Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Was ist eine attische tragödie? auch als etwas anderes kommen zu lassen denn als satyr, oder auch denchor in ein anderes kleid zu stecken. es ist nicht zu entscheiden, welchen schritt man zuerst tat, ja man mag vermuten, dass noch ein zwischen- stadium eintrat, in welchem die herkömmlichen figuren nur der abwech- selung halber in einer ihrem eigentlichen wesen widerstrebenden oder doch fremden beschäftigung auftraten, etwa wie in der Atellane Maccus als kneipwirt, jungfrau, soldat. darauf deuten titel wie kerukes, ikhneu- tai, palaistai saturoi, wol auch theoroi und manches andere. aber wenn wir uns an die peloponnesischen verhältnisse erinnern, so müssten z. b. Kureten sich von selbst als ersatz für ihre brüder dargeboten haben, und wenn der Phleiasier Pratinas dymanische tänzerinnen am feste der Artemis in Karyai eingeführt hat, so braucht man nur dessen eingedenk zu sein, dass die bukolische poesie, die eigentlich mehr eine aipolische ist, an die Karyatiden angeknüpft wird, um der leichtigkeit eines solchen tausches inne zu werden. und auch in späterer zeit ist es eben kein grosser abstand von der ältesten weise, wenn die geschichte vom Thraker Lykurgos so von Aischylos zur darstellung gebracht wird, dass der chor erst als Edonen, dann als thrakische maenaden, dann bloss als jünglinge und endlich als satyrn auftritt. daran hat man freilich noch lange und im princip immer festgehalten, dass die satyrn als solche auch erscheinen müssten, wol minder weil das dionysische fest die diener des gottes er- heischte, als weil das volk seinen spass haben wollte; wenigstens ward der lustige charakter des schlussstückes nicht zugleich mit dem satyrchor aufgegeben; dafür ist Euripides Alkestis (438) der älteste, aber nicht der einzige beleg 53). noch viel näher als für den satyrchor lag es, für den 53) Von Euripides ist keine andere tragödie erweislich an stelle des satyrspiels
gegeben; wahrscheinlich ist es von der Auge. aber von Sophokles ist ein beispiel ganz sicher, der Inachos, wol aus dem ende des archidamischen krieges, denn seitdem ist es eines seiner populärsten stücke. es gilt für ein satyrdrama, aber es ist un- erlaubt, in fast 30 anführungen, wo diese bezeichnung fehlt, zufall anzunehmen. und es ist arg, die anapäste 249. 50 einem satyrchor zu geben. andererseits ist die anmutige fabel wahrlich keine tragödie. die hypothesis war folgende. in Argos herrschte könig Inachos, der gott des flusses, dessen gewässer vom fernen Pindos stammen, und so weit reichte denn auch des königs herrschaft (auch die des Pelasgos in den Hiketiden). er hatte eine schöne tochter Io, in die sich Zeus verliebte. sein diener Hermes erschien in Argos, und unterhielt könig und volk, während der herr mit Io koste; Plutos selbst sollte eingezogen sein. das wasser des Inachos schwoll, befruchtete die ebene, sie trug hundertfältige frucht, alle scheuern füllten sich, jedes haus bot jedem gedeckten tisch. es war eitel herrlichkeit wie im schlaraffenland. aber die eigentliche landesherrin Hera ward mit zorn der bösen dinge inne, die ihr gatte trieb; sie sandte ihre dienerin Iris, die die eindringlinge vertrieb, und es kam Was ist eine attische tragödie? auch als etwas anderes kommen zu lassen denn als satyr, oder auch denchor in ein anderes kleid zu stecken. es ist nicht zu entscheiden, welchen schritt man zuerst tat, ja man mag vermuten, daſs noch ein zwischen- stadium eintrat, in welchem die herkömmlichen figuren nur der abwech- selung halber in einer ihrem eigentlichen wesen widerstrebenden oder doch fremden beschäftigung auftraten, etwa wie in der Atellane Maccus als kneipwirt, jungfrau, soldat. darauf deuten titel wie κήρυκες, ἰχνευ- ταί, παλαισταί σάτυροι, wol auch ϑεωροί und manches andere. aber wenn wir uns an die peloponnesischen verhältnisse erinnern, so müſsten z. b. Kureten sich von selbst als ersatz für ihre brüder dargeboten haben, und wenn der Phleiasier Pratinas dymanische tänzerinnen am feste der Artemis in Karyai eingeführt hat, so braucht man nur dessen eingedenk zu sein, daſs die bukolische poesie, die eigentlich mehr eine aipolische ist, an die Karyatiden angeknüpft wird, um der leichtigkeit eines solchen tausches inne zu werden. und auch in späterer zeit ist es eben kein groſser abstand von der ältesten weise, wenn die geschichte vom Thraker Lykurgos so von Aischylos zur darstellung gebracht wird, daſs der chor erst als Edonen, dann als thrakische maenaden, dann bloſs als jünglinge und endlich als satyrn auftritt. daran hat man freilich noch lange und im princip immer festgehalten, daſs die satyrn als solche auch erscheinen müſsten, wol minder weil das dionysische fest die diener des gottes er- heischte, als weil das volk seinen spaſs haben wollte; wenigstens ward der lustige charakter des schluſsstückes nicht zugleich mit dem satyrchor aufgegeben; dafür ist Euripides Alkestis (438) der älteste, aber nicht der einzige beleg 53). noch viel näher als für den satyrchor lag es, für den 53) Von Euripides ist keine andere tragödie erweislich an stelle des satyrspiels
gegeben; wahrscheinlich ist es von der Auge. aber von Sophokles ist ein beispiel ganz sicher, der Inachos, wol aus dem ende des archidamischen krieges, denn seitdem ist es eines seiner populärsten stücke. es gilt für ein satyrdrama, aber es ist un- erlaubt, in fast 30 anführungen, wo diese bezeichnung fehlt, zufall anzunehmen. und es ist arg, die anapäste 249. 50 einem satyrchor zu geben. andererseits ist die anmutige fabel wahrlich keine tragödie. die hypothesis war folgende. in Argos herrschte könig Inachos, der gott des flusses, dessen gewässer vom fernen Pindos stammen, und so weit reichte denn auch des königs herrschaft (auch die des Pelasgos in den Hiketiden). er hatte eine schöne tochter Io, in die sich Zeus verliebte. sein diener Hermes erschien in Argos, und unterhielt könig und volk, während der herr mit Io koste; Plutos selbst sollte eingezogen sein. das wasser des Inachos schwoll, befruchtete die ebene, sie trug hundertfältige frucht, alle scheuern füllten sich, jedes haus bot jedem gedeckten tisch. es war eitel herrlichkeit wie im schlaraffenland. aber die eigentliche landesherrin Hera ward mit zorn der bösen dinge inne, die ihr gatte trieb; sie sandte ihre dienerin Iris, die die eindringlinge vertrieb, und es kam <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0108" n="88"/><fw place="top" type="header">Was ist eine attische tragödie?</fw><lb/> auch als etwas anderes kommen zu lassen denn als satyr, oder auch den<lb/> chor in ein anderes kleid zu stecken. es ist nicht zu entscheiden, welchen<lb/> schritt man zuerst tat, ja man mag vermuten, daſs noch ein zwischen-<lb/> stadium eintrat, in welchem die herkömmlichen figuren nur der abwech-<lb/> selung halber in einer ihrem eigentlichen wesen widerstrebenden oder<lb/> doch fremden beschäftigung auftraten, etwa wie in der Atellane Maccus<lb/> als kneipwirt, jungfrau, soldat. darauf deuten titel wie κήρυκες, ἰχνευ-<lb/> ταί, παλαισταί σάτυροι, wol auch ϑεωροί und manches andere. aber<lb/> wenn wir uns an die peloponnesischen verhältnisse erinnern, so müſsten<lb/> z. b. Kureten sich von selbst als ersatz für ihre brüder dargeboten haben,<lb/> und wenn der Phleiasier Pratinas dymanische tänzerinnen am feste der<lb/> Artemis in Karyai eingeführt hat, so braucht man nur dessen eingedenk<lb/> zu sein, daſs die bukolische poesie, die eigentlich mehr eine aipolische ist,<lb/> an die Karyatiden angeknüpft wird, um der leichtigkeit eines solchen<lb/> tausches inne zu werden. und auch in späterer zeit ist es eben kein<lb/> groſser abstand von der ältesten weise, wenn die geschichte vom Thraker<lb/> Lykurgos so von Aischylos zur darstellung gebracht wird, daſs der chor<lb/> erst als Edonen, dann als thrakische maenaden, dann bloſs als jünglinge<lb/> und endlich als satyrn auftritt. daran hat man freilich noch lange und<lb/> im princip immer festgehalten, daſs die satyrn als solche auch erscheinen<lb/> müſsten, wol minder weil das dionysische fest die diener des gottes er-<lb/> heischte, als weil das volk seinen spaſs haben wollte; wenigstens ward<lb/> der lustige charakter des schluſsstückes nicht zugleich mit dem satyrchor<lb/> aufgegeben; dafür ist Euripides Alkestis (438) der älteste, aber nicht der<lb/> einzige beleg <note xml:id="note-0108" next="#note-0109" place="foot" n="53)">Von Euripides ist keine andere tragödie erweislich an stelle des satyrspiels<lb/> gegeben; wahrscheinlich ist es von der Auge. aber von Sophokles ist ein beispiel<lb/> ganz sicher, der Inachos, wol aus dem ende des archidamischen krieges, denn seitdem<lb/> ist es eines seiner populärsten stücke. es gilt für ein satyrdrama, aber es ist un-<lb/> erlaubt, in fast 30 anführungen, wo diese bezeichnung fehlt, zufall anzunehmen.<lb/> und es ist arg, die anapäste 249. 50 einem satyrchor zu geben. andererseits ist die<lb/> anmutige fabel wahrlich keine tragödie. die hypothesis war folgende. in Argos<lb/> herrschte könig Inachos, der gott des flusses, dessen gewässer vom fernen Pindos<lb/> stammen, und so weit reichte denn auch des königs herrschaft (auch die des Pelasgos<lb/> in den Hiketiden). er hatte eine schöne tochter Io, in die sich Zeus verliebte. sein<lb/> diener Hermes erschien in Argos, und unterhielt könig und volk, während der herr<lb/> mit Io koste; Plutos selbst sollte eingezogen sein. das wasser des Inachos schwoll,<lb/> befruchtete die ebene, sie trug hundertfältige frucht, alle scheuern füllten sich, jedes<lb/> haus bot jedem gedeckten tisch. es war eitel herrlichkeit wie im schlaraffenland.<lb/> aber die eigentliche landesherrin Hera ward mit zorn der bösen dinge inne, die ihr<lb/> gatte trieb; sie sandte ihre dienerin Iris, die die eindringlinge vertrieb, und es kam</note>. noch viel näher als für den satyrchor lag es, für den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0108]
Was ist eine attische tragödie?
auch als etwas anderes kommen zu lassen denn als satyr, oder auch den
chor in ein anderes kleid zu stecken. es ist nicht zu entscheiden, welchen
schritt man zuerst tat, ja man mag vermuten, daſs noch ein zwischen-
stadium eintrat, in welchem die herkömmlichen figuren nur der abwech-
selung halber in einer ihrem eigentlichen wesen widerstrebenden oder
doch fremden beschäftigung auftraten, etwa wie in der Atellane Maccus
als kneipwirt, jungfrau, soldat. darauf deuten titel wie κήρυκες, ἰχνευ-
ταί, παλαισταί σάτυροι, wol auch ϑεωροί und manches andere. aber
wenn wir uns an die peloponnesischen verhältnisse erinnern, so müſsten
z. b. Kureten sich von selbst als ersatz für ihre brüder dargeboten haben,
und wenn der Phleiasier Pratinas dymanische tänzerinnen am feste der
Artemis in Karyai eingeführt hat, so braucht man nur dessen eingedenk
zu sein, daſs die bukolische poesie, die eigentlich mehr eine aipolische ist,
an die Karyatiden angeknüpft wird, um der leichtigkeit eines solchen
tausches inne zu werden. und auch in späterer zeit ist es eben kein
groſser abstand von der ältesten weise, wenn die geschichte vom Thraker
Lykurgos so von Aischylos zur darstellung gebracht wird, daſs der chor
erst als Edonen, dann als thrakische maenaden, dann bloſs als jünglinge
und endlich als satyrn auftritt. daran hat man freilich noch lange und
im princip immer festgehalten, daſs die satyrn als solche auch erscheinen
müſsten, wol minder weil das dionysische fest die diener des gottes er-
heischte, als weil das volk seinen spaſs haben wollte; wenigstens ward
der lustige charakter des schluſsstückes nicht zugleich mit dem satyrchor
aufgegeben; dafür ist Euripides Alkestis (438) der älteste, aber nicht der
einzige beleg 53). noch viel näher als für den satyrchor lag es, für den
53) Von Euripides ist keine andere tragödie erweislich an stelle des satyrspiels
gegeben; wahrscheinlich ist es von der Auge. aber von Sophokles ist ein beispiel
ganz sicher, der Inachos, wol aus dem ende des archidamischen krieges, denn seitdem
ist es eines seiner populärsten stücke. es gilt für ein satyrdrama, aber es ist un-
erlaubt, in fast 30 anführungen, wo diese bezeichnung fehlt, zufall anzunehmen.
und es ist arg, die anapäste 249. 50 einem satyrchor zu geben. andererseits ist die
anmutige fabel wahrlich keine tragödie. die hypothesis war folgende. in Argos
herrschte könig Inachos, der gott des flusses, dessen gewässer vom fernen Pindos
stammen, und so weit reichte denn auch des königs herrschaft (auch die des Pelasgos
in den Hiketiden). er hatte eine schöne tochter Io, in die sich Zeus verliebte. sein
diener Hermes erschien in Argos, und unterhielt könig und volk, während der herr
mit Io koste; Plutos selbst sollte eingezogen sein. das wasser des Inachos schwoll,
befruchtete die ebene, sie trug hundertfältige frucht, alle scheuern füllten sich, jedes
haus bot jedem gedeckten tisch. es war eitel herrlichkeit wie im schlaraffenland.
aber die eigentliche landesherrin Hera ward mit zorn der bösen dinge inne, die ihr
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