Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.Das volk Athenas. geschichtliche überlieferung beginnt. es erscheint trotz allen regionalengegensätzen und kämpfen undenkbar, dass sich der Aphidnaer oder Brauronier anders denn als Athener fühlte. sie wollen wol alle herrschen, aber über Athen und Attika. diesen ungeheuren fortschritt der politi- schen empfindung, den in Boeotien und Ionien höchstens einzelne be- deutende männer wie Epaminondas oder Hekataios für sich machen, hat das attische volk so früh erreicht. das festjahr, das von den Kronia, dem gedächtnis der staatlosen zeit, zu den sunoikia und Panathenaia fortgeht, legt von ihm zeugnis ab, und das heiligtum der burg ist wirk- lich das gemeinsame für das ganze volk. sie glauben alle, dass Athena die göttin dieses volkes und dieses volk ihr auserwähltes ist, was die so zu sagen universale potenz der himmlischen jungfrau und tochter des Zeus noch nicht beeinträchtigt. diesem höheren einigenden glauben, der Athenareligion, hat sich die gesonderte verehrung sowol der einzelnen ortsgottheiten wie der noch so bedeutenden 'andern götter', selbst der Nemesis von Rhamnus, der Athena von Pallene, der Artemis von Brauron untergeordnet. wenn Athena von alters her die stadtgöttin der burg über dem Eridanos war, so hat ein localcult über alle andern triumphirt. sie wohnt dort so lange, bis ihr Peisistratos ein eigenes haus baut, in dem alten königspalast; sie hat um das land streiten müssen, und ihr priestertum wird von dem geschlechte versehen, das in erster linie dem Poseidon Erechtheus, ihrem gegner, dient. das alles und nicht zum wenigsten, dass die sage geflissentlich die berechtigung ihrer herrschaft nachweist, führt zu der annahme, dass sie von der burg wirklich erst besitz ergriffen hat, als herrin des landes, als vertreterin des gesammt- staates, als die trägerin der neuen empfindung, der dann der alte local- cult der burg und ihr alter name weichen musste.5) 5) Ein spiel, auch mit sehr scheinbaren einfällen, will ich nicht spielen, will
weder Kranaai aus Aristophanes als alten namen hervorholen noch der verlockung raum geben, dass die Athena von Pallene, also auch die herren von Pallene ihren cult auf die burg verpflanzt haben und demnach die einiger Attikas sind. aber dass Athena von der burg und von Attika erst als landesgöttin besitz er- griffen hat, scheint mir nachweisbar. die sage vom streite mit Poseidon setzt ihre besitzergreifung und die pflanzung der olive in das achte jahr des Kekrops, den streit mit Poseidon in das sechsundzwanzigste (so bei Eusebius, dessen vorlage in der attischen mythologie ganz mit der apollodorischen bibliothek geht. beiläufig: dies zeugnis entscheidet unzweideutig für die auffassung Roberts von der pflanzung der olive wider Petersen), aber wir werden nicht bestreiten, dass der felsspalt eher da war als die fremde olive. Erechtheus ist eine person von ganz anderer consistenz als Erichthonios, der pflegling Athenas, und die legende von dem kästchen, das die Das volk Athenas. geschichtliche überlieferung beginnt. es erscheint trotz allen regionalengegensätzen und kämpfen undenkbar, daſs sich der Aphidnaer oder Brauronier anders denn als Athener fühlte. sie wollen wol alle herrschen, aber über Athen und Attika. diesen ungeheuren fortschritt der politi- schen empfindung, den in Boeotien und Ionien höchstens einzelne be- deutende männer wie Epaminondas oder Hekataios für sich machen, hat das attische volk so früh erreicht. das festjahr, das von den Κϱόνια, dem gedächtnis der staatlosen zeit, zu den συνοίκια und Παναϑήναια fortgeht, legt von ihm zeugnis ab, und das heiligtum der burg ist wirk- lich das gemeinsame für das ganze volk. sie glauben alle, daſs Athena die göttin dieses volkes und dieses volk ihr auserwähltes ist, was die so zu sagen universale potenz der himmlischen jungfrau und tochter des Zeus noch nicht beeinträchtigt. diesem höheren einigenden glauben, der Athenareligion, hat sich die gesonderte verehrung sowol der einzelnen ortsgottheiten wie der noch so bedeutenden ‘andern götter’, selbst der Nemesis von Rhamnus, der Athena von Pallene, der Artemis von Brauron untergeordnet. wenn Athena von alters her die stadtgöttin der burg über dem Eridanos war, so hat ein localcult über alle andern triumphirt. sie wohnt dort so lange, bis ihr Peisistratos ein eigenes haus baut, in dem alten königspalast; sie hat um das land streiten müssen, und ihr priestertum wird von dem geschlechte versehen, das in erster linie dem Poseidon Erechtheus, ihrem gegner, dient. das alles und nicht zum wenigsten, daſs die sage geflissentlich die berechtigung ihrer herrschaft nachweist, führt zu der annahme, daſs sie von der burg wirklich erst besitz ergriffen hat, als herrin des landes, als vertreterin des gesammt- staates, als die trägerin der neuen empfindung, der dann der alte local- cult der burg und ihr alter name weichen muſste.5) 5) Ein spiel, auch mit sehr scheinbaren einfällen, will ich nicht spielen, will
weder Κϱανααί aus Aristophanes als alten namen hervorholen noch der verlockung raum geben, daſs die Athena von Pallene, also auch die herren von Pallene ihren cult auf die burg verpflanzt haben und demnach die einiger Attikas sind. aber daſs Athena von der burg und von Attika erst als landesgöttin besitz er- griffen hat, scheint mir nachweisbar. die sage vom streite mit Poseidon setzt ihre besitzergreifung und die pflanzung der olive in das achte jahr des Kekrops, den streit mit Poseidon in das sechsundzwanzigste (so bei Eusebius, dessen vorlage in der attischen mythologie ganz mit der apollodorischen bibliothek geht. beiläufig: dies zeugnis entscheidet unzweideutig für die auffassung Roberts von der pflanzung der olive wider Petersen), aber wir werden nicht bestreiten, daſs der felsspalt eher da war als die fremde olive. Erechtheus ist eine person von ganz anderer consistenz als Erichthonios, der pflegling Athenas, und die legende von dem kästchen, das die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0047" n="37"/><fw place="top" type="header">Das volk Athenas.</fw><lb/> geschichtliche überlieferung beginnt. es erscheint trotz allen regionalen<lb/> gegensätzen und kämpfen undenkbar, daſs sich der Aphidnaer oder<lb/> Brauronier anders denn als Athener fühlte. sie wollen wol alle herrschen,<lb/> aber über Athen und Attika. diesen ungeheuren fortschritt der politi-<lb/> schen empfindung, den in Boeotien und Ionien höchstens einzelne be-<lb/> deutende männer wie Epaminondas oder Hekataios für sich machen,<lb/> hat das attische volk so früh erreicht. das festjahr, das von den Κϱόνια,<lb/> dem gedächtnis der staatlosen zeit, zu den συνοίκια und Παναϑήναια<lb/> fortgeht, legt von ihm zeugnis ab, und das heiligtum der burg ist wirk-<lb/> lich das gemeinsame für das ganze volk. sie glauben alle, daſs Athena<lb/> die göttin dieses volkes und dieses volk ihr auserwähltes ist, was die<lb/> so zu sagen universale potenz der himmlischen jungfrau und tochter des<lb/> Zeus noch nicht beeinträchtigt. diesem höheren einigenden glauben, der<lb/> Athenareligion, hat sich die gesonderte verehrung sowol der einzelnen<lb/> ortsgottheiten wie der noch so bedeutenden ‘andern götter’, selbst der<lb/> Nemesis von Rhamnus, der Athena von Pallene, der Artemis von Brauron<lb/> untergeordnet. wenn Athena von alters her die stadtgöttin der burg<lb/> über dem Eridanos war, so hat ein localcult über alle andern triumphirt.<lb/> sie wohnt dort so lange, bis ihr Peisistratos ein eigenes haus baut, in<lb/> dem alten königspalast; sie hat um das land streiten müssen, und ihr<lb/> priestertum wird von dem geschlechte versehen, das in erster linie dem<lb/> Poseidon Erechtheus, ihrem gegner, dient. das alles und nicht zum<lb/> wenigsten, daſs die sage geflissentlich die berechtigung ihrer herrschaft<lb/> nachweist, führt zu der annahme, daſs sie von der burg wirklich erst<lb/> besitz ergriffen hat, als herrin des landes, als vertreterin des gesammt-<lb/> staates, als die trägerin der neuen empfindung, der dann der alte local-<lb/> cult der burg und ihr alter name weichen muſste.<note xml:id="note-0047" next="#note-0048" place="foot" n="5)">Ein spiel, auch mit sehr scheinbaren einfällen, will ich nicht spielen, will<lb/> weder Κϱανααί aus Aristophanes als alten namen hervorholen noch der verlockung<lb/> raum geben, daſs die Athena von Pallene, also auch die herren von Pallene<lb/> ihren cult auf die burg verpflanzt haben und demnach die einiger Attikas sind.<lb/> aber daſs Athena von der burg und von Attika erst als landesgöttin besitz er-<lb/> griffen hat, scheint mir nachweisbar. die sage vom streite mit Poseidon setzt<lb/> ihre besitzergreifung und die pflanzung der olive in das achte jahr des Kekrops,<lb/> den streit mit Poseidon in das sechsundzwanzigste (so bei Eusebius, dessen vorlage in<lb/> der attischen mythologie ganz mit der apollodorischen bibliothek geht. beiläufig:<lb/> dies zeugnis entscheidet unzweideutig für die auffassung Roberts von der pflanzung der<lb/> olive wider Petersen), aber wir werden nicht bestreiten, daſs der felsspalt eher da<lb/> war als die fremde olive. Erechtheus ist eine person von ganz anderer consistenz<lb/> als Erichthonios, der pflegling Athenas, und die legende von dem kästchen, das die</note></p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0047]
Das volk Athenas.
geschichtliche überlieferung beginnt. es erscheint trotz allen regionalen
gegensätzen und kämpfen undenkbar, daſs sich der Aphidnaer oder
Brauronier anders denn als Athener fühlte. sie wollen wol alle herrschen,
aber über Athen und Attika. diesen ungeheuren fortschritt der politi-
schen empfindung, den in Boeotien und Ionien höchstens einzelne be-
deutende männer wie Epaminondas oder Hekataios für sich machen,
hat das attische volk so früh erreicht. das festjahr, das von den Κϱόνια,
dem gedächtnis der staatlosen zeit, zu den συνοίκια und Παναϑήναια
fortgeht, legt von ihm zeugnis ab, und das heiligtum der burg ist wirk-
lich das gemeinsame für das ganze volk. sie glauben alle, daſs Athena
die göttin dieses volkes und dieses volk ihr auserwähltes ist, was die
so zu sagen universale potenz der himmlischen jungfrau und tochter des
Zeus noch nicht beeinträchtigt. diesem höheren einigenden glauben, der
Athenareligion, hat sich die gesonderte verehrung sowol der einzelnen
ortsgottheiten wie der noch so bedeutenden ‘andern götter’, selbst der
Nemesis von Rhamnus, der Athena von Pallene, der Artemis von Brauron
untergeordnet. wenn Athena von alters her die stadtgöttin der burg
über dem Eridanos war, so hat ein localcult über alle andern triumphirt.
sie wohnt dort so lange, bis ihr Peisistratos ein eigenes haus baut, in
dem alten königspalast; sie hat um das land streiten müssen, und ihr
priestertum wird von dem geschlechte versehen, das in erster linie dem
Poseidon Erechtheus, ihrem gegner, dient. das alles und nicht zum
wenigsten, daſs die sage geflissentlich die berechtigung ihrer herrschaft
nachweist, führt zu der annahme, daſs sie von der burg wirklich erst
besitz ergriffen hat, als herrin des landes, als vertreterin des gesammt-
staates, als die trägerin der neuen empfindung, der dann der alte local-
cult der burg und ihr alter name weichen muſste. 5)
5) Ein spiel, auch mit sehr scheinbaren einfällen, will ich nicht spielen, will
weder Κϱανααί aus Aristophanes als alten namen hervorholen noch der verlockung
raum geben, daſs die Athena von Pallene, also auch die herren von Pallene
ihren cult auf die burg verpflanzt haben und demnach die einiger Attikas sind.
aber daſs Athena von der burg und von Attika erst als landesgöttin besitz er-
griffen hat, scheint mir nachweisbar. die sage vom streite mit Poseidon setzt
ihre besitzergreifung und die pflanzung der olive in das achte jahr des Kekrops,
den streit mit Poseidon in das sechsundzwanzigste (so bei Eusebius, dessen vorlage in
der attischen mythologie ganz mit der apollodorischen bibliothek geht. beiläufig:
dies zeugnis entscheidet unzweideutig für die auffassung Roberts von der pflanzung der
olive wider Petersen), aber wir werden nicht bestreiten, daſs der felsspalt eher da
war als die fremde olive. Erechtheus ist eine person von ganz anderer consistenz
als Erichthonios, der pflegling Athenas, und die legende von dem kästchen, das die
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