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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
die hochzeit mit Hehe travestirt hatte 124). man muss diese tatsachen in
ihrem gewichte schätzen, damit man die kühnheit würdige, welche darin
lag, dass Euripides als greis Herakles selbst zum gegenstande einer tragödie
machte, welche die tiefe seines wesens mit unter die voraussetzungen
aufnahm, aber jeden schatten des burlesken dorischen wesens ausschloss.
ihm ist schleunigst Sophokles mit den Trachinierinnen gefolgt und hat
ein anderes hauptstück der sage dramatisirt: beide freilich schon episch
umgebildete geschichten übernehmend. andere versuche sind gemacht
worden; aber ohne dauernden erfolg.

Sophokles liess den Herakles selbst in seiner conventionellen archaischen
stilisirung und rückte deshalb eine andere person in den mittelpunkt seines
dramas. Euripides versuchte an der sage selbst fortzudichten, aber in
einem sinne, welcher sie eigentlich aufhob. das folgende capitel wird
zeigen, in welchem sinne er die gebrechlichkeit und die kraft der menschen-
natur in Herakles zugleich verkörpert hat, wie er zugleich die sage ver-
klärt und zerstört hat. es war das nur dadurch möglich, dass er zu der
Heraklesreligion kein verhältnis hatte, nicht bloss als Athener, sondern auch
als sophist, dass er aber als dichter die poesie zu würdigen wusste, wie es
nur je ein Dorer getan hatte. so machte er ein experiment damit, ein
schöneres als andere zeitgenossen, aber doch gleicher art. nicht viel später
hat Herodoros, ein Herakleote, also aus einer stadt, die wie wenige den
heros hoch hielt, den ersten pragmatischen roman von Herakles geschrieben:
hier erhielt er eine bildungsgeschichte, ward ein portrait von ihm ge-
zeichnet, ward er ein heerkönig und politiker. wenn so die Dorer sich
ihre heldengeschichte retten wollten, so zeigt das nur, dass der geist ver-
flogen war. da verfuhren die sophisten würdiger und weit mehr im sinne
der alten dichtung, welche Herakles als einen typus für ihre moralischen
sätze ausnutzten. dazu gibt es selbst bei Pindar schon ansätze 125). wenn

124) Da Epicharm die Musen zu fischweibern gemacht hat, so kann man des
ärgsten gewärtig sein. die bruchstücke geben nur die witzlosesten kataloge von
den schätzen der Siculae dapes. sonst gehören sicher noch Erakles epi ton zostera
und E. par Pholo, Bouseis und wahrscheinlich Alkuoneus (so O. Jahn für Alkuoni,
das zweimal überliefert ist) in die Heraklessage.
125) Ihm ist offenbar der zweifel aufgestiegen, wo denn Her. ein recht auf die
rinder des Geryones hergehabt haben könnte. so hat er denn einmal ausgesprochen,
dass er Geryones für eben so löblich als Herakles hielte; er wolle nur von dem
nicht reden, was Zeus nicht wolgefällig wäre (es ist das berufene fgm. 81 welches
noch immer mit einem von Boeckh in daktyloepitriten umgeschriebenen satze be-
haftet ist, den Aristides selbst als erläuterung bezeichnet, und den für poesie zu
halten G. Hermann mit recht als einen mangel an poetischem gefühl gebrandmarkt

Der Herakles der sage.
die hochzeit mit Hehe travestirt hatte 124). man muſs diese tatsachen in
ihrem gewichte schätzen, damit man die kühnheit würdige, welche darin
lag, daſs Euripides als greis Herakles selbst zum gegenstande einer tragödie
machte, welche die tiefe seines wesens mit unter die voraussetzungen
aufnahm, aber jeden schatten des burlesken dorischen wesens ausschloſs.
ihm ist schleunigst Sophokles mit den Trachinierinnen gefolgt und hat
ein anderes hauptstück der sage dramatisirt: beide freilich schon episch
umgebildete geschichten übernehmend. andere versuche sind gemacht
worden; aber ohne dauernden erfolg.

Sophokles lieſs den Herakles selbst in seiner conventionellen archaischen
stilisirung und rückte deshalb eine andere person in den mittelpunkt seines
dramas. Euripides versuchte an der sage selbst fortzudichten, aber in
einem sinne, welcher sie eigentlich aufhob. das folgende capitel wird
zeigen, in welchem sinne er die gebrechlichkeit und die kraft der menschen-
natur in Herakles zugleich verkörpert hat, wie er zugleich die sage ver-
klärt und zerstört hat. es war das nur dadurch möglich, daſs er zu der
Heraklesreligion kein verhältnis hatte, nicht bloſs als Athener, sondern auch
als sophist, daſs er aber als dichter die poesie zu würdigen wuſste, wie es
nur je ein Dorer getan hatte. so machte er ein experiment damit, ein
schöneres als andere zeitgenossen, aber doch gleicher art. nicht viel später
hat Herodoros, ein Herakleote, also aus einer stadt, die wie wenige den
heros hoch hielt, den ersten pragmatischen roman von Herakles geschrieben:
hier erhielt er eine bildungsgeschichte, ward ein portrait von ihm ge-
zeichnet, ward er ein heerkönig und politiker. wenn so die Dorer sich
ihre heldengeschichte retten wollten, so zeigt das nur, daſs der geist ver-
flogen war. da verfuhren die sophisten würdiger und weit mehr im sinne
der alten dichtung, welche Herakles als einen typus für ihre moralischen
sätze ausnutzten. dazu gibt es selbst bei Pindar schon ansätze 125). wenn

124) Da Epicharm die Musen zu fischweibern gemacht hat, so kann man des
ärgsten gewärtig sein. die bruchstücke geben nur die witzlosesten kataloge von
den schätzen der Siculae dapes. sonst gehören sicher noch Ἡρακλῆς ἐπὶ τὸν ζωστῆρα
und Ἡ. πὰρ Φόλῳ, Βούσεις und wahrscheinlich Ἁλκυονεύς (so O. Jahn für Ἁλκυόνι,
das zweimal überliefert ist) in die Heraklessage.
125) Ihm ist offenbar der zweifel aufgestiegen, wo denn Her. ein recht auf die
rinder des Geryones hergehabt haben könnte. so hat er denn einmal ausgesprochen,
daſs er Geryones für eben so löblich als Herakles hielte; er wolle nur von dem
nicht reden, was Zeus nicht wolgefällig wäre (es ist das berufene fgm. 81 welches
noch immer mit einem von Boeckh in daktyloepitriten umgeschriebenen satze be-
haftet ist, den Aristides selbst als erläuterung bezeichnet, und den für poesie zu
halten G. Hermann mit recht als einen mangel an poetischem gefühl gebrandmarkt
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[334/0354] Der Herakles der sage. die hochzeit mit Hehe travestirt hatte 124). man muſs diese tatsachen in ihrem gewichte schätzen, damit man die kühnheit würdige, welche darin lag, daſs Euripides als greis Herakles selbst zum gegenstande einer tragödie machte, welche die tiefe seines wesens mit unter die voraussetzungen aufnahm, aber jeden schatten des burlesken dorischen wesens ausschloſs. ihm ist schleunigst Sophokles mit den Trachinierinnen gefolgt und hat ein anderes hauptstück der sage dramatisirt: beide freilich schon episch umgebildete geschichten übernehmend. andere versuche sind gemacht worden; aber ohne dauernden erfolg. Sophokles lieſs den Herakles selbst in seiner conventionellen archaischen stilisirung und rückte deshalb eine andere person in den mittelpunkt seines dramas. Euripides versuchte an der sage selbst fortzudichten, aber in einem sinne, welcher sie eigentlich aufhob. das folgende capitel wird zeigen, in welchem sinne er die gebrechlichkeit und die kraft der menschen- natur in Herakles zugleich verkörpert hat, wie er zugleich die sage ver- klärt und zerstört hat. es war das nur dadurch möglich, daſs er zu der Heraklesreligion kein verhältnis hatte, nicht bloſs als Athener, sondern auch als sophist, daſs er aber als dichter die poesie zu würdigen wuſste, wie es nur je ein Dorer getan hatte. so machte er ein experiment damit, ein schöneres als andere zeitgenossen, aber doch gleicher art. nicht viel später hat Herodoros, ein Herakleote, also aus einer stadt, die wie wenige den heros hoch hielt, den ersten pragmatischen roman von Herakles geschrieben: hier erhielt er eine bildungsgeschichte, ward ein portrait von ihm ge- zeichnet, ward er ein heerkönig und politiker. wenn so die Dorer sich ihre heldengeschichte retten wollten, so zeigt das nur, daſs der geist ver- flogen war. da verfuhren die sophisten würdiger und weit mehr im sinne der alten dichtung, welche Herakles als einen typus für ihre moralischen sätze ausnutzten. dazu gibt es selbst bei Pindar schon ansätze 125). wenn 124) Da Epicharm die Musen zu fischweibern gemacht hat, so kann man des ärgsten gewärtig sein. die bruchstücke geben nur die witzlosesten kataloge von den schätzen der Siculae dapes. sonst gehören sicher noch Ἡρακλῆς ἐπὶ τὸν ζωστῆρα und Ἡ. πὰρ Φόλῳ, Βούσεις und wahrscheinlich Ἁλκυονεύς (so O. Jahn für Ἁλκυόνι, das zweimal überliefert ist) in die Heraklessage. 125) Ihm ist offenbar der zweifel aufgestiegen, wo denn Her. ein recht auf die rinder des Geryones hergehabt haben könnte. so hat er denn einmal ausgesprochen, daſs er Geryones für eben so löblich als Herakles hielte; er wolle nur von dem nicht reden, was Zeus nicht wolgefällig wäre (es ist das berufene fgm. 81 welches noch immer mit einem von Boeckh in daktyloepitriten umgeschriebenen satze be- haftet ist, den Aristides selbst als erläuterung bezeichnet, und den für poesie zu halten G. Hermann mit recht als einen mangel an poetischem gefühl gebrandmarkt

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/354>, abgerufen am 22.11.2024.