bekannt, wie sehr Philippos diese mahnung verdiente. die empfehlung seiner vaterstadt steht dem Isokrates wol an; nirgends schreibt er ab, nirgends freilich verrät er tiefere einsicht in die actuelle politik, so dass man zwischen dem frühjahr 341 und dem 340 schwanken kann: denn vor dem aufbruche aus dem winterquartiere muss der brief verfasst sein. ich wüsste kein moment, das wider ihn spräche.
Brief 5.Damit ist über die beilage dieses schreibens, den brief an Alexan- dros, entschieden (5), wenn anders er ist, wofür er sich ausgibt, eine beilage. dass der könig in den winterquartieren seinen sohn bei sich hat, ist begreiflich. dass Isokrates veranlassung nimmt, sich dem hoff- nungsvollen erben vorzustellen, nicht minder; aber wenn er das damit motivirt, er müsste doch den beweis liefern, dass er noch einen rest seiner alten leistungsfähigkeit bewahrte, und man angesichts dieses ihm nicht nachsagen könnte, er wäre kindisch geworden, so reicht die allgemeine situation, wie sie die bekannten personen geben, nicht wol hin. der alte berühmte professor schreibt an den prinzen ganz wie sichs gehört, anerkennend und aufmunternd. 'wenn du so fort- fährst, wirst du auch im späteren alter dich vor den übrigen an ein- sicht so hervortun, wie es jetzt dein vater vor allen tut.' das com- pliment zielt auf den vater; der es schrieb, wollte von jenem gelesen werden und hatte keine ahnung, wie ungeheuer der sohn diesen zu überflügeln berufen war. beides ist eine garantie der ächtheit; aber was Isokrates von Alexandros gehört haben will, befremdet zunächst. er treibe philosophie; nun gut, das ist im munde des alten, er lernt, wie sich für den kaum mannbaren knaben schickt. er treibe zwar auch die philosophie, die wir so nennen, Isokrates eristik schilt, aber seine neigung gelte der besseren philosophie, der rhetorik. das ist sehr wenig glaublich: von der rhetorik hat der grosse könig nachmals wenig genug gehalten, weder selbst die isokrateische kunst geübt, noch neben hof- poeten, hofphilosophen und hofkünstlern aller art hofrhetoren ange- stellt, es sei denn man rechne die historiographen Anaximenes und Kallisthenes mit, die Isokrates nicht anerkannt haben würde. die ein- fachen glockentöne Homers, nicht die künstlichen fugen und passagen des Panegyrikos haben seine heldenseele zum zuge wider die barbaren be- geistert. also muss Isokrates schlecht berichtet gewesen sein, oder viel- mehr, er war es wol gut, und gerade deshalb schrieb er so wie er es getan hat, und weil er sich so anstellt, waren die leser in der lage die feinheit des alten zu bewundern: das ist weniger auf den prinzen als auf den hofmeister Aristoteles berechnet. der rhetor stellt was er wünscht
III. 13. Die briefe des Isokrates.
bekannt, wie sehr Philippos diese mahnung verdiente. die empfehlung seiner vaterstadt steht dem Isokrates wol an; nirgends schreibt er ab, nirgends freilich verrät er tiefere einsicht in die actuelle politik, so daſs man zwischen dem frühjahr 341 und dem 340 schwanken kann: denn vor dem aufbruche aus dem winterquartiere muſs der brief verfaſst sein. ich wüſste kein moment, das wider ihn spräche.
Brief 5.Damit ist über die beilage dieses schreibens, den brief an Alexan- dros, entschieden (5), wenn anders er ist, wofür er sich ausgibt, eine beilage. daſs der könig in den winterquartieren seinen sohn bei sich hat, ist begreiflich. daſs Isokrates veranlassung nimmt, sich dem hoff- nungsvollen erben vorzustellen, nicht minder; aber wenn er das damit motivirt, er müſste doch den beweis liefern, daſs er noch einen rest seiner alten leistungsfähigkeit bewahrte, und man angesichts dieses ihm nicht nachsagen könnte, er wäre kindisch geworden, so reicht die allgemeine situation, wie sie die bekannten personen geben, nicht wol hin. der alte berühmte professor schreibt an den prinzen ganz wie sichs gehört, anerkennend und aufmunternd. ‘wenn du so fort- fährst, wirst du auch im späteren alter dich vor den übrigen an ein- sicht so hervortun, wie es jetzt dein vater vor allen tut.’ das com- pliment zielt auf den vater; der es schrieb, wollte von jenem gelesen werden und hatte keine ahnung, wie ungeheuer der sohn diesen zu überflügeln berufen war. beides ist eine garantie der ächtheit; aber was Isokrates von Alexandros gehört haben will, befremdet zunächst. er treibe philosophie; nun gut, das ist im munde des alten, er lernt, wie sich für den kaum mannbaren knaben schickt. er treibe zwar auch die philosophie, die wir so nennen, Isokrates eristik schilt, aber seine neigung gelte der besseren philosophie, der rhetorik. das ist sehr wenig glaublich: von der rhetorik hat der groſse könig nachmals wenig genug gehalten, weder selbst die isokrateische kunst geübt, noch neben hof- poeten, hofphilosophen und hofkünstlern aller art hofrhetoren ange- stellt, es sei denn man rechne die historiographen Anaximenes und Kallisthenes mit, die Isokrates nicht anerkannt haben würde. die ein- fachen glockentöne Homers, nicht die künstlichen fugen und passagen des Panegyrikos haben seine heldenseele zum zuge wider die barbaren be- geistert. also muſs Isokrates schlecht berichtet gewesen sein, oder viel- mehr, er war es wol gut, und gerade deshalb schrieb er so wie er es getan hat, und weil er sich so anstellt, waren die leser in der lage die feinheit des alten zu bewundern: das ist weniger auf den prinzen als auf den hofmeister Aristoteles berechnet. der rhetor stellt was er wünscht
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III. 13. Die briefe des Isokrates.
bekannt, wie sehr Philippos diese mahnung verdiente. die empfehlung
seiner vaterstadt steht dem Isokrates wol an; nirgends schreibt er ab,
nirgends freilich verrät er tiefere einsicht in die actuelle politik, so daſs
man zwischen dem frühjahr 341 und dem 340 schwanken kann: denn
vor dem aufbruche aus dem winterquartiere muſs der brief verfaſst sein.
ich wüſste kein moment, das wider ihn spräche.
Damit ist über die beilage dieses schreibens, den brief an Alexan-
dros, entschieden (5), wenn anders er ist, wofür er sich ausgibt, eine
beilage. daſs der könig in den winterquartieren seinen sohn bei sich
hat, ist begreiflich. daſs Isokrates veranlassung nimmt, sich dem hoff-
nungsvollen erben vorzustellen, nicht minder; aber wenn er das damit
motivirt, er müſste doch den beweis liefern, daſs er noch einen rest
seiner alten leistungsfähigkeit bewahrte, und man angesichts dieses
ihm nicht nachsagen könnte, er wäre kindisch geworden, so reicht
die allgemeine situation, wie sie die bekannten personen geben, nicht
wol hin. der alte berühmte professor schreibt an den prinzen ganz
wie sichs gehört, anerkennend und aufmunternd. ‘wenn du so fort-
fährst, wirst du auch im späteren alter dich vor den übrigen an ein-
sicht so hervortun, wie es jetzt dein vater vor allen tut.’ das com-
pliment zielt auf den vater; der es schrieb, wollte von jenem gelesen
werden und hatte keine ahnung, wie ungeheuer der sohn diesen zu
überflügeln berufen war. beides ist eine garantie der ächtheit; aber
was Isokrates von Alexandros gehört haben will, befremdet zunächst. er
treibe philosophie; nun gut, das ist im munde des alten, er lernt, wie
sich für den kaum mannbaren knaben schickt. er treibe zwar auch
die philosophie, die wir so nennen, Isokrates eristik schilt, aber seine
neigung gelte der besseren philosophie, der rhetorik. das ist sehr wenig
glaublich: von der rhetorik hat der groſse könig nachmals wenig genug
gehalten, weder selbst die isokrateische kunst geübt, noch neben hof-
poeten, hofphilosophen und hofkünstlern aller art hofrhetoren ange-
stellt, es sei denn man rechne die historiographen Anaximenes und
Kallisthenes mit, die Isokrates nicht anerkannt haben würde. die ein-
fachen glockentöne Homers, nicht die künstlichen fugen und passagen
des Panegyrikos haben seine heldenseele zum zuge wider die barbaren be-
geistert. also muſs Isokrates schlecht berichtet gewesen sein, oder viel-
mehr, er war es wol gut, und gerade deshalb schrieb er so wie er es
getan hat, und weil er sich so anstellt, waren die leser in der lage die
feinheit des alten zu bewundern: das ist weniger auf den prinzen als
auf den hofmeister Aristoteles berechnet. der rhetor stellt was er wünscht
Brief 5.
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/408>, abgerufen am 25.11.2024.
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