Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Verfall der cultur im 2. jahrhundert n. Chr. Aristophanesscholien. selten. und die schule selbst führte zur auswahl und festen ordnungder lesestücke. diese einrichtung hat natürlich nicht im entferntesten bezweckt, die ausgeschlossenen werke in vergessenheit zu stürzen, was auch wenigstens für die komödie lange noch nicht eintrat, und nirgend ist das unheil so schnell gekommen wie für die tragödie und Pindar. dass es überhaupt kommen konnte, bleibt unbegreiflich und findet deshalb keinen glauben, wenn man nicht die ganze geistige temperatur des zweiten jahrhunderts ermisst. der unbekannte mann, der für Pindar, der eben so unbekannte, der für die tragödie den entscheidenden schritt tat, war auch kein an sich bedeutender mann, so dass wir an seinem namen nicht viel verloren haben. er würde selbst staunen über den erfolg seiner schul- ausgabe. aber das ist eben das charakteristische für die zeit des verfalles, dass die letzte leistung, wie sie auch ist, kanonisch wird, weil keine weitere kommt, und so die folgezeit beherrscht. Ptolemaios als astronom und geograph, Galen als mediciner, Apollonios und Herodian als sprach- gelehrte sind zwar in vieler hinsicht achtunggebietend, aber ihre geistige bedeutung ist wahrlich nicht danach angetan, ihre herrschaft über die jahrhunderte als berechtigt erscheinen zu lassen. nicht ihrer kraft, der schwäche der andern danken sie ihre machtstellung. die wissenschaft muss diese machtstellung zertrümmern um über sie zu der wirklich wissen- schaftlichen ebenbürtigen arbeit des Hellenentums aufzusteigen. und sehr viel geringere leute haben in ihrem kreise eben so abschliessend gewirkt, Diogenian für die nichtatticistische lexicographie, Zenobius für die sprich- wörter, Herennius Philo für die synonymik, Heliodor und Hephaestion für die metrik, Dionysios und Pausanias für die atticistischen handbücher, der erstere auch für die dichter- und musikgeschichte. in denselben rang und dieselbe zeit gehören die begründer unserer schulauswahlen, mögen wir sie benennen können oder nicht. Dies ist möglich für Aristophanes, dessen überlieferung überhauptAristopha- 111) Symmachos citirt nicht nur specialschriften des Seleukos (Th. 840, 1175), sondern auch Epaphroditos (Ritt. 1150, Wesp. 332, durch die rückbeziehung gesichert. das Herodiancitat in den Rittern ist zusatz, wie die mangelnde verbindung plegma ti kte. zeigt). aber nicht bloss Herodian ist ihm selbstverständlich fremd, sondern auch dessen vater Apollonios (Plut. 103, Frö. 826, Ritt. 22: alle andern Apollonios- citate gehören dem sohne des Chairis, über den Kydathen 134), und Irenaeus (Pl. 75. Wesp. 900): denn diese geben nur tonika, und solche dinge sind dem Symmachos fremd. auch Sallustius und Telephus (2. jahrhundert) stehen in einem der antiquarischen scholien des Plutos (725), die sich von selbst absondern. Phrynichos ist durch Hero- dian, mit dem er Fried. 618 verbunden ist, ausgeschlossen, und selbst Palamedes 12*
Verfall der cultur im 2. jahrhundert n. Chr. Aristophanesscholien. selten. und die schule selbst führte zur auswahl und festen ordnungder lesestücke. diese einrichtung hat natürlich nicht im entferntesten bezweckt, die ausgeschlossenen werke in vergessenheit zu stürzen, was auch wenigstens für die komödie lange noch nicht eintrat, und nirgend ist das unheil so schnell gekommen wie für die tragödie und Pindar. daſs es überhaupt kommen konnte, bleibt unbegreiflich und findet deshalb keinen glauben, wenn man nicht die ganze geistige temperatur des zweiten jahrhunderts ermiſst. der unbekannte mann, der für Pindar, der eben so unbekannte, der für die tragödie den entscheidenden schritt tat, war auch kein an sich bedeutender mann, so daſs wir an seinem namen nicht viel verloren haben. er würde selbst staunen über den erfolg seiner schul- ausgabe. aber das ist eben das charakteristische für die zeit des verfalles, daſs die letzte leistung, wie sie auch ist, kanonisch wird, weil keine weitere kommt, und so die folgezeit beherrscht. Ptolemaios als astronom und geograph, Galen als mediciner, Apollonios und Herodian als sprach- gelehrte sind zwar in vieler hinsicht achtunggebietend, aber ihre geistige bedeutung ist wahrlich nicht danach angetan, ihre herrschaft über die jahrhunderte als berechtigt erscheinen zu lassen. nicht ihrer kraft, der schwäche der andern danken sie ihre machtstellung. die wissenschaft muſs diese machtstellung zertrümmern um über sie zu der wirklich wissen- schaftlichen ebenbürtigen arbeit des Hellenentums aufzusteigen. und sehr viel geringere leute haben in ihrem kreise eben so abschlieſsend gewirkt, Diogenian für die nichtatticistische lexicographie, Zenobius für die sprich- wörter, Herennius Philo für die synonymik, Heliodor und Hephaestion für die metrik, Dionysios und Pausanias für die atticistischen handbücher, der erstere auch für die dichter- und musikgeschichte. in denselben rang und dieselbe zeit gehören die begründer unserer schulauswahlen, mögen wir sie benennen können oder nicht. Dies ist möglich für Aristophanes, dessen überlieferung überhauptAristopha- 111) Symmachos citirt nicht nur specialschriften des Seleukos (Th. 840, 1175), sondern auch Epaphroditos (Ritt. 1150, Wesp. 332, durch die rückbeziehung gesichert. das Herodiancitat in den Rittern ist zusatz, wie die mangelnde verbindung πλέγμα τι κτέ. zeigt). aber nicht bloſs Herodian ist ihm selbstverständlich fremd, sondern auch dessen vater Apollonios (Plut. 103, Frö. 826, Ritt. 22: alle andern Apollonios- citate gehören dem sohne des Chairis, über den Kydathen 134), und Irenaeus (Pl. 75. Wesp. 900): denn diese geben nur τονικά, und solche dinge sind dem Symmachos fremd. auch Sallustius und Telephus (2. jahrhundert) stehen in einem der antiquarischen scholien des Plutos (725), die sich von selbst absondern. Phrynichos ist durch Hero- dian, mit dem er Fried. 618 verbunden ist, ausgeschlossen, und selbst Palamedes 12*
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Verfall der cultur im 2. jahrhundert n. Chr. Aristophanesscholien.
selten. und die schule selbst führte zur auswahl und festen ordnung
der lesestücke. diese einrichtung hat natürlich nicht im entferntesten
bezweckt, die ausgeschlossenen werke in vergessenheit zu stürzen, was
auch wenigstens für die komödie lange noch nicht eintrat, und nirgend
ist das unheil so schnell gekommen wie für die tragödie und Pindar. daſs
es überhaupt kommen konnte, bleibt unbegreiflich und findet deshalb
keinen glauben, wenn man nicht die ganze geistige temperatur des zweiten
jahrhunderts ermiſst. der unbekannte mann, der für Pindar, der eben
so unbekannte, der für die tragödie den entscheidenden schritt tat, war
auch kein an sich bedeutender mann, so daſs wir an seinem namen nicht
viel verloren haben. er würde selbst staunen über den erfolg seiner schul-
ausgabe. aber das ist eben das charakteristische für die zeit des verfalles,
daſs die letzte leistung, wie sie auch ist, kanonisch wird, weil keine
weitere kommt, und so die folgezeit beherrscht. Ptolemaios als astronom
und geograph, Galen als mediciner, Apollonios und Herodian als sprach-
gelehrte sind zwar in vieler hinsicht achtunggebietend, aber ihre geistige
bedeutung ist wahrlich nicht danach angetan, ihre herrschaft über die
jahrhunderte als berechtigt erscheinen zu lassen. nicht ihrer kraft, der
schwäche der andern danken sie ihre machtstellung. die wissenschaft muſs
diese machtstellung zertrümmern um über sie zu der wirklich wissen-
schaftlichen ebenbürtigen arbeit des Hellenentums aufzusteigen. und sehr
viel geringere leute haben in ihrem kreise eben so abschlieſsend gewirkt,
Diogenian für die nichtatticistische lexicographie, Zenobius für die sprich-
wörter, Herennius Philo für die synonymik, Heliodor und Hephaestion
für die metrik, Dionysios und Pausanias für die atticistischen handbücher,
der erstere auch für die dichter- und musikgeschichte. in denselben rang
und dieselbe zeit gehören die begründer unserer schulauswahlen, mögen
wir sie benennen können oder nicht.
Dies ist möglich für Aristophanes, dessen überlieferung überhaupt
die reichste ist. da hat Symmachos 111) die maſsgebende ausgabe gemacht,
Aristopha-
nesscholien.
111) Symmachos citirt nicht nur specialschriften des Seleukos (Th. 840, 1175),
sondern auch Epaphroditos (Ritt. 1150, Wesp. 332, durch die rückbeziehung gesichert.
das Herodiancitat in den Rittern ist zusatz, wie die mangelnde verbindung πλέγμα
τι κτέ. zeigt). aber nicht bloſs Herodian ist ihm selbstverständlich fremd, sondern
auch dessen vater Apollonios (Plut. 103, Frö. 826, Ritt. 22: alle andern Apollonios-
citate gehören dem sohne des Chairis, über den Kydathen 134), und Irenaeus (Pl. 75.
Wesp. 900): denn diese geben nur τονικά, und solche dinge sind dem Symmachos
fremd. auch Sallustius und Telephus (2. jahrhundert) stehen in einem der antiquarischen
scholien des Plutos (725), die sich von selbst absondern. Phrynichos ist durch Hero-
dian, mit dem er Fried. 618 verbunden ist, ausgeschlossen, und selbst Palamedes
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