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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
schutzbedürfnis dessen der sich fürchtet und hilfe braucht ruft den furcht-
losen rettenden geist. alexikakos ist das beiwort, welches das wirken
bezeichnet, das der Athener von Herakles erwartet, kallinikos ist das
beiwort, in welchem er seine göttliche verklärung ausspricht. o tou Dios
pais kallinikos Erakles enthade katoikei; meden eisito kakon
schreibt der Athener auf seine schwelle: damit ist eigentlich alles gesagt.
wenigstens alles wesentliche. denn dass dieser wie jeder gott auch eine
universale potenz einschliesst, die im gottesbegriff an sich liegt, also sub-
jectiver glaube seine gegenwart bei einer beliebigen gelegenheit empfinden
kann, die nicht in den gewöhnlichen machtbereich des alexikakos fällt, ist
eigentlich selbstverständlich. dem Sophokles erscheint er im traume und
sagt ihm, wo eine verlorene silberne schale Athenas verborgen ist: zum
danke wird eine capelle des Erakles menutes errichtet. das ist nicht für
Herakles bezeichnend, sondern höchstens für den der also träumte. dass
die institutionen dorischer herkunft, die badestuben und turnplätze, sich
in den schutz des gottes stellten, dessen dorische herkunft jedermann
kannte, ist ebenso natürlich, und dann breitet er seinen schutz auch auf
die anderen dinge aus, welche den besuchern der turnplätze am herzen
liegen; er ergreift wie sie die laute und gesellt sich den Musen, er ergreift
wie sie den becher und gesellt sich dem Dionysos. die weitere entwickelung
des göttlichen wesens mag hierhin oder dahin gehen, das accessorische mag
schliesslich überwiegende wichtigkeit erlangen: für die erfassung der
alten echten religion kommt es alles nicht in betracht.

Grund-
bedeutung
der gestalt.

Kallinikos, alexikakos 39 a): das ist etwas grosses, aber es ist doch
nicht viel. kein Olympier lässt sich auf eine so kurze formel bringen.
und es ist auch dies nicht ohne den heros möglich. der allsieger muss
gestritten haben: gestritten freilich in anderer art als der vorkämpfer
der dorischen stämme, aber ein irdisches leben muss seiner jetzigen ver-
klärung vorausliegen. er würde jetzt vom hohen himmel herab nicht
in jeder gefährde unerschrocken und unüberwindlich eingreifen, wenn
er nicht einst selbst in jeder gefährde unerschrockenheit und unüber-
windlichkeit bewährt hätte. jetzt ist er gott, denn also wirkt er: aber
er muss mensch gewesen sein.

Mensch gewesen, gott geworden; mühen erduldet, himmel erworben:

39 a) Scharf und treffend drückt die hesiodische Eoee (Aspis 27) das wesen
aus. Zeus beschliesst den Herakles zu zeugen as Ra theoisin andrasi t alphe-
stesin ares alktera phuteusai. auch wenn Herakles der gatte der Hebe in Kos als
gott verehrt wird unter dem namen Alexis (Aristides 5 p. 60. Cornut. 31), so war die
religion jedermann klar: denn Alexis ist ja nur ein hypokoristikon zu Alexikakos.

Der Herakles der sage.
schutzbedürfnis dessen der sich fürchtet und hilfe braucht ruft den furcht-
losen rettenden geist. ἀλεξίκακος ist das beiwort, welches das wirken
bezeichnet, das der Athener von Herakles erwartet, καλλίνικος ist das
beiwort, in welchem er seine göttliche verklärung ausspricht. ὁ τοῦ Διὸς
παῖς καλλίνικος Ἡρακλῆς ἐνϑάδε κατοικεῖ· μηδὲν εἰσίτω κακόν
schreibt der Athener auf seine schwelle: damit ist eigentlich alles gesagt.
wenigstens alles wesentliche. denn daſs dieser wie jeder gott auch eine
universale potenz einschlieſst, die im gottesbegriff an sich liegt, also sub-
jectiver glaube seine gegenwart bei einer beliebigen gelegenheit empfinden
kann, die nicht in den gewöhnlichen machtbereich des ἀλεξίκακος fällt, ist
eigentlich selbstverständlich. dem Sophokles erscheint er im traume und
sagt ihm, wo eine verlorene silberne schale Athenas verborgen ist: zum
danke wird eine capelle des Ἡρακλῆς μηνυτής errichtet. das ist nicht für
Herakles bezeichnend, sondern höchstens für den der also träumte. daſs
die institutionen dorischer herkunft, die badestuben und turnplätze, sich
in den schutz des gottes stellten, dessen dorische herkunft jedermann
kannte, ist ebenso natürlich, und dann breitet er seinen schutz auch auf
die anderen dinge aus, welche den besuchern der turnplätze am herzen
liegen; er ergreift wie sie die laute und gesellt sich den Musen, er ergreift
wie sie den becher und gesellt sich dem Dionysos. die weitere entwickelung
des göttlichen wesens mag hierhin oder dahin gehen, das accessorische mag
schlieſslich überwiegende wichtigkeit erlangen: für die erfassung der
alten echten religion kommt es alles nicht in betracht.

Grund-
bedeutung
der gestalt.

Καλλίνικος, ἀλεξίκακος 39 a): das ist etwas groſses, aber es ist doch
nicht viel. kein Olympier läſst sich auf eine so kurze formel bringen.
und es ist auch dies nicht ohne den heros möglich. der allsieger muſs
gestritten haben: gestritten freilich in anderer art als der vorkämpfer
der dorischen stämme, aber ein irdisches leben muſs seiner jetzigen ver-
klärung vorausliegen. er würde jetzt vom hohen himmel herab nicht
in jeder gefährde unerschrocken und unüberwindlich eingreifen, wenn
er nicht einst selbst in jeder gefährde unerschrockenheit und unüber-
windlichkeit bewährt hätte. jetzt ist er gott, denn also wirkt er: aber
er muſs mensch gewesen sein.

Mensch gewesen, gott geworden; mühen erduldet, himmel erworben:

39 a) Scharf und treffend drückt die hesiodische Eoee (Aspis 27) das wesen
aus. Zeus beschlieſst den Herakles zu zeugen ἅς ῥα ϑεοῖσιν ἀνδράσι τ̕ ἀλφη-
στῇσιν ἀρῆς ἀλκτῆρα φυτεύσαι. auch wenn Herakles der gatte der Hebe in Kos als
gott verehrt wird unter dem namen Ἄλεξις (Aristides 5 p. 60. Cornut. 31), so war die
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[284/0304] Der Herakles der sage. schutzbedürfnis dessen der sich fürchtet und hilfe braucht ruft den furcht- losen rettenden geist. ἀλεξίκακος ist das beiwort, welches das wirken bezeichnet, das der Athener von Herakles erwartet, καλλίνικος ist das beiwort, in welchem er seine göttliche verklärung ausspricht. ὁ τοῦ Διὸς παῖς καλλίνικος Ἡρακλῆς ἐνϑάδε κατοικεῖ· μηδὲν εἰσίτω κακόν schreibt der Athener auf seine schwelle: damit ist eigentlich alles gesagt. wenigstens alles wesentliche. denn daſs dieser wie jeder gott auch eine universale potenz einschlieſst, die im gottesbegriff an sich liegt, also sub- jectiver glaube seine gegenwart bei einer beliebigen gelegenheit empfinden kann, die nicht in den gewöhnlichen machtbereich des ἀλεξίκακος fällt, ist eigentlich selbstverständlich. dem Sophokles erscheint er im traume und sagt ihm, wo eine verlorene silberne schale Athenas verborgen ist: zum danke wird eine capelle des Ἡρακλῆς μηνυτής errichtet. das ist nicht für Herakles bezeichnend, sondern höchstens für den der also träumte. daſs die institutionen dorischer herkunft, die badestuben und turnplätze, sich in den schutz des gottes stellten, dessen dorische herkunft jedermann kannte, ist ebenso natürlich, und dann breitet er seinen schutz auch auf die anderen dinge aus, welche den besuchern der turnplätze am herzen liegen; er ergreift wie sie die laute und gesellt sich den Musen, er ergreift wie sie den becher und gesellt sich dem Dionysos. die weitere entwickelung des göttlichen wesens mag hierhin oder dahin gehen, das accessorische mag schlieſslich überwiegende wichtigkeit erlangen: für die erfassung der alten echten religion kommt es alles nicht in betracht. Καλλίνικος, ἀλεξίκακος 39 a): das ist etwas groſses, aber es ist doch nicht viel. kein Olympier läſst sich auf eine so kurze formel bringen. und es ist auch dies nicht ohne den heros möglich. der allsieger muſs gestritten haben: gestritten freilich in anderer art als der vorkämpfer der dorischen stämme, aber ein irdisches leben muſs seiner jetzigen ver- klärung vorausliegen. er würde jetzt vom hohen himmel herab nicht in jeder gefährde unerschrocken und unüberwindlich eingreifen, wenn er nicht einst selbst in jeder gefährde unerschrockenheit und unüber- windlichkeit bewährt hätte. jetzt ist er gott, denn also wirkt er: aber er muſs mensch gewesen sein. Mensch gewesen, gott geworden; mühen erduldet, himmel erworben: 39 a) Scharf und treffend drückt die hesiodische Eoee (Aspis 27) das wesen aus. Zeus beschlieſst den Herakles zu zeugen ἅς ῥα ϑεοῖσιν ἀνδράσι τ̕ ἀλφη- στῇσιν ἀρῆς ἀλκτῆρα φυτεύσαι. auch wenn Herakles der gatte der Hebe in Kos als gott verehrt wird unter dem namen Ἄλεξις (Aristides 5 p. 60. Cornut. 31), so war die religion jedermann klar: denn Ἄλεξις ist ja nur ein hypokoristikon zu Ἀλεξίκακος.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/304>, abgerufen am 21.11.2024.