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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
in der volksversammlung hatten diese das stimmrecht; bei den wahlen
wirkten sie mit: sobald sie sich zu gemeinsamen wollen vereinten,
konnten sie hier ihren willen durchsetzen, wurden dann aber auch ihrer
macht sich bewusst. so ward der staat durch die sorge für seine existenz
gezwungen, sich dem meere zuzuwenden. damit war die demokratie
notwendig verbunden. sie allein konnte Athen retten und hat es ge-
rettet, aber die rücksichten auf die staatsfinanzen und auf die forde-
rungen der unbemittelten bürger musste sie früher oder später auf die
bahn einer expansiven politik treiben. denn so lagen die verhältnisse
immer noch, dass das ideal, dem der unbemittelte zustrebte, ein eigner
bauernhof war. wie der demos sofort, als er Chalkis besetzte, 4000 land-
lose gemacht hat, so ist schon 476 die colonisation der Strymontales ver-
sucht worden. es gehörte keine sehergabe dazu, diese consequenzen der
maritimen politik Athens zu ziehen; aber gerade darum scheuten sich
viele davor, und dem klar erkannten ziele festen schrittes zuzustreben
ist kein kleiner ruhm. der moderne betrachter muss in Themistokles
den fortsetzer des kleisthenischen werkes bewundern und wird ihm den
nächsten platz unter den attischen staatsmännern zugestehn, den er in
der schätzung seines volkes durch habsucht, eigenliebe und verrat ver-
scherzt hat. dass er seine pläne nicht ohne heftige parteikämpfe durch-
gesetzt hat, sagt uns mehr die natur der sache und die langsamkeit des
fortschritts als die überlieferung. aus seinem amtsjahre wissen wir nichts
als den hafenbau. Miltiades, der sein gegner genannt wird, war es
hierin schwerlich20): denn ohne flotte war ein widerstand gegen Persien
undenkbar.

Die schlacht
bei Mara-
thon.
Im sommer 490 kam der Perser. Miltiades, den man wol in der vor-
aussicht zum strategen für die Oineis gewählt hatte21), erzwang den aus-
marsch und erzwang die schlacht, als offensivschlacht, weil die Perser den

20) Das erzählt Stesimbrotos (Plut. Th. 4), weiter nichts. denn Plutarch fügt
diesen wie den Platon aus eigner lecture in eine eigne betrachtung über den nutzen
oder schaden der flottengründung. diese aber ist, wie das detail lehrt, die von 483,
kann also mit Miltiades nichts zu tun haben. dass Stesimbrotos den prostates
ton gnorimon dem prostates tou demou in diesem cardinalen punkte widerstreben
lässt, ist natürlich, und Marathon war ja auch eine landschlacht. aber die pro-
stasia ton gnorimon ist von Kimon auf seinen vater übertragen, der kaum drei
jahre in Athen gelebt hat.
21) Dass Aristeides und Themistokles strategen ihrer phylen Antiochis und
Leontis gewesen wären, wie die spätere überlieferung behauptet, ist unverbürgt,
glaubhafter noch von dem ersteren. die jugendgeschichte von beiden ist völlig
wertlos.

II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
in der volksversammlung hatten diese das stimmrecht; bei den wahlen
wirkten sie mit: sobald sie sich zu gemeinsamen wollen vereinten,
konnten sie hier ihren willen durchsetzen, wurden dann aber auch ihrer
macht sich bewuſst. so ward der staat durch die sorge für seine existenz
gezwungen, sich dem meere zuzuwenden. damit war die demokratie
notwendig verbunden. sie allein konnte Athen retten und hat es ge-
rettet, aber die rücksichten auf die staatsfinanzen und auf die forde-
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bahn einer expansiven politik treiben. denn so lagen die verhältnisse
immer noch, daſs das ideal, dem der unbemittelte zustrebte, ein eigner
bauernhof war. wie der demos sofort, als er Chalkis besetzte, 4000 land-
lose gemacht hat, so ist schon 476 die colonisation der Strymontales ver-
sucht worden. es gehörte keine sehergabe dazu, diese consequenzen der
maritimen politik Athens zu ziehen; aber gerade darum scheuten sich
viele davor, und dem klar erkannten ziele festen schrittes zuzustreben
ist kein kleiner ruhm. der moderne betrachter muſs in Themistokles
den fortsetzer des kleisthenischen werkes bewundern und wird ihm den
nächsten platz unter den attischen staatsmännern zugestehn, den er in
der schätzung seines volkes durch habsucht, eigenliebe und verrat ver-
scherzt hat. daſs er seine pläne nicht ohne heftige parteikämpfe durch-
gesetzt hat, sagt uns mehr die natur der sache und die langsamkeit des
fortschritts als die überlieferung. aus seinem amtsjahre wissen wir nichts
als den hafenbau. Miltiades, der sein gegner genannt wird, war es
hierin schwerlich20): denn ohne flotte war ein widerstand gegen Persien
undenkbar.

Die schlacht
bei Mara-
thon.
Im sommer 490 kam der Perser. Miltiades, den man wol in der vor-
aussicht zum strategen für die Oineis gewählt hatte21), erzwang den aus-
marsch und erzwang die schlacht, als offensivschlacht, weil die Perser den

20) Das erzählt Stesimbrotos (Plut. Th. 4), weiter nichts. denn Plutarch fügt
diesen wie den Platon aus eigner lecture in eine eigne betrachtung über den nutzen
oder schaden der flottengründung. diese aber ist, wie das detail lehrt, die von 483,
kann also mit Miltiades nichts zu tun haben. daſs Stesimbrotos den πϱοστάτης
τῶν γνωϱίμων dem πϱοστάτης τοῦ δήμου in diesem cardinalen punkte widerstreben
läſst, ist natürlich, und Marathon war ja auch eine landschlacht. aber die πϱο-
στασία τῶν γνωϱίμων ist von Kimon auf seinen vater übertragen, der kaum drei
jahre in Athen gelebt hat.
21) Daſs Aristeides und Themistokles strategen ihrer phylen Antiochis und
Leontis gewesen wären, wie die spätere überlieferung behauptet, ist unverbürgt,
glaubhafter noch von dem ersteren. die jugendgeschichte von beiden ist völlig
wertlos.
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[84/0094] II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. in der volksversammlung hatten diese das stimmrecht; bei den wahlen wirkten sie mit: sobald sie sich zu gemeinsamen wollen vereinten, konnten sie hier ihren willen durchsetzen, wurden dann aber auch ihrer macht sich bewuſst. so ward der staat durch die sorge für seine existenz gezwungen, sich dem meere zuzuwenden. damit war die demokratie notwendig verbunden. sie allein konnte Athen retten und hat es ge- rettet, aber die rücksichten auf die staatsfinanzen und auf die forde- rungen der unbemittelten bürger muſste sie früher oder später auf die bahn einer expansiven politik treiben. denn so lagen die verhältnisse immer noch, daſs das ideal, dem der unbemittelte zustrebte, ein eigner bauernhof war. wie der demos sofort, als er Chalkis besetzte, 4000 land- lose gemacht hat, so ist schon 476 die colonisation der Strymontales ver- sucht worden. es gehörte keine sehergabe dazu, diese consequenzen der maritimen politik Athens zu ziehen; aber gerade darum scheuten sich viele davor, und dem klar erkannten ziele festen schrittes zuzustreben ist kein kleiner ruhm. der moderne betrachter muſs in Themistokles den fortsetzer des kleisthenischen werkes bewundern und wird ihm den nächsten platz unter den attischen staatsmännern zugestehn, den er in der schätzung seines volkes durch habsucht, eigenliebe und verrat ver- scherzt hat. daſs er seine pläne nicht ohne heftige parteikämpfe durch- gesetzt hat, sagt uns mehr die natur der sache und die langsamkeit des fortschritts als die überlieferung. aus seinem amtsjahre wissen wir nichts als den hafenbau. Miltiades, der sein gegner genannt wird, war es hierin schwerlich 20): denn ohne flotte war ein widerstand gegen Persien undenkbar. Im sommer 490 kam der Perser. Miltiades, den man wol in der vor- aussicht zum strategen für die Oineis gewählt hatte 21), erzwang den aus- marsch und erzwang die schlacht, als offensivschlacht, weil die Perser den Die schlacht bei Mara- thon. 20) Das erzählt Stesimbrotos (Plut. Th. 4), weiter nichts. denn Plutarch fügt diesen wie den Platon aus eigner lecture in eine eigne betrachtung über den nutzen oder schaden der flottengründung. diese aber ist, wie das detail lehrt, die von 483, kann also mit Miltiades nichts zu tun haben. daſs Stesimbrotos den πϱοστάτης τῶν γνωϱίμων dem πϱοστάτης τοῦ δήμου in diesem cardinalen punkte widerstreben läſst, ist natürlich, und Marathon war ja auch eine landschlacht. aber die πϱο- στασία τῶν γνωϱίμων ist von Kimon auf seinen vater übertragen, der kaum drei jahre in Athen gelebt hat. 21) Daſs Aristeides und Themistokles strategen ihrer phylen Antiochis und Leontis gewesen wären, wie die spätere überlieferung behauptet, ist unverbürgt, glaubhafter noch von dem ersteren. die jugendgeschichte von beiden ist völlig wertlos.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/94>, abgerufen am 24.11.2024.