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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
auf dem Kenaion, mit welchem Herakles dem Zeus für die vollendung
seiner irdischen mühen dankt, ist in wahrheit kein anderes, als das, wozu
er auf dem Oeta den scheiterhaufen erbaut. und auch Sophokles, der
doch kurz vorher die Deianeirasage mit allen ihren consequenzen dar-
gestellt hatte, empfand das grosse würdig, als er den chor des Philoktetes
die heimkehr wünschen liess nach dem vaterlande, in o khalkaspis aner
theois plathe theos theio puri pamphaes Oitas uper okhthas (736).

Wie aus den flammen des oetäischen feuers der aner theos sich
emporhob, so tritt er in ursprünglicher erhabenheit aus den oetäischen
sagen hervor, wenn das feuer der kritischen analyse sie läutert und das
irdisch-epische wegschmelzt. erst die epik, welche ihn zu einem ganzen
menschen, aber auch zu einem blossen menschen machte, hat ihm irdische
schwäche, den mord des Iphitos, irdische strafe, die knechtschaft, irdische
liebe und irdisches siechtum verliehen. ursprünglich ist dem oetäischen
Herakles all das nicht minder fremd gewesen als dem argolischen.

Der kinder-
mord.

Aber eine sage scheint ihn doch in tiefster schuld verstrickt zu
zeigen: der kindermord. prüfen wir, was wir von ihm als ursprünglich
ansehen dürfen, und halten wir dabei vor allen dingen das euripideische
drama ganz fern. vor dem elektrischen tore in Theben lag das Herakles-
heiligtum. da zeigte man sein geburtshaus, manches andere denkzeichen
und auch ein grabmal, welches die kinder bergen sollte, die Megara,
Kreons tochter, ihm geboren, und er im wahnsinne, den Hera gesandt
hatte, in das feuer geworfen und verbrannt hatte. so viel dürfen wir
mit einiger wahrscheinlichkeit als alte sage betrachten. das grab der acht
erzbewehrten Megarasöhne, an welchem bei sonnenuntergang totenopfer
gebracht wurden, erwähnt der zuverlässigste zeuge, Pindaros 108). er gibt

108) Isthm. 3, 105, welchen Pausan. IX 11, was das örtliche angeht, gut er-
läutert. den mord erwähnt Pindar nicht, verherrlicht er doch den Her. und sein
thebanisches fest. er nennt die totenopfer khalkoaran okto thanonton tous teke
oi Megara Kreontis uious. darin kann also khalkoaras nicht mit den scholien als
biothanatos gefasst werden, und Memnona khalkoaran I. 5, 51 muss etwas wie 'mit
erz bewehrt, mit erz kämpfend' bedeuten, tektonon kheriaran P. 5, 35 irgendwie die
handfertigkeit hervorheben. die scholien raten nur, die modernen haben auch nichts
gefunden; an die wurzel ar darf heute niemand mehr denken; man sucht ein War,
das doch nicht da ist. aber auch wenn man eingesteht, dass man das wort eigentlich
nicht versteht, bleibt es seltsam, dass die kinder dasselbe beiwort wie Memnon
führen. doch das ist verständlich. an die knäblein des Euripides sollen wir nicht
denken: die Thebaner opfern heroen, und diese denkt man sich, zumal wenn es
Herakleskinder sind, gewappnet. dass Pindar die altäre neodmata nennt, ist nicht weg
zu deuten, aber es kann auch verstanden werden. bei der belagerung 479 waren die

Der Herakles der sage.
auf dem Kenaion, mit welchem Herakles dem Zeus für die vollendung
seiner irdischen mühen dankt, ist in wahrheit kein anderes, als das, wozu
er auf dem Oeta den scheiterhaufen erbaut. und auch Sophokles, der
doch kurz vorher die Deianeirasage mit allen ihren consequenzen dar-
gestellt hatte, empfand das groſse würdig, als er den chor des Philoktetes
die heimkehr wünschen lieſs nach dem vaterlande, ἵν̕ ὁ χάλκασπις ἀνὴρ
ϑεοῖς πλάϑη ϑεὸς ϑείῳ πυρὶ παμφαὴς Οἴτας ὑπὲρ ὄχϑας (736).

Wie aus den flammen des oetäischen feuers der ἀνὴρ ϑεός sich
emporhob, so tritt er in ursprünglicher erhabenheit aus den oetäischen
sagen hervor, wenn das feuer der kritischen analyse sie läutert und das
irdisch-epische wegschmelzt. erst die epik, welche ihn zu einem ganzen
menschen, aber auch zu einem bloſsen menschen machte, hat ihm irdische
schwäche, den mord des Iphitos, irdische strafe, die knechtschaft, irdische
liebe und irdisches siechtum verliehen. ursprünglich ist dem oetäischen
Herakles all das nicht minder fremd gewesen als dem argolischen.

Der kinder-
mord.

Aber eine sage scheint ihn doch in tiefster schuld verstrickt zu
zeigen: der kindermord. prüfen wir, was wir von ihm als ursprünglich
ansehen dürfen, und halten wir dabei vor allen dingen das euripideische
drama ganz fern. vor dem elektrischen tore in Theben lag das Herakles-
heiligtum. da zeigte man sein geburtshaus, manches andere denkzeichen
und auch ein grabmal, welches die kinder bergen sollte, die Megara,
Kreons tochter, ihm geboren, und er im wahnsinne, den Hera gesandt
hatte, in das feuer geworfen und verbrannt hatte. so viel dürfen wir
mit einiger wahrscheinlichkeit als alte sage betrachten. das grab der acht
erzbewehrten Megarasöhne, an welchem bei sonnenuntergang totenopfer
gebracht wurden, erwähnt der zuverlässigste zeuge, Pindaros 108). er gibt

108) Isthm. 3, 105, welchen Pausan. IX 11, was das örtliche angeht, gut er-
läutert. den mord erwähnt Pindar nicht, verherrlicht er doch den Her. und sein
thebanisches fest. er nennt die totenopfer χαλκοαρᾶν ὀκτὼ ϑανόντων τοὺς τέκε
οἱ Μεγάρα Κρεοντὶς υἱούς. darin kann also χαλκοάρας nicht mit den scholien als
βιοϑάνατος gefaſst werden, und Μέμνονα χαλκοάραν I. 5, 51 muſs etwas wie ‘mit
erz bewehrt, mit erz kämpfend’ bedeuten, τεκτόνων χεριαρᾶν P. 5, 35 irgendwie die
handfertigkeit hervorheben. die scholien raten nur, die modernen haben auch nichts
gefunden; an die wurzel αρ darf heute niemand mehr denken; man sucht ein Ϝαρ,
das doch nicht da ist. aber auch wenn man eingesteht, daſs man das wort eigentlich
nicht versteht, bleibt es seltsam, daſs die kinder dasselbe beiwort wie Memnon
führen. doch das ist verständlich. an die knäblein des Euripides sollen wir nicht
denken: die Thebaner opfern heroen, und diese denkt man sich, zumal wenn es
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[322/0342] Der Herakles der sage. auf dem Kenaion, mit welchem Herakles dem Zeus für die vollendung seiner irdischen mühen dankt, ist in wahrheit kein anderes, als das, wozu er auf dem Oeta den scheiterhaufen erbaut. und auch Sophokles, der doch kurz vorher die Deianeirasage mit allen ihren consequenzen dar- gestellt hatte, empfand das groſse würdig, als er den chor des Philoktetes die heimkehr wünschen lieſs nach dem vaterlande, ἵν̕ ὁ χάλκασπις ἀνὴρ ϑεοῖς πλάϑη ϑεὸς ϑείῳ πυρὶ παμφαὴς Οἴτας ὑπὲρ ὄχϑας (736). Wie aus den flammen des oetäischen feuers der ἀνὴρ ϑεός sich emporhob, so tritt er in ursprünglicher erhabenheit aus den oetäischen sagen hervor, wenn das feuer der kritischen analyse sie läutert und das irdisch-epische wegschmelzt. erst die epik, welche ihn zu einem ganzen menschen, aber auch zu einem bloſsen menschen machte, hat ihm irdische schwäche, den mord des Iphitos, irdische strafe, die knechtschaft, irdische liebe und irdisches siechtum verliehen. ursprünglich ist dem oetäischen Herakles all das nicht minder fremd gewesen als dem argolischen. Aber eine sage scheint ihn doch in tiefster schuld verstrickt zu zeigen: der kindermord. prüfen wir, was wir von ihm als ursprünglich ansehen dürfen, und halten wir dabei vor allen dingen das euripideische drama ganz fern. vor dem elektrischen tore in Theben lag das Herakles- heiligtum. da zeigte man sein geburtshaus, manches andere denkzeichen und auch ein grabmal, welches die kinder bergen sollte, die Megara, Kreons tochter, ihm geboren, und er im wahnsinne, den Hera gesandt hatte, in das feuer geworfen und verbrannt hatte. so viel dürfen wir mit einiger wahrscheinlichkeit als alte sage betrachten. das grab der acht erzbewehrten Megarasöhne, an welchem bei sonnenuntergang totenopfer gebracht wurden, erwähnt der zuverlässigste zeuge, Pindaros 108). er gibt 108) Isthm. 3, 105, welchen Pausan. IX 11, was das örtliche angeht, gut er- läutert. den mord erwähnt Pindar nicht, verherrlicht er doch den Her. und sein thebanisches fest. er nennt die totenopfer χαλκοαρᾶν ὀκτὼ ϑανόντων τοὺς τέκε οἱ Μεγάρα Κρεοντὶς υἱούς. darin kann also χαλκοάρας nicht mit den scholien als βιοϑάνατος gefaſst werden, und Μέμνονα χαλκοάραν I. 5, 51 muſs etwas wie ‘mit erz bewehrt, mit erz kämpfend’ bedeuten, τεκτόνων χεριαρᾶν P. 5, 35 irgendwie die handfertigkeit hervorheben. die scholien raten nur, die modernen haben auch nichts gefunden; an die wurzel αρ darf heute niemand mehr denken; man sucht ein Ϝαρ, das doch nicht da ist. aber auch wenn man eingesteht, daſs man das wort eigentlich nicht versteht, bleibt es seltsam, daſs die kinder dasselbe beiwort wie Memnon führen. doch das ist verständlich. an die knäblein des Euripides sollen wir nicht denken: die Thebaner opfern heroen, und diese denkt man sich, zumal wenn es Herakleskinder sind, gewappnet. daſs Pindar die altäre νεόδματα nennt, ist nicht weg zu deuten, aber es kann auch verstanden werden. bei der belagerung 479 waren die

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/342>, abgerufen am 21.11.2024.