Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.III. 9. Die rede für Polystratos. wahrheit verhielt es sich wol so, dass die ankläger von dem zahlungs-fähigen alten manne noch mehr herauszuschlagen hofften12), am liebsten als abfindungssumme. aber auch bei den richtern konnte sich die rück- sicht auf die leeren staatscassen sehr leicht mit der demokratischen rach- sucht vereinigen. Als dieser process zur verhandlung kam, war die demokratische 12) Wenigstens wird diese insinuation ziemlich unverblümt vorgetragen, 7. 10. 17. und als einmal ein anständiger mann sich bei Lysias eine rede bestellt hat, hat der radicale advocat selbst das treiben seiner parteigenossen gezeichnet 25, 25. bei- läufig, es steht nun fest, dass diese rede aus den monaten mai/juni 400 ist, ganz wie Blass vermutet hatte. die jahreszeit folgt daraus, dass es sich um eine dokimasie handelt. der terminus post quem ist die eroberung von Eleusis, die eben unter Xenainetos 401/0 fällt (Ar. 40, 4). an das folgende jahr kann man wol nicht denken: in den processen des Sokrates und Andokides weht ein ganz anderer wind. 13) § 16 und 17 autos auto eunoustatos estin o demos, mit absicht mehr- deutig gesagt, so dass man nicht erkennt, ob die volle demokratie schon in kraft getreten ist oder erst beschlossen. das decret, das jeden umsturzversuch verfehmt, ist in der ersten prytanie des neuen jahres gefasst, Andok. I 96; (wenn der rat diesmal nicht wie im vorjahre schon vor jahresanfang antrat: das wird dadurch wahrscheinlich, dass nicht nach dem archon datirt wird): aber die demokratische hochflut musste schon da sein, als die demen und phylen diese candidaten für die auslosung praesentirten. 14) Die heldentat des jüngsten sohnes, 28, setzt eine bedrohung der stadt
voraus, genau wie sie Xenoph. Hell. I 1, 33 für das frühjahr 410 beschreibt. die zeugen für die haltung des ältesten im Hellespont müssen mit Thrasyllos nach dem zweiten treffen bei Kynossema heimgekehrt sein (Xen. Hell. I 1, 9). vielleicht kann hier die conjectur eine geschichtliche tatsache entdecken. es ist überliefert oi su- strateusamenoi oitines enthade ontes ete en Ellesponto. das ist unerträglich, denn niemand sagt so für oitines en Ellesponto genomenoi enthade este. ich denke, das war oitines meta Leontos ete en Ellesponto. der stratege Leon war in Samos während des sommers (Thuk. 8, 73); was er weiter getan hat, ist nicht überliefert. -- dass man den handel des Polystratos noch weiter herunterrückt, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die erfolge des Alkibiades und die dadurch ganz veränderte stimmung nirgend zu spüren sind. III. 9. Die rede für Polystratos. wahrheit verhielt es sich wol so, daſs die ankläger von dem zahlungs-fähigen alten manne noch mehr herauszuschlagen hofften12), am liebsten als abfindungssumme. aber auch bei den richtern konnte sich die rück- sicht auf die leeren staatscassen sehr leicht mit der demokratischen rach- sucht vereinigen. Als dieser proceſs zur verhandlung kam, war die demokratische 12) Wenigstens wird diese insinuation ziemlich unverblümt vorgetragen, 7. 10. 17. und als einmal ein anständiger mann sich bei Lysias eine rede bestellt hat, hat der radicale advocat selbst das treiben seiner parteigenossen gezeichnet 25, 25. bei- läufig, es steht nun fest, daſs diese rede aus den monaten mai/juni 400 ist, ganz wie Blaſs vermutet hatte. die jahreszeit folgt daraus, daſs es sich um eine dokimasie handelt. der terminus post quem ist die eroberung von Eleusis, die eben unter Xenainetos 401/0 fällt (Ar. 40, 4). an das folgende jahr kann man wol nicht denken: in den processen des Sokrates und Andokides weht ein ganz anderer wind. 13) § 16 und 17 αὐτὸς αὑτῷ εὐνούστατός ἐστιν ὁ δῆμος, mit absicht mehr- deutig gesagt, so daſs man nicht erkennt, ob die volle demokratie schon in kraft getreten ist oder erst beschlossen. das decret, das jeden umsturzversuch verfehmt, ist in der ersten prytanie des neuen jahres gefaſst, Andok. I 96; (wenn der rat diesmal nicht wie im vorjahre schon vor jahresanfang antrat: das wird dadurch wahrscheinlich, daſs nicht nach dem archon datirt wird): aber die demokratische hochflut muſste schon da sein, als die demen und phylen diese candidaten für die auslosung praesentirten. 14) Die heldentat des jüngsten sohnes, 28, setzt eine bedrohung der stadt
voraus, genau wie sie Xenoph. Hell. I 1, 33 für das frühjahr 410 beschreibt. die zeugen für die haltung des ältesten im Hellespont müssen mit Thrasyllos nach dem zweiten treffen bei Kynossema heimgekehrt sein (Xen. Hell. I 1, 9). vielleicht kann hier die conjectur eine geschichtliche tatsache entdecken. es ist überliefert οἱ συ- στϱατευσάμενοι οἵτινες ἐνϑάδε ὄντες ἦτε ἐν Ἑλλησπόντῳ. das ist unerträglich, denn niemand sagt so für οἵτινες ἐν Ἑλλησπόντῳ γενόμενοι ἐνϑάδε ἐστέ. ich denke, das war οἵτινες μετὰ Λέοντος ἦτε ἐν Ἑλλησπόντῳ. der stratege Leon war in Samos während des sommers (Thuk. 8, 73); was er weiter getan hat, ist nicht überliefert. — daſs man den handel des Polystratos noch weiter herunterrückt, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die erfolge des Alkibiades und die dadurch ganz veränderte stimmung nirgend zu spüren sind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0371" n="361"/><fw place="top" type="header">III. 9. Die rede für Polystratos.</fw><lb/> wahrheit verhielt es sich wol so, daſs die ankläger von dem zahlungs-<lb/> fähigen alten manne noch mehr herauszuschlagen hofften<note place="foot" n="12)">Wenigstens wird diese insinuation ziemlich unverblümt vorgetragen, 7. 10. 17.<lb/> und als einmal ein anständiger mann sich bei Lysias eine rede bestellt hat, hat der<lb/> radicale advocat selbst das treiben seiner parteigenossen gezeichnet 25, 25. bei-<lb/> läufig, es steht nun fest, daſs diese rede aus den monaten mai/juni 400 ist, ganz wie<lb/> Blaſs vermutet hatte. die jahreszeit folgt daraus, daſs es sich um eine dokimasie<lb/> handelt. der terminus post quem ist die eroberung von Eleusis, die eben unter<lb/> Xenainetos 401/0 fällt (Ar. 40, 4). an das folgende jahr kann man wol nicht denken:<lb/> in den processen des Sokrates und Andokides weht ein ganz anderer wind.</note>, am liebsten<lb/> als abfindungssumme. aber auch bei den richtern konnte sich die rück-<lb/> sicht auf die leeren staatscassen sehr leicht mit der demokratischen rach-<lb/> sucht vereinigen.</p><lb/> <p>Als dieser proceſs zur verhandlung kam, war die demokratische<lb/> strömung schon völlig herrschend, die vielbelobte herrschaft der 5000<lb/> wenigstens im prinzipe überwunden.<note place="foot" n="13)">§ 16 und 17 αὐτὸς αὑτῷ εὐνούστατός ἐστιν ὁ δῆμος, mit absicht mehr-<lb/> deutig gesagt, so daſs man nicht erkennt, ob die volle demokratie schon in kraft<lb/> getreten ist oder erst beschlossen. das decret, das jeden umsturzversuch verfehmt,<lb/> ist in der ersten prytanie des neuen jahres gefaſst, Andok. I 96; (wenn der rat<lb/> diesmal nicht wie im vorjahre schon vor jahresanfang antrat: das wird dadurch<lb/> wahrscheinlich, daſs nicht nach dem archon datirt wird): aber die demokratische<lb/> hochflut muſste schon da sein, als die demen und phylen diese candidaten für die<lb/> auslosung praesentirten.</note> dafür aber waren die drei söhne<lb/> des Polystratos aus dem felde in die winterquartiere heimgekehrt, der<lb/> älteste aus dem Hellespont, also nach den erfolgen des Thrasyllos. es<lb/> wird also im frühling 410 gewesen sein.<note place="foot" n="14)">Die heldentat des jüngsten sohnes, 28, setzt eine bedrohung der stadt<lb/> voraus, genau wie sie Xenoph. Hell. I 1, 33 für das frühjahr 410 beschreibt. die<lb/> zeugen für die haltung des ältesten im Hellespont müssen mit Thrasyllos nach dem<lb/> zweiten treffen bei Kynossema heimgekehrt sein (Xen. Hell. I 1, 9). vielleicht kann<lb/> hier die conjectur eine geschichtliche tatsache entdecken. es ist überliefert οἱ συ-<lb/> στϱατευσάμενοι οἵτινες ἐνϑάδε ὄντες ἦτε ἐν Ἑλλησπόντῳ. das ist unerträglich,<lb/> denn niemand sagt so für οἵτινες ἐν Ἑλλησπόντῳ γενόμενοι ἐνϑάδε ἐστέ. ich<lb/> denke, das war οἵτινες μετὰ Λέοντος ἦτε ἐν Ἑλλησπόντῳ. der stratege Leon war<lb/> in Samos während des sommers (Thuk. 8, 73); was er weiter getan hat, ist nicht<lb/> überliefert. — daſs man den handel des Polystratos noch weiter herunterrückt, ist<lb/> schon deshalb unwahrscheinlich, weil die erfolge des Alkibiades und die dadurch<lb/> ganz veränderte stimmung nirgend zu spüren sind.</note> die söhne liefen gefahr, statt<lb/> eines beträchtlichen erbteils die bürgerliche ehrlosigkeit des vaters erben<lb/> zu müssen und vielleicht ohne jeden persönlichen grund als volksfeinde<lb/> für immer gebrandmarkt zu werden. so versuchten sie den vater zu<lb/> retten, und der mittelste führte das wort, da er als einer der wenigen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [361/0371]
III. 9. Die rede für Polystratos.
wahrheit verhielt es sich wol so, daſs die ankläger von dem zahlungs-
fähigen alten manne noch mehr herauszuschlagen hofften 12), am liebsten
als abfindungssumme. aber auch bei den richtern konnte sich die rück-
sicht auf die leeren staatscassen sehr leicht mit der demokratischen rach-
sucht vereinigen.
Als dieser proceſs zur verhandlung kam, war die demokratische
strömung schon völlig herrschend, die vielbelobte herrschaft der 5000
wenigstens im prinzipe überwunden. 13) dafür aber waren die drei söhne
des Polystratos aus dem felde in die winterquartiere heimgekehrt, der
älteste aus dem Hellespont, also nach den erfolgen des Thrasyllos. es
wird also im frühling 410 gewesen sein. 14) die söhne liefen gefahr, statt
eines beträchtlichen erbteils die bürgerliche ehrlosigkeit des vaters erben
zu müssen und vielleicht ohne jeden persönlichen grund als volksfeinde
für immer gebrandmarkt zu werden. so versuchten sie den vater zu
retten, und der mittelste führte das wort, da er als einer der wenigen
12) Wenigstens wird diese insinuation ziemlich unverblümt vorgetragen, 7. 10. 17.
und als einmal ein anständiger mann sich bei Lysias eine rede bestellt hat, hat der
radicale advocat selbst das treiben seiner parteigenossen gezeichnet 25, 25. bei-
läufig, es steht nun fest, daſs diese rede aus den monaten mai/juni 400 ist, ganz wie
Blaſs vermutet hatte. die jahreszeit folgt daraus, daſs es sich um eine dokimasie
handelt. der terminus post quem ist die eroberung von Eleusis, die eben unter
Xenainetos 401/0 fällt (Ar. 40, 4). an das folgende jahr kann man wol nicht denken:
in den processen des Sokrates und Andokides weht ein ganz anderer wind.
13) § 16 und 17 αὐτὸς αὑτῷ εὐνούστατός ἐστιν ὁ δῆμος, mit absicht mehr-
deutig gesagt, so daſs man nicht erkennt, ob die volle demokratie schon in kraft
getreten ist oder erst beschlossen. das decret, das jeden umsturzversuch verfehmt,
ist in der ersten prytanie des neuen jahres gefaſst, Andok. I 96; (wenn der rat
diesmal nicht wie im vorjahre schon vor jahresanfang antrat: das wird dadurch
wahrscheinlich, daſs nicht nach dem archon datirt wird): aber die demokratische
hochflut muſste schon da sein, als die demen und phylen diese candidaten für die
auslosung praesentirten.
14) Die heldentat des jüngsten sohnes, 28, setzt eine bedrohung der stadt
voraus, genau wie sie Xenoph. Hell. I 1, 33 für das frühjahr 410 beschreibt. die
zeugen für die haltung des ältesten im Hellespont müssen mit Thrasyllos nach dem
zweiten treffen bei Kynossema heimgekehrt sein (Xen. Hell. I 1, 9). vielleicht kann
hier die conjectur eine geschichtliche tatsache entdecken. es ist überliefert οἱ συ-
στϱατευσάμενοι οἵτινες ἐνϑάδε ὄντες ἦτε ἐν Ἑλλησπόντῳ. das ist unerträglich,
denn niemand sagt so für οἵτινες ἐν Ἑλλησπόντῳ γενόμενοι ἐνϑάδε ἐστέ. ich
denke, das war οἵτινες μετὰ Λέοντος ἦτε ἐν Ἑλλησπόντῳ. der stratege Leon war
in Samos während des sommers (Thuk. 8, 73); was er weiter getan hat, ist nicht
überliefert. — daſs man den handel des Polystratos noch weiter herunterrückt, ist
schon deshalb unwahrscheinlich, weil die erfolge des Alkibiades und die dadurch
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