Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Geschichte des tragikertextes. dem oder den benutzern umgestaltet, verkürzt, erweitert worden. wenndie poesie auch nur dem bedürfnis diente und in händen war, die sie als material brauchten, gieng es ihr nicht besser. die homerischen hymnen stellen sich jedem urteilsfähigen als sammlungen von rhapsoden des 5. oder 4. jahrhunderts dar (mit welchem das rhapsodentum im wesentlichen aufhört), und das conglomerat, das sich Apollonhymnos nennt, ist eine eben so wüste masse wie die schrift peri phusios an- thropou. am letzten ende sind überhaupt die erhaltenen epen nicht anders zu beurteilen; nur hatten sie viel früher eine leidlich feste form erhalten, weil sie buchhändlerisch vertrieben wurden, sobald es einmal einen buchhandel gab. spieler. Aber waren die tragödien nicht auch fortwährend in praktischem Schauspielertruppen sind schon am ende des 5. jahrhunderts in 15) Ps.-Demosthenes gg. Eubulides 18. ein schauspieler kauft in Leukas einen
Athener los, der im dekeleischen kriege gefangen ist. Geschichte des tragikertextes. dem oder den benutzern umgestaltet, verkürzt, erweitert worden. wenndie poesie auch nur dem bedürfnis diente und in händen war, die sie als material brauchten, gieng es ihr nicht besser. die homerischen hymnen stellen sich jedem urteilsfähigen als sammlungen von rhapsoden des 5. oder 4. jahrhunderts dar (mit welchem das rhapsodentum im wesentlichen aufhört), und das conglomerat, das sich Apollonhymnos nennt, ist eine eben so wüste masse wie die schrift περὶ φύσιος ἀν- ϑρώπου. am letzten ende sind überhaupt die erhaltenen epen nicht anders zu beurteilen; nur hatten sie viel früher eine leidlich feste form erhalten, weil sie buchhändlerisch vertrieben wurden, sobald es einmal einen buchhandel gab. spieler. Aber waren die tragödien nicht auch fortwährend in praktischem Schauspielertruppen sind schon am ende des 5. jahrhunderts in 15) Ps.-Demosthenes gg. Eubulides 18. ein schauspieler kauft in Leukas einen
Athener los, der im dekeleischen kriege gefangen ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0150" n="130"/><fw place="top" type="header">Geschichte des tragikertextes.</fw><lb/> dem oder den benutzern umgestaltet, verkürzt, erweitert worden. wenn<lb/> die poesie auch nur dem bedürfnis diente und in händen war, die sie<lb/> als material brauchten, gieng es ihr nicht besser. die homerischen<lb/> hymnen stellen sich jedem urteilsfähigen als sammlungen von rhapsoden<lb/> des 5. oder 4. jahrhunderts dar (mit welchem das rhapsodentum im<lb/> wesentlichen aufhört), und das conglomerat, das sich Apollonhymnos<lb/> nennt, ist eine eben so wüste masse wie die schrift περὶ φύσιος ἀν-<lb/> ϑρώπου. am letzten ende sind überhaupt die erhaltenen epen nicht<lb/> anders zu beurteilen; nur hatten sie viel früher eine leidlich feste form<lb/> erhalten, weil sie buchhändlerisch vertrieben wurden, sobald es einmal<lb/> einen buchhandel gab.</p><lb/> <note place="left">Schau-<lb/> spieler.</note> <p>Aber waren die tragödien nicht auch fortwährend in praktischem<lb/> gebrauche, und sollen die schauspieler schonender verfahren sein als die<lb/> rhapsoden? gewiſs nicht. der zustand würde nur noch viel trostloser<lb/> sein, wenn wir die dramen durch die vermittelung der schauspieler er-<lb/> halten hätten: das gilt für die überlieferung des Plautus bis auf Varro,<lb/> während Terenz seine komödien selbst herausgegeben hat. an diesem<lb/> analogon kann man gut ermessen, daſs die überlieferung der attischen<lb/> dramen nicht auf bühnenexemplare, sondern auf lesebücher zurückgeht.</p><lb/> <p>Schauspielertruppen sind schon am ende des 5. jahrhunderts in<lb/> Griechenland herumgezogen <note place="foot" n="15)">Ps.-Demosthenes gg. Eubulides 18. ein schauspieler kauft in Leukas einen<lb/> Athener los, der im dekeleischen kriege gefangen ist.</note> und das interesse warf sich im 4. nur um<lb/> so lebhafter auf die alten dramen, je stärker in der schauspielkunst das<lb/> virtuosentum ward, je geringer die lebenskraft der neuen dichtungen<lb/> war. um die mitte des jahrhunderts lieſs selbst der attische staat die<lb/> classische tragödie in einem besonderen agon zu, und die ausbreitung<lb/> der attischen cultur durch Alexander hat die Euripideischen tragödien<lb/> am Indus und am oberen Nil auf die bühne gebracht. natürlich ver-<lb/> fuhren die regisseure, wie sie es immer tun und wie ihr recht ist, denn<lb/> stilgetreue inscenirungen classischer dramen sind wie all solch gelehrter<lb/> historischer kram erst möglich, wenn kein wirkliches sondern ein an-<lb/> gelerntes kunstgefühl die leitung hat. wer auf der bühne zu hause ist,<lb/> nimmt keinen anstoſs an der verstümmelung, die Schiller an Goethes<lb/> Egmont, dieser selbst an seinem Götz verübt hat. schonender sind die<lb/> im 4. jahrhundert ton angebenden schauspieler auch nicht verfahren.<lb/> zu dem Rhesos, der erst um 370—60 entstanden ist, gab es um 300<lb/> schon einen unechten prolog, um 200 noch einen anderen. vollends<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [130/0150]
Geschichte des tragikertextes.
dem oder den benutzern umgestaltet, verkürzt, erweitert worden. wenn
die poesie auch nur dem bedürfnis diente und in händen war, die sie
als material brauchten, gieng es ihr nicht besser. die homerischen
hymnen stellen sich jedem urteilsfähigen als sammlungen von rhapsoden
des 5. oder 4. jahrhunderts dar (mit welchem das rhapsodentum im
wesentlichen aufhört), und das conglomerat, das sich Apollonhymnos
nennt, ist eine eben so wüste masse wie die schrift περὶ φύσιος ἀν-
ϑρώπου. am letzten ende sind überhaupt die erhaltenen epen nicht
anders zu beurteilen; nur hatten sie viel früher eine leidlich feste form
erhalten, weil sie buchhändlerisch vertrieben wurden, sobald es einmal
einen buchhandel gab.
Aber waren die tragödien nicht auch fortwährend in praktischem
gebrauche, und sollen die schauspieler schonender verfahren sein als die
rhapsoden? gewiſs nicht. der zustand würde nur noch viel trostloser
sein, wenn wir die dramen durch die vermittelung der schauspieler er-
halten hätten: das gilt für die überlieferung des Plautus bis auf Varro,
während Terenz seine komödien selbst herausgegeben hat. an diesem
analogon kann man gut ermessen, daſs die überlieferung der attischen
dramen nicht auf bühnenexemplare, sondern auf lesebücher zurückgeht.
Schauspielertruppen sind schon am ende des 5. jahrhunderts in
Griechenland herumgezogen 15) und das interesse warf sich im 4. nur um
so lebhafter auf die alten dramen, je stärker in der schauspielkunst das
virtuosentum ward, je geringer die lebenskraft der neuen dichtungen
war. um die mitte des jahrhunderts lieſs selbst der attische staat die
classische tragödie in einem besonderen agon zu, und die ausbreitung
der attischen cultur durch Alexander hat die Euripideischen tragödien
am Indus und am oberen Nil auf die bühne gebracht. natürlich ver-
fuhren die regisseure, wie sie es immer tun und wie ihr recht ist, denn
stilgetreue inscenirungen classischer dramen sind wie all solch gelehrter
historischer kram erst möglich, wenn kein wirkliches sondern ein an-
gelerntes kunstgefühl die leitung hat. wer auf der bühne zu hause ist,
nimmt keinen anstoſs an der verstümmelung, die Schiller an Goethes
Egmont, dieser selbst an seinem Götz verübt hat. schonender sind die
im 4. jahrhundert ton angebenden schauspieler auch nicht verfahren.
zu dem Rhesos, der erst um 370—60 entstanden ist, gab es um 300
schon einen unechten prolog, um 200 noch einen anderen. vollends
15) Ps.-Demosthenes gg. Eubulides 18. ein schauspieler kauft in Leukas einen
Athener los, der im dekeleischen kriege gefangen ist.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |