliche erläuterung erfahren, die
nur noch in den zusammenhang eingereiht zu werden braucht. die
sophistik des redners dürfte freilich noch weiter gehn, als Usener an-
genommen hat.

Das volk, vor dem der redner steht, sind mit nichten die Athenaioi
apantes, für die er spricht. "ihr wisst dass unter den früheren oli-
garchien (d. i. 411 und 404) nicht die grundbesitzer die souveränetät
besassen (für die sie Phormisios beantragt), sondern viele von ihnen
getötet oder vertrieben wurden. diese hat der demos zurückgeführt
und hat euch eure souveränetät verliehen, selbst aber auf seinen anteil
an ihr verzichtet' (4). er erhebt die insinuation gegen die "für die
oligarchie kämpfenden", d. i. Phormisios, dass sie es in wahrheit auf
den besitz der leute, die er anredet, abgesehen hätten. das heisst so
viel, als dass die jetzt berechtigten, wenn Phormisios durchdränge, sehr
bald den besitz und mit dem natürlich die berechtigung verlieren würden.
er insinuirt, dass der antrag des Phormisios in wahrheit von den Lake-

10) E. Schwartz (Rh. Mus. 44, 625) verweist die rede vor die nomotheten, aber
die ausführungen Schölls, auf die er sich bezieht, zeigen gerade, dass kheirotonia
auch von der abstimmung des volkes über antrag und gegenantrag gebraucht wird,
und wie sollte es anders sein? dagegen konnte die anrede o andres Athenaioi und
die durchgehende identification der angeredeten versammlung mit dem volke einer
commission gegenüber nicht gebraucht werden, zumal von einem mitgliede derselben,
und den idiotai ist durch das gesetz des Teisamenos nur der zutritt zum rate aus-
nahmsweise gestattet.
v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 15

Die provisorische verfassung von 403. Lysias rede 34.
schlieſsen. den antrag formulierte für diese partei Phormisios, und zwar
wollte er die politischen rechte an den grundbesitz binden; die demokratie
bediente sich wieder der feder des Lysias. sie hat gesiegt, und Sparta,
in dem die parteien des Pausanias und Lysandros selbst einen geheimen
krieg führten, hat sich dabei beruhigt, zumal Athen ihm die den Dreiſsig
vorgeschossenen gelder abzahlte und auch sonst botmäſsig blieb.

Das document, dem wir diese tatsachen verdanken, ist die rede desLysias rede
34.

Lysias, von der Dionysios ein groſses bruchstück gerettet hat (rede 34).
dieser läſst es unbestimmt, ob die rede wirklich gehalten sei, und
natürlich hat sie als pamphlet mindestens so stark gewirkt wie durch
den mund des sprechers. aber da sie sicherlich einer bestimmten person
in den mund gelegt ist (3), so haben wir keine veranlassung zu be-
zweifeln, daſs es wirklich eine volksrede ist10): als schriftsteller konnte doch
nicht wol ein athenischer staatsmann mit fremdem kalbe pflügen. die rede
hat durch Usener (Fleckeisens Jahrb. 1873, 145), als er ihren urkund-
lichen text feststellte, auch eine geschichtliche erläuterung erfahren, die
nur noch in den zusammenhang eingereiht zu werden braucht. die
sophistik des redners dürfte freilich noch weiter gehn, als Usener an-
genommen hat.

Das volk, vor dem der redner steht, sind mit nichten die Ἀϑηναῖοι
ἅπαντες, für die er spricht. “ihr wiſst daſs unter den früheren oli-
garchien (d. i. 411 und 404) nicht die grundbesitzer die souveränetät
besaſsen (für die sie Phormisios beantragt), sondern viele von ihnen
getötet oder vertrieben wurden. diese hat der demos zurückgeführt
und hat euch eure souveränetät verliehen, selbst aber auf seinen anteil
an ihr verzichtet’ (4). er erhebt die insinuation gegen die “für die
oligarchie kämpfenden”, d. i. Phormisios, daſs sie es in wahrheit auf
den besitz der leute, die er anredet, abgesehen hätten. das heiſst so
viel, als daſs die jetzt berechtigten, wenn Phormisios durchdränge, sehr
bald den besitz und mit dem natürlich die berechtigung verlieren würden.
er insinuirt, daſs der antrag des Phormisios in wahrheit von den Lake-

10) E. Schwartz (Rh. Mus. 44, 625) verweist die rede vor die nomotheten, aber
die ausführungen Schölls, auf die er sich bezieht, zeigen gerade, daſs χειϱοτονία
auch von der abstimmung des volkes über antrag und gegenantrag gebraucht wird,
und wie sollte es anders sein? dagegen konnte die anrede ὦ ἄνδϱες Ἀϑηναῖοι und
die durchgehende identification der angeredeten versammlung mit dem volke einer
commission gegenüber nicht gebraucht werden, zumal von einem mitgliede derselben,
und den ἰδιῶται ist durch das gesetz des Teisamenos nur der zutritt zum rate aus-
nahmsweise gestattet.
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[225/0235] Die provisorische verfassung von 403. Lysias rede 34. schlieſsen. den antrag formulierte für diese partei Phormisios, und zwar wollte er die politischen rechte an den grundbesitz binden; die demokratie bediente sich wieder der feder des Lysias. sie hat gesiegt, und Sparta, in dem die parteien des Pausanias und Lysandros selbst einen geheimen krieg führten, hat sich dabei beruhigt, zumal Athen ihm die den Dreiſsig vorgeschossenen gelder abzahlte und auch sonst botmäſsig blieb. Das document, dem wir diese tatsachen verdanken, ist die rede des Lysias, von der Dionysios ein groſses bruchstück gerettet hat (rede 34). dieser läſst es unbestimmt, ob die rede wirklich gehalten sei, und natürlich hat sie als pamphlet mindestens so stark gewirkt wie durch den mund des sprechers. aber da sie sicherlich einer bestimmten person in den mund gelegt ist (3), so haben wir keine veranlassung zu be- zweifeln, daſs es wirklich eine volksrede ist 10): als schriftsteller konnte doch nicht wol ein athenischer staatsmann mit fremdem kalbe pflügen. die rede hat durch Usener (Fleckeisens Jahrb. 1873, 145), als er ihren urkund- lichen text feststellte, auch eine geschichtliche erläuterung erfahren, die nur noch in den zusammenhang eingereiht zu werden braucht. die sophistik des redners dürfte freilich noch weiter gehn, als Usener an- genommen hat. Lysias rede 34. Das volk, vor dem der redner steht, sind mit nichten die Ἀϑηναῖοι ἅπαντες, für die er spricht. “ihr wiſst daſs unter den früheren oli- garchien (d. i. 411 und 404) nicht die grundbesitzer die souveränetät besaſsen (für die sie Phormisios beantragt), sondern viele von ihnen getötet oder vertrieben wurden. diese hat der demos zurückgeführt und hat euch eure souveränetät verliehen, selbst aber auf seinen anteil an ihr verzichtet’ (4). er erhebt die insinuation gegen die “für die oligarchie kämpfenden”, d. i. Phormisios, daſs sie es in wahrheit auf den besitz der leute, die er anredet, abgesehen hätten. das heiſst so viel, als daſs die jetzt berechtigten, wenn Phormisios durchdränge, sehr bald den besitz und mit dem natürlich die berechtigung verlieren würden. er insinuirt, daſs der antrag des Phormisios in wahrheit von den Lake- 10) E. Schwartz (Rh. Mus. 44, 625) verweist die rede vor die nomotheten, aber die ausführungen Schölls, auf die er sich bezieht, zeigen gerade, daſs χειϱοτονία auch von der abstimmung des volkes über antrag und gegenantrag gebraucht wird, und wie sollte es anders sein? dagegen konnte die anrede ὦ ἄνδϱες Ἀϑηναῖοι und die durchgehende identification der angeredeten versammlung mit dem volke einer commission gegenüber nicht gebraucht werden, zumal von einem mitgliede derselben, und den ἰδιῶται ist durch das gesetz des Teisamenos nur der zutritt zum rate aus- nahmsweise gestattet. v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 15

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/235>, abgerufen am 25.11.2024.