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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Das dritte jahrhundert. Aristophanes von Byranz.
von ihren tendenzen, und das kunsturteil steht auch bei ihr höher als
die leistungsfähigkeit. Dioskorides legt in einem cyclus von epigrammen
auf Thespis Aischylos Sophokles und Sositheos davon zeugnis ab; Euri-
pides hat mit recht keinen platz in dieser reihe, und von Sophokles wird
bezeichnender weise die herbste frucht am meisten geschätzt: diese zeit
sah, wie unsere romantik, in Antigone und Elektra das höchste 25).

Entsprechend ist die stellung dieser kreise zur komödie. die der gegen-
wart gilt ihr nichts, dagegen holt sie die von Aristoteles und seiner schule
zurückgesetzte alte komödie vor, die zudem den sprachlichen glossogra-
phischen studien eine überreiche ausbeute bot. für die alte komödie ist
das dritte jahrhundert das fruchtbarste gewesen, während es für die
tragödie fast ausfällt. schon Lykophron 26), dann Euphronios, dann Era-
tosthenes haben ihr grammatische arbeit zugewandt: und hier steht der
allerdings vereinzelte versuch der reproduction am ende, aber auch er
findet an Dioskorides den herold seines lobes. Machon von Alexandria,
sonst verfasser sehr salopp und modern gehaltener anekdoten in versen,
hat 'den bitteren thymian' vom Hymettos an den Nil zu verpflanzen ver-
sucht. derselbe Machon war neben Kallimachos und Dionysios Iambos
der lehrer des grössten antiken grammatikers, der, als die blume der
alexandrinischen poesie im verdorren war, den richtigen schritt tat, die
alexandrinische und die peripatetische philologie zu vereinen, die philo-
logie in dem uns geläufigen sinne zu schaffen, und die texte der classiker
festzustellen. seine aesthetische überzeugung gieng nicht mit seinem
lehrer; er hat Menander in versen verherrlicht, und die classiker, die
wir so nennen und deren besitz wir ihm, wenn einem menschen, danken,
alle mit der rechten philologenliebe gehegt und gepflegt. auch für die
textgeschichte der tragiker ist die ausgabe des Aristophanes epoche-
machend.

Von dieser ausgabe sich ein möglichst klares bild zu machen, istAristo-
phanes von
Byzanz.

eine hauptbedingung für einsichtige beurteilung unseres erhaltenen textes.
es ist wahr, dass die directen zeugnisse nichts als ein par einzelnheiten
geben, allein die allgemeinen erwägungen helfen sehr viel weiter. und
sie sind verwendbar, denn wenn wir auch davon absehen wollten, dass
Aristophanes unseren text fundirt hat, so müsste das doch irgend jemand
getan haben, und dieses unbekannten mannes tun müssten wir uns ver-

25) Dioskorides Anth. Pal. 7, 37. ähnlich urteilte der philosoph Polemon (Antig.
Kar. s. 65).
26) Noch ein anderer tragiker der pleias hat über die komödie geschrieben,
Dionysiades, Suid. s. v.

Das dritte jahrhundert. Aristophanes von Byranz.
von ihren tendenzen, und das kunsturteil steht auch bei ihr höher als
die leistungsfähigkeit. Dioskorides legt in einem cyclus von epigrammen
auf Thespis Aischylos Sophokles und Sositheos davon zeugnis ab; Euri-
pides hat mit recht keinen platz in dieser reihe, und von Sophokles wird
bezeichnender weise die herbste frucht am meisten geschätzt: diese zeit
sah, wie unsere romantik, in Antigone und Elektra das höchste 25).

Entsprechend ist die stellung dieser kreise zur komödie. die der gegen-
wart gilt ihr nichts, dagegen holt sie die von Aristoteles und seiner schule
zurückgesetzte alte komödie vor, die zudem den sprachlichen glossogra-
phischen studien eine überreiche ausbeute bot. für die alte komödie ist
das dritte jahrhundert das fruchtbarste gewesen, während es für die
tragödie fast ausfällt. schon Lykophron 26), dann Euphronios, dann Era-
tosthenes haben ihr grammatische arbeit zugewandt: und hier steht der
allerdings vereinzelte versuch der reproduction am ende, aber auch er
findet an Dioskorides den herold seines lobes. Machon von Alexandria,
sonst verfasser sehr salopp und modern gehaltener anekdoten in versen,
hat ‘den bitteren thymian’ vom Hymettos an den Nil zu verpflanzen ver-
sucht. derselbe Machon war neben Kallimachos und Dionysios Iambos
der lehrer des gröſsten antiken grammatikers, der, als die blume der
alexandrinischen poesie im verdorren war, den richtigen schritt tat, die
alexandrinische und die peripatetische philologie zu vereinen, die philo-
logie in dem uns geläufigen sinne zu schaffen, und die texte der classiker
festzustellen. seine aesthetische überzeugung gieng nicht mit seinem
lehrer; er hat Menander in versen verherrlicht, und die classiker, die
wir so nennen und deren besitz wir ihm, wenn einem menschen, danken,
alle mit der rechten philologenliebe gehegt und gepflegt. auch für die
textgeschichte der tragiker ist die ausgabe des Aristophanes epoche-
machend.

Von dieser ausgabe sich ein möglichst klares bild zu machen, istAristo-
phanes von
Byzanz.

eine hauptbedingung für einsichtige beurteilung unseres erhaltenen textes.
es ist wahr, daſs die directen zeugnisse nichts als ein par einzelnheiten
geben, allein die allgemeinen erwägungen helfen sehr viel weiter. und
sie sind verwendbar, denn wenn wir auch davon absehen wollten, daſs
Aristophanes unseren text fundirt hat, so müſste das doch irgend jemand
getan haben, und dieses unbekannten mannes tun müſsten wir uns ver-

25) Dioskorides Anth. Pal. 7, 37. ähnlich urteilte der philosoph Polemon (Antig.
Kar. s. 65).
26) Noch ein anderer tragiker der pleias hat über die komödie geschrieben,
Dionysiades, Suid. s. v.
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[137/0157] Das dritte jahrhundert. Aristophanes von Byranz. von ihren tendenzen, und das kunsturteil steht auch bei ihr höher als die leistungsfähigkeit. Dioskorides legt in einem cyclus von epigrammen auf Thespis Aischylos Sophokles und Sositheos davon zeugnis ab; Euri- pides hat mit recht keinen platz in dieser reihe, und von Sophokles wird bezeichnender weise die herbste frucht am meisten geschätzt: diese zeit sah, wie unsere romantik, in Antigone und Elektra das höchste 25). Entsprechend ist die stellung dieser kreise zur komödie. die der gegen- wart gilt ihr nichts, dagegen holt sie die von Aristoteles und seiner schule zurückgesetzte alte komödie vor, die zudem den sprachlichen glossogra- phischen studien eine überreiche ausbeute bot. für die alte komödie ist das dritte jahrhundert das fruchtbarste gewesen, während es für die tragödie fast ausfällt. schon Lykophron 26), dann Euphronios, dann Era- tosthenes haben ihr grammatische arbeit zugewandt: und hier steht der allerdings vereinzelte versuch der reproduction am ende, aber auch er findet an Dioskorides den herold seines lobes. Machon von Alexandria, sonst verfasser sehr salopp und modern gehaltener anekdoten in versen, hat ‘den bitteren thymian’ vom Hymettos an den Nil zu verpflanzen ver- sucht. derselbe Machon war neben Kallimachos und Dionysios Iambos der lehrer des gröſsten antiken grammatikers, der, als die blume der alexandrinischen poesie im verdorren war, den richtigen schritt tat, die alexandrinische und die peripatetische philologie zu vereinen, die philo- logie in dem uns geläufigen sinne zu schaffen, und die texte der classiker festzustellen. seine aesthetische überzeugung gieng nicht mit seinem lehrer; er hat Menander in versen verherrlicht, und die classiker, die wir so nennen und deren besitz wir ihm, wenn einem menschen, danken, alle mit der rechten philologenliebe gehegt und gepflegt. auch für die textgeschichte der tragiker ist die ausgabe des Aristophanes epoche- machend. Von dieser ausgabe sich ein möglichst klares bild zu machen, ist eine hauptbedingung für einsichtige beurteilung unseres erhaltenen textes. es ist wahr, daſs die directen zeugnisse nichts als ein par einzelnheiten geben, allein die allgemeinen erwägungen helfen sehr viel weiter. und sie sind verwendbar, denn wenn wir auch davon absehen wollten, daſs Aristophanes unseren text fundirt hat, so müſste das doch irgend jemand getan haben, und dieses unbekannten mannes tun müſsten wir uns ver- Aristo- phanes von Byzanz. 25) Dioskorides Anth. Pal. 7, 37. ähnlich urteilte der philosoph Polemon (Antig. Kar. s. 65). 26) Noch ein anderer tragiker der pleias hat über die komödie geschrieben, Dionysiades, Suid. s. v.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/157>, abgerufen am 21.11.2024.