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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 4. Die solonischen gedichte.
(10)" in das erste gedicht notwendig gehörte, würde sicher, dass Solon
zwei, dann notwendig kurz vor und nach einer katastrophe fallende ge-
dichte verfasst hätte. das mag man glauben; sicherheit ist nur so weit
zu erzielen, dass die beziehung auf die leibwache des Peisistratos (seine
Rumata), so nahe sie den alten erklärern lag, irrig ist. denn es handelt
sich überhaupt nicht um einen einzelnen, sondern um eine mehrheit
(toutous euxesate), die megaloi andres. die alten sind genötigt ge-
wesen von den Peisistratiden zu reden, ja es wird gar bei Diogenes ein
ganzer rat von Peisistratiden daraus. aber Hippias ist doch nicht vor
561 mitregent gewesen, und das geschlecht spielt vollends keine rolle,
sondern der einzelne stratege und demagoge. die solonische mahnung
geht auf die verhältnisse, von denen wir nur die allgemeine schilderung
der drei staseis und ihrer führer kennen. da herrscht in Athen weder
das gesetz noch der demos, sondern die gewalt der mächtigen männer.
diese kritik wird auf Damasias und schon vor ihm und nach ihm manches
jahr zugetroffen haben. wenn wir die gedichte Solons vollständig
besässen und die beamtenliste dazu, so würden wir die geschichte und
die beziehung der einzelnen verse zugleich feststellen können; so
müssen wir uns bescheiden, und nur froh sein, dass wir nicht genötigt
sind, diese gedichte fest auf 561/60 zu setzen. wie der steinalte Solon
damals sich verhielt, erzählt die chronik novellistisch: sie weiss von keinen
versen (oben I 261--65).

Unpolitische
gedichte
des alters.
Etwas kenntlicher wird seine unpolitische dichtung. er hat selbst
den gegensatz gefühlt und ausgesprochen. "jetzt, nämlich wo ich die
politik und die arbeit des erwerbslebens los bin, kann ich mich den ge-
nüssen des lebens, Aphrodite, Dionysos und den Musen hingeben (26)."10)
nur den besten bleiben die Musen bis ins alter treu, aber das noch
heute. dass Dionysos den greisen hold sein darf, ist uns schon nicht
so geläufig, aber dafür genügt es an Platons regeln peri methes in den
Gesetzen zu erinnern. noch mehr mag Aphrodite befremden, und an
das schwärmen im maimonde des lebens denkt freilich kaum jemand in
der ächthellenischen zeit. für den bürger, der einen hausstand gründet
und seine kinder erzieht und versorgt, ist die regel auch nicht gegeben:
das hat Solon nicht getan, von dem es keine descendenz gegeben hat.
aber die erscheinung, für die die Aspasia des Perikles, die Herpyllis des
Aristoteles, die Theoris des Sophokles benannte vertreterinnen sind, die

10) Gomperz (Wien. stud. II 7) hat den vers auch bei Philodem aufgezeigt
und mit wahrscheinlichkeit vermutet, dass er durch den Erotikos des Aristoteles in
die philosophische litteratur und zu Plutarch, der ihn liebt, gelangt ist.

III. 4. Die solonischen gedichte.
(10)” in das erste gedicht notwendig gehörte, würde sicher, daſs Solon
zwei, dann notwendig kurz vor und nach einer katastrophe fallende ge-
dichte verfaſst hätte. das mag man glauben; sicherheit ist nur so weit
zu erzielen, daſs die beziehung auf die leibwache des Peisistratos (seine
ῥύματα), so nahe sie den alten erklärern lag, irrig ist. denn es handelt
sich überhaupt nicht um einen einzelnen, sondern um eine mehrheit
(τούτους ηὐξήσατε), die μεγάλοι ἄνδϱες. die alten sind genötigt ge-
wesen von den Peisistratiden zu reden, ja es wird gar bei Diogenes ein
ganzer rat von Peisistratiden daraus. aber Hippias ist doch nicht vor
561 mitregent gewesen, und das geschlecht spielt vollends keine rolle,
sondern der einzelne stratege und demagoge. die solonische mahnung
geht auf die verhältnisse, von denen wir nur die allgemeine schilderung
der drei στάσεις und ihrer führer kennen. da herrscht in Athen weder
das gesetz noch der demos, sondern die gewalt der mächtigen männer.
diese kritik wird auf Damasias und schon vor ihm und nach ihm manches
jahr zugetroffen haben. wenn wir die gedichte Solons vollständig
besäſsen und die beamtenliste dazu, so würden wir die geschichte und
die beziehung der einzelnen verse zugleich feststellen können; so
müssen wir uns bescheiden, und nur froh sein, daſs wir nicht genötigt
sind, diese gedichte fest auf 561/60 zu setzen. wie der steinalte Solon
damals sich verhielt, erzählt die chronik novellistisch: sie weiſs von keinen
versen (oben I 261—65).

Unpolitische
gedichte
des alters.
Etwas kenntlicher wird seine unpolitische dichtung. er hat selbst
den gegensatz gefühlt und ausgesprochen. “jetzt, nämlich wo ich die
politik und die arbeit des erwerbslebens los bin, kann ich mich den ge-
nüssen des lebens, Aphrodite, Dionysos und den Musen hingeben (26).”10)
nur den besten bleiben die Musen bis ins alter treu, aber das noch
heute. daſs Dionysos den greisen hold sein darf, ist uns schon nicht
so geläufig, aber dafür genügt es an Platons regeln πεϱὶ μέϑης in den
Gesetzen zu erinnern. noch mehr mag Aphrodite befremden, und an
das schwärmen im maimonde des lebens denkt freilich kaum jemand in
der ächthellenischen zeit. für den bürger, der einen hausstand gründet
und seine kinder erzieht und versorgt, ist die regel auch nicht gegeben:
das hat Solon nicht getan, von dem es keine descendenz gegeben hat.
aber die erscheinung, für die die Aspasia des Perikles, die Herpyllis des
Aristoteles, die Theoris des Sophokles benannte vertreterinnen sind, die

10) Gomperz (Wien. stud. II 7) hat den vers auch bei Philodem aufgezeigt
und mit wahrscheinlichkeit vermutet, daſs er durch den Erotikos des Aristoteles in
die philosophische litteratur und zu Plutarch, der ihn liebt, gelangt ist.
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[312/0322] III. 4. Die solonischen gedichte. (10)” in das erste gedicht notwendig gehörte, würde sicher, daſs Solon zwei, dann notwendig kurz vor und nach einer katastrophe fallende ge- dichte verfaſst hätte. das mag man glauben; sicherheit ist nur so weit zu erzielen, daſs die beziehung auf die leibwache des Peisistratos (seine ῥύματα), so nahe sie den alten erklärern lag, irrig ist. denn es handelt sich überhaupt nicht um einen einzelnen, sondern um eine mehrheit (τούτους ηὐξήσατε), die μεγάλοι ἄνδϱες. die alten sind genötigt ge- wesen von den Peisistratiden zu reden, ja es wird gar bei Diogenes ein ganzer rat von Peisistratiden daraus. aber Hippias ist doch nicht vor 561 mitregent gewesen, und das geschlecht spielt vollends keine rolle, sondern der einzelne stratege und demagoge. die solonische mahnung geht auf die verhältnisse, von denen wir nur die allgemeine schilderung der drei στάσεις und ihrer führer kennen. da herrscht in Athen weder das gesetz noch der demos, sondern die gewalt der mächtigen männer. diese kritik wird auf Damasias und schon vor ihm und nach ihm manches jahr zugetroffen haben. wenn wir die gedichte Solons vollständig besäſsen und die beamtenliste dazu, so würden wir die geschichte und die beziehung der einzelnen verse zugleich feststellen können; so müssen wir uns bescheiden, und nur froh sein, daſs wir nicht genötigt sind, diese gedichte fest auf 561/60 zu setzen. wie der steinalte Solon damals sich verhielt, erzählt die chronik novellistisch: sie weiſs von keinen versen (oben I 261—65). Etwas kenntlicher wird seine unpolitische dichtung. er hat selbst den gegensatz gefühlt und ausgesprochen. “jetzt, nämlich wo ich die politik und die arbeit des erwerbslebens los bin, kann ich mich den ge- nüssen des lebens, Aphrodite, Dionysos und den Musen hingeben (26).” 10) nur den besten bleiben die Musen bis ins alter treu, aber das noch heute. daſs Dionysos den greisen hold sein darf, ist uns schon nicht so geläufig, aber dafür genügt es an Platons regeln πεϱὶ μέϑης in den Gesetzen zu erinnern. noch mehr mag Aphrodite befremden, und an das schwärmen im maimonde des lebens denkt freilich kaum jemand in der ächthellenischen zeit. für den bürger, der einen hausstand gründet und seine kinder erzieht und versorgt, ist die regel auch nicht gegeben: das hat Solon nicht getan, von dem es keine descendenz gegeben hat. aber die erscheinung, für die die Aspasia des Perikles, die Herpyllis des Aristoteles, die Theoris des Sophokles benannte vertreterinnen sind, die Unpolitische gedichte des alters. 10) Gomperz (Wien. stud. II 7) hat den vers auch bei Philodem aufgezeigt und mit wahrscheinlichkeit vermutet, daſs er durch den Erotikos des Aristoteles in die philosophische litteratur und zu Plutarch, der ihn liebt, gelangt ist.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/322>, abgerufen am 24.11.2024.