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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der dodekathlos.

Auch wo die Thraker wohnen, von denen Herakles die rosse holt,
ist zunächst nicht zu sagen. denn der ansatz bei den Bistonern ist eine
umbildung unter ganz bestimmtem geschichtlichem einflusse 67), und die
ältere erzählung fehlt. nur so viel ist klar, dass der besitzer ein Thraker
gewesen sein muss, denn dieser anhalt ermöglichte die verschiebung des
abenteuers in den hohen norden. und da liegt es sehr nahe, die Thraker,
welche die argolische sage meinte, in der nähe zu suchen: am Kithairon
und Helikon. dort ist für die Athener wenigstens auch Thrakien ge-
wesen 68). die rosse sind nicht ungeheuer, welche vertilgt werden sollen,
sondern sie werden geholt als ein köstlicher besitz, und man leitet die
pferderace des ippion Argos von ihnen ab 69). dass sie menschenfleisch
fressen erhöht nur die vorstellung von ihrer ungezähmten wildheit und von
der kraft dessen, der sie vor den wagen gespannt hat. ihr besitzer ist
ein böser könig aus nordischem geblüte, führt aber einen hellenischen
namen, und zwar den des altargolischen helden aus nordischem geblüte,
von welchem Homer den erwerb und besitz der edelsten rosse ausführ-
lich berichtet. es hat gar nichts auffallendes, wenn die Dorer, welche
Sthenelos zum vater des Eurystheus machten, Diomedes als feind des
Herakles einführen und seine rosse ihrem heros zum preise geben. dass
die personen unterschieden wurden, sobald Homer sich auch die dorische
phantasie unterwarf, ist ebenso natürlich. nun kommt aber hinzu, dass
menschenfressende rosse wirklich auf dem boeotisch-thrakischen gebiete
erscheinen, in Potniai, wo sie Glaukos von Korinth zerrissen haben, also
einen gefreundeten des Diomedes, und dass der zusammenhang der rosse
des Glaukos mit denen des Diomedes auch in der mythographischen
tradition spuren hinterlassen hat 70). können wir also auch die argolische

67) Vgl. zu v. 380.
68) Auch wer die realität dieser helikonischen Thraker durch Orpheus, Eumolpos,
Tereus, Musen und Dionysoscult nicht erwiesen glaubt, muss aus den attischen
sagen die annahme mythischer Thraker in dieser gegend für das angehende 6. jahr-
hundert doch zugeben, und kann diese mythischen Thraker gut und gern auch in
älterer sage leben lassen. es ist die autochthone bevölkerung, gegen die ebensowol
die Boeoter wie die Korinther wie die Eleusinier sich wenden mussten, verwandt
den Graern.
69) So erzählt nicht nur Matris (Diodor IV 15), sondern auch die hübsche
geschichte vom equus Seianus, die Gellius III 9 nach Gavius Bassus erzählt, setzt
den lebendigen glauben für die ciceronische zeit voraus.
70) Auch Glaukos nährte seine rosse mit menschenfleisch: so Asklepiades von
Tragilos bei Prob. zu Verg. Gerg. III 267, wo die verschiedenen scholienredactionen
reichliches beibringen, darunter auch die identificirung der pferde des Glaukos mit
denen des Diomedes. und Glaukos heisst selbst ein Thraker, schol. Eur. Phoen. 1124.
Der dodekathlos.

Auch wo die Thraker wohnen, von denen Herakles die rosse holt,
ist zunächst nicht zu sagen. denn der ansatz bei den Bistonern ist eine
umbildung unter ganz bestimmtem geschichtlichem einflusse 67), und die
ältere erzählung fehlt. nur so viel ist klar, daſs der besitzer ein Thraker
gewesen sein muſs, denn dieser anhalt ermöglichte die verschiebung des
abenteuers in den hohen norden. und da liegt es sehr nahe, die Thraker,
welche die argolische sage meinte, in der nähe zu suchen: am Kithairon
und Helikon. dort ist für die Athener wenigstens auch Thrakien ge-
wesen 68). die rosse sind nicht ungeheuer, welche vertilgt werden sollen,
sondern sie werden geholt als ein köstlicher besitz, und man leitet die
pferderace des ἵππιον Ἄργος von ihnen ab 69). daſs sie menschenfleisch
fressen erhöht nur die vorstellung von ihrer ungezähmten wildheit und von
der kraft dessen, der sie vor den wagen gespannt hat. ihr besitzer ist
ein böser könig aus nordischem geblüte, führt aber einen hellenischen
namen, und zwar den des altargolischen helden aus nordischem geblüte,
von welchem Homer den erwerb und besitz der edelsten rosse ausführ-
lich berichtet. es hat gar nichts auffallendes, wenn die Dorer, welche
Sthenelos zum vater des Eurystheus machten, Diomedes als feind des
Herakles einführen und seine rosse ihrem heros zum preise geben. daſs
die personen unterschieden wurden, sobald Homer sich auch die dorische
phantasie unterwarf, ist ebenso natürlich. nun kommt aber hinzu, daſs
menschenfressende rosse wirklich auf dem boeotisch-thrakischen gebiete
erscheinen, in Potniai, wo sie Glaukos von Korinth zerrissen haben, also
einen gefreundeten des Diomedes, und daſs der zusammenhang der rosse
des Glaukos mit denen des Diomedes auch in der mythographischen
tradition spuren hinterlassen hat 70). können wir also auch die argolische

67) Vgl. zu v. 380.
68) Auch wer die realität dieser helikonischen Thraker durch Orpheus, Eumolpos,
Tereus, Musen und Dionysoscult nicht erwiesen glaubt, muſs aus den attischen
sagen die annahme mythischer Thraker in dieser gegend für das angehende 6. jahr-
hundert doch zugeben, und kann diese mythischen Thraker gut und gern auch in
älterer sage leben lassen. es ist die autochthone bevölkerung, gegen die ebensowol
die Boeoter wie die Korinther wie die Eleusinier sich wenden muſsten, verwandt
den Graern.
69) So erzählt nicht nur Matris (Diodor IV 15), sondern auch die hübsche
geschichte vom equus Seianus, die Gellius III 9 nach Gavius Bassus erzählt, setzt
den lebendigen glauben für die ciceronische zeit voraus.
70) Auch Glaukos nährte seine rosse mit menschenfleisch: so Asklepiades von
Tragilos bei Prob. zu Verg. Gerg. III 267, wo die verschiedenen scholienredactionen
reichliches beibringen, darunter auch die identificirung der pferde des Glaukos mit
denen des Diomedes. und Glaukos heiſst selbst ein Thraker, schol. Eur. Phoen. 1124.
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[303/0323] Der dodekathlos. Auch wo die Thraker wohnen, von denen Herakles die rosse holt, ist zunächst nicht zu sagen. denn der ansatz bei den Bistonern ist eine umbildung unter ganz bestimmtem geschichtlichem einflusse 67), und die ältere erzählung fehlt. nur so viel ist klar, daſs der besitzer ein Thraker gewesen sein muſs, denn dieser anhalt ermöglichte die verschiebung des abenteuers in den hohen norden. und da liegt es sehr nahe, die Thraker, welche die argolische sage meinte, in der nähe zu suchen: am Kithairon und Helikon. dort ist für die Athener wenigstens auch Thrakien ge- wesen 68). die rosse sind nicht ungeheuer, welche vertilgt werden sollen, sondern sie werden geholt als ein köstlicher besitz, und man leitet die pferderace des ἵππιον Ἄργος von ihnen ab 69). daſs sie menschenfleisch fressen erhöht nur die vorstellung von ihrer ungezähmten wildheit und von der kraft dessen, der sie vor den wagen gespannt hat. ihr besitzer ist ein böser könig aus nordischem geblüte, führt aber einen hellenischen namen, und zwar den des altargolischen helden aus nordischem geblüte, von welchem Homer den erwerb und besitz der edelsten rosse ausführ- lich berichtet. es hat gar nichts auffallendes, wenn die Dorer, welche Sthenelos zum vater des Eurystheus machten, Diomedes als feind des Herakles einführen und seine rosse ihrem heros zum preise geben. daſs die personen unterschieden wurden, sobald Homer sich auch die dorische phantasie unterwarf, ist ebenso natürlich. nun kommt aber hinzu, daſs menschenfressende rosse wirklich auf dem boeotisch-thrakischen gebiete erscheinen, in Potniai, wo sie Glaukos von Korinth zerrissen haben, also einen gefreundeten des Diomedes, und daſs der zusammenhang der rosse des Glaukos mit denen des Diomedes auch in der mythographischen tradition spuren hinterlassen hat 70). können wir also auch die argolische 67) Vgl. zu v. 380. 68) Auch wer die realität dieser helikonischen Thraker durch Orpheus, Eumolpos, Tereus, Musen und Dionysoscult nicht erwiesen glaubt, muſs aus den attischen sagen die annahme mythischer Thraker in dieser gegend für das angehende 6. jahr- hundert doch zugeben, und kann diese mythischen Thraker gut und gern auch in älterer sage leben lassen. es ist die autochthone bevölkerung, gegen die ebensowol die Boeoter wie die Korinther wie die Eleusinier sich wenden muſsten, verwandt den Graern. 69) So erzählt nicht nur Matris (Diodor IV 15), sondern auch die hübsche geschichte vom equus Seianus, die Gellius III 9 nach Gavius Bassus erzählt, setzt den lebendigen glauben für die ciceronische zeit voraus. 70) Auch Glaukos nährte seine rosse mit menschenfleisch: so Asklepiades von Tragilos bei Prob. zu Verg. Gerg. III 267, wo die verschiedenen scholienredactionen reichliches beibringen, darunter auch die identificirung der pferde des Glaukos mit denen des Diomedes. und Glaukos heiſst selbst ein Thraker, schol. Eur. Phoen. 1124.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/323>, abgerufen am 22.11.2024.