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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles des Euripides.
selbst immer an neue aufgaben gewiesen, deren keine ihn oder uns voll
befriedigen kann. diese düstere weltanschauung, diese verbitterung ist
noch nicht vorhanden in Hiketiden und Erechtheus 421, sie beherrscht
in wahrhaft furchtbarer weise die troische tetralogie 415: wir werden
geneigt sein den Herakles zwischen diese jahre zu rücken. 421 ist Euri-
pides ein glühender verehrer seines heimischen staates und dient der
politik desselben: 415 spricht er ihr hohn und prophezeit dem vater-
lande den untergang. in die zwischenzeit fällt seine verbindung mit
Alkibiades. wir werden es niemals beweisen können, aber wir haben das
recht darüber zu sinnen, und wer den dichter lieb gewonnen und an
seiner sphäre lang gesogen hat, der hat auch das recht als seinen glauben
auszusprechen, dass das schicksal, welches Euripides leben verdüstert hat,
in desselben unheilvollen mannes dämonischer grösse liegt, welche auch
seinem vaterlande verhängnisvoll geworden ist, dass er es nicht verwunden
hat, sich in Alkibiades getäuscht zu haben. steikhomen oiktroi kai polu-
klautoi ta megista philon olesantes. so schliesst der Herakles: das
hat einen tiefen sinn, auch wenn wir es wider Euripides absicht in das
persönliche umdeuten.

Schau-
spielerver-
teilung.

Es mag dem eigenen nachdenken überlassen bleiben, all das licht
sich selbst zu suchen, das nun auf das einzelne zurückfällt, nachdem das
ganze verstanden ist. denn es ist ein eitles bemühen, die schönheiten
eines wahren kunstwerkes erschöpfen zu wollen. so wird man auch die
absicht des dichters jetzt leicht darin würdigen, dass er den ganz neuen
gedanken seines letzten teiles eine so stark von den scenen des wahn-
sinns abweichende gestalt gegeben hat: die exodos ist nicht ohne grund
im stile des modernen dramas gehalten. aber eines muss an der drama-
turgie noch hervorgehoben werden, das zunächst überraschend wirkt:
der titelheld wird von dem tritagonisten gegeben. stellen wir zunächst
die tatsache fest. zuverlässige überlieferung über die rollenverteilung gibt
es nicht und kann es nicht geben. wir sind also auf rückschlüsse aus
den dramen selbst angewiesen, und diese werden dadurch erschwert, dass
der dichter ja nicht ein sondern vier dramen zugleich auf die bühne
brachte und somit mehr momente in rechnung ziehen musste, als uns
kenntlich sind. dass der dichter aber seine schauspieler vorher kannte,
ist für die zeit der grossen dichter unzweifelhaft. eine trilogie ist uns
nun wenigstens erhalten, und ein einigermassen denkender leser der
Orestie kann nicht darüber schwanken, dass in ihr der erste schauspieler
Kassandra und Orestes gibt, der zweite Klytaimnestra Elektra Kilissa Pythias
Athena, der dritte den rest der rollen. der zweite schauspieler hat an

Der Herakles des Euripides.
selbst immer an neue aufgaben gewiesen, deren keine ihn oder uns voll
befriedigen kann. diese düstere weltanschauung, diese verbitterung ist
noch nicht vorhanden in Hiketiden und Erechtheus 421, sie beherrscht
in wahrhaft furchtbarer weise die troische tetralogie 415: wir werden
geneigt sein den Herakles zwischen diese jahre zu rücken. 421 ist Euri-
pides ein glühender verehrer seines heimischen staates und dient der
politik desselben: 415 spricht er ihr hohn und prophezeit dem vater-
lande den untergang. in die zwischenzeit fällt seine verbindung mit
Alkibiades. wir werden es niemals beweisen können, aber wir haben das
recht darüber zu sinnen, und wer den dichter lieb gewonnen und an
seiner sphäre lang gesogen hat, der hat auch das recht als seinen glauben
auszusprechen, daſs das schicksal, welches Euripides leben verdüstert hat,
in desselben unheilvollen mannes dämonischer gröſse liegt, welche auch
seinem vaterlande verhängnisvoll geworden ist, daſs er es nicht verwunden
hat, sich in Alkibiades getäuscht zu haben. στείχομεν οἰκτροὶ καὶ πολύ-
κλαυτοι τὰ μέγιστα φίλων ὀλέσαντες. so schlieſst der Herakles: das
hat einen tiefen sinn, auch wenn wir es wider Euripides absicht in das
persönliche umdeuten.

Schau-
spielerver-
teilung.

Es mag dem eigenen nachdenken überlassen bleiben, all das licht
sich selbst zu suchen, das nun auf das einzelne zurückfällt, nachdem das
ganze verstanden ist. denn es ist ein eitles bemühen, die schönheiten
eines wahren kunstwerkes erschöpfen zu wollen. so wird man auch die
absicht des dichters jetzt leicht darin würdigen, daſs er den ganz neuen
gedanken seines letzten teiles eine so stark von den scenen des wahn-
sinns abweichende gestalt gegeben hat: die exodos ist nicht ohne grund
im stile des modernen dramas gehalten. aber eines muſs an der drama-
turgie noch hervorgehoben werden, das zunächst überraschend wirkt:
der titelheld wird von dem tritagonisten gegeben. stellen wir zunächst
die tatsache fest. zuverlässige überlieferung über die rollenverteilung gibt
es nicht und kann es nicht geben. wir sind also auf rückschlüsse aus
den dramen selbst angewiesen, und diese werden dadurch erschwert, daſs
der dichter ja nicht ein sondern vier dramen zugleich auf die bühne
brachte und somit mehr momente in rechnung ziehen muſste, als uns
kenntlich sind. daſs der dichter aber seine schauspieler vorher kannte,
ist für die zeit der groſsen dichter unzweifelhaft. eine trilogie ist uns
nun wenigstens erhalten, und ein einigermaſsen denkender leser der
Orestie kann nicht darüber schwanken, daſs in ihr der erste schauspieler
Kassandra und Orestes gibt, der zweite Klytaimnestra Elektra Kilissa Pythias
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[380/0400] Der Herakles des Euripides. selbst immer an neue aufgaben gewiesen, deren keine ihn oder uns voll befriedigen kann. diese düstere weltanschauung, diese verbitterung ist noch nicht vorhanden in Hiketiden und Erechtheus 421, sie beherrscht in wahrhaft furchtbarer weise die troische tetralogie 415: wir werden geneigt sein den Herakles zwischen diese jahre zu rücken. 421 ist Euri- pides ein glühender verehrer seines heimischen staates und dient der politik desselben: 415 spricht er ihr hohn und prophezeit dem vater- lande den untergang. in die zwischenzeit fällt seine verbindung mit Alkibiades. wir werden es niemals beweisen können, aber wir haben das recht darüber zu sinnen, und wer den dichter lieb gewonnen und an seiner sphäre lang gesogen hat, der hat auch das recht als seinen glauben auszusprechen, daſs das schicksal, welches Euripides leben verdüstert hat, in desselben unheilvollen mannes dämonischer gröſse liegt, welche auch seinem vaterlande verhängnisvoll geworden ist, daſs er es nicht verwunden hat, sich in Alkibiades getäuscht zu haben. στείχομεν οἰκτροὶ καὶ πολύ- κλαυτοι τὰ μέγιστα φίλων ὀλέσαντες. so schlieſst der Herakles: das hat einen tiefen sinn, auch wenn wir es wider Euripides absicht in das persönliche umdeuten. Es mag dem eigenen nachdenken überlassen bleiben, all das licht sich selbst zu suchen, das nun auf das einzelne zurückfällt, nachdem das ganze verstanden ist. denn es ist ein eitles bemühen, die schönheiten eines wahren kunstwerkes erschöpfen zu wollen. so wird man auch die absicht des dichters jetzt leicht darin würdigen, daſs er den ganz neuen gedanken seines letzten teiles eine so stark von den scenen des wahn- sinns abweichende gestalt gegeben hat: die exodos ist nicht ohne grund im stile des modernen dramas gehalten. aber eines muſs an der drama- turgie noch hervorgehoben werden, das zunächst überraschend wirkt: der titelheld wird von dem tritagonisten gegeben. stellen wir zunächst die tatsache fest. zuverlässige überlieferung über die rollenverteilung gibt es nicht und kann es nicht geben. wir sind also auf rückschlüsse aus den dramen selbst angewiesen, und diese werden dadurch erschwert, daſs der dichter ja nicht ein sondern vier dramen zugleich auf die bühne brachte und somit mehr momente in rechnung ziehen muſste, als uns kenntlich sind. daſs der dichter aber seine schauspieler vorher kannte, ist für die zeit der groſsen dichter unzweifelhaft. eine trilogie ist uns nun wenigstens erhalten, und ein einigermaſsen denkender leser der Orestie kann nicht darüber schwanken, daſs in ihr der erste schauspieler Kassandra und Orestes gibt, der zweite Klytaimnestra Elektra Kilissa Pythias Athena, der dritte den rest der rollen. der zweite schauspieler hat an

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/400>, abgerufen am 22.11.2024.