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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Was ist eine attische tragödie?
komodias aber die ursprünge des dramas behandeln musste, so ist aller-
dings zu glauben, dass er seine dichterischen bilder nicht ohne rücksicht
auf seine wissenschaftlichen vermutungen gestaltet haben wird. manches
darin macht auch den eindruck, als wäre es von ihm schon übernommen,
wie denn die Erigonefabel in ihren grundzügen so wenig seine erfindung
sein kann wie die Hekale erfindung des Kallimachos. aber als tatsachen
hat der sehr besonnene forscher die fremden oder eigenen autoschediasmen
gewiss nicht gegeben; auf alle fälle sind sie nichts weiter. denn die ein-
kehr bei Ikarios ist zwar eine echte attische dorfsage; nur ist Dionysos auf
seinem erdenwallen vielfach eingekehrt, bei Pegasos in Eleutherai, bei
Semachos in dem dorfe, das nach ihm heisst, bei könig Amphiktion in der
stadt. und die tragödie geht die einkehr nichts an. das andere sind
spielend ersonnene aitia für die aletis, für den askoliasmos und das
wetttrinken an den Choen, für die rätselhaften namen trugodia und
tragodia; das herumfahren könnte nur die pompe angehen, ist für den
Dionysoscult nicht charakteristisch, würde auch nur zur komödie führen:
das lehren die dem Demetercult angehörigen spottreden aph amaxes 23);
der frevel des bockes endlich soll das tieropfer überhaupt motiviren und
hat viele analogien in den dromena, z. b. der Buphonien, und in peripate-
tischen und pythagoreischen speculationen 24). nicht an sich haben also
diese dinge wert. aber Eratosthenes hatte sowol als forscher wie als
dichter einen ganz ungemessenen einfluss; so bestimmte er die folgezeit,
und was uns von kind auf aus Horaz und Vergil geläufig ist, geht schliess-
lich eben so gut auf ihn zurück wie die gelehrte doctrin Varros, deren
niederschläge neben den dichtern Roms auch die antiquare, vor allem
Sueton, uns übermitteln. von diesen vorstellungen müssen wir uns
losmachen. und das gelingt am sichersten, wenn wir einsehen, wo sie
eigentlich herstammen und wie sie sich gebildet haben. es sind con-

23) Ich kann berichtigend hier noch das attische vasenbild nachtragen, welches
Dümmler Rh. M. 45, 355 veröffentlicht: Dionysos zwischen zwei satyrn auf einem
schiffe auf rädern. es ist eine wichtige überraschung: der Thespiskarren oder eigent-
lich der des Ikarios, ist eine fiction, entnommen dem currus navalis des faschings, der
somit ein ableger der Dionysien ist. für die Dionysosreligion ist das überaus wichtig;
ich habe keinen raum mehr, das in verbindung mit dem Dionusos pelagios (Maass
Herm. 22) und dem homerischen hymnus zu erläutern. aber für das drama lehrt
es nichts. doch verfehle ich nicht hervorzuheben, dass Dümmler die probleme richtig
erfasst hat, welche unten gelöst sind.
24) Vgl. Robert Eratosth. 7. Graf de aureae aetatis fabulis Leipzig 1883.
Schmekel de Ovid. Pythag. Greisswald 1883. an Papirius Fabianus als quelle Ovids
kann ich freilich nicht glauben.

Was ist eine attische tragödie?
κωμῳδίας aber die ursprünge des dramas behandeln muſste, so ist aller-
dings zu glauben, daſs er seine dichterischen bilder nicht ohne rücksicht
auf seine wissenschaftlichen vermutungen gestaltet haben wird. manches
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gewiſs nicht gegeben; auf alle fälle sind sie nichts weiter. denn die ein-
kehr bei Ikarios ist zwar eine echte attische dorfsage; nur ist Dionysos auf
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wetttrinken an den Choen, für die rätselhaften namen τρυγῳδία und
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Dionysoscult nicht charakteristisch, würde auch nur zur komödie führen:
das lehren die dem Demetercult angehörigen spottreden ἀφ̕ ἁμάξης 23);
der frevel des bockes endlich soll das tieropfer überhaupt motiviren und
hat viele analogien in den δρώμενα, z. b. der Buphonien, und in peripate-
tischen und pythagoreischen speculationen 24). nicht an sich haben also
diese dinge wert. aber Eratosthenes hatte sowol als forscher wie als
dichter einen ganz ungemessenen einfluſs; so bestimmte er die folgezeit,
und was uns von kind auf aus Horaz und Vergil geläufig ist, geht schlieſs-
lich eben so gut auf ihn zurück wie die gelehrte doctrin Varros, deren
niederschläge neben den dichtern Roms auch die antiquare, vor allem
Sueton, uns übermitteln. von diesen vorstellungen müssen wir uns
losmachen. und das gelingt am sichersten, wenn wir einsehen, wo sie
eigentlich herstammen und wie sie sich gebildet haben. es sind con-

23) Ich kann berichtigend hier noch das attische vasenbild nachtragen, welches
Dümmler Rh. M. 45, 355 veröffentlicht: Dionysos zwischen zwei satyrn auf einem
schiffe auf rädern. es ist eine wichtige überraschung: der Thespiskarren oder eigent-
lich der des Ikarios, ist eine fiction, entnommen dem currus navalis des faschings, der
somit ein ableger der Dionysien ist. für die Dionysosreligion ist das überaus wichtig;
ich habe keinen raum mehr, das in verbindung mit dem Διόνυσος πελάγιος (Maaſs
Herm. 22) und dem homerischen hymnus zu erläutern. aber für das drama lehrt
es nichts. doch verfehle ich nicht hervorzuheben, daſs Dümmler die probleme richtig
erfaſst hat, welche unten gelöst sind.
24) Vgl. Robert Eratosth. 7. Graf de aureae aetatis fabulis Leipzig 1883.
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kann ich freilich nicht glauben.
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[62/0082] Was ist eine attische tragödie? κωμῳδίας aber die ursprünge des dramas behandeln muſste, so ist aller- dings zu glauben, daſs er seine dichterischen bilder nicht ohne rücksicht auf seine wissenschaftlichen vermutungen gestaltet haben wird. manches darin macht auch den eindruck, als wäre es von ihm schon übernommen, wie denn die Erigonefabel in ihren grundzügen so wenig seine erfindung sein kann wie die Hekale erfindung des Kallimachos. aber als tatsachen hat der sehr besonnene forscher die fremden oder eigenen autoschediasmen gewiſs nicht gegeben; auf alle fälle sind sie nichts weiter. denn die ein- kehr bei Ikarios ist zwar eine echte attische dorfsage; nur ist Dionysos auf seinem erdenwallen vielfach eingekehrt, bei Pegasos in Eleutherai, bei Semachos in dem dorfe, das nach ihm heiſst, bei könig Amphiktion in der stadt. und die tragödie geht die einkehr nichts an. das andere sind spielend erson̄ene αἴτια für die ἀλῆτις, für den ἀσκωλιασμός und das wetttrinken an den Choen, für die rätselhaften namen τρυγῳδία und τραγῳδία; das herumfahren könnte nur die πομπή angehen, ist für den Dionysoscult nicht charakteristisch, würde auch nur zur komödie führen: das lehren die dem Demetercult angehörigen spottreden ἀφ̕ ἁμάξης 23); der frevel des bockes endlich soll das tieropfer überhaupt motiviren und hat viele analogien in den δρώμενα, z. b. der Buphonien, und in peripate- tischen und pythagoreischen speculationen 24). nicht an sich haben also diese dinge wert. aber Eratosthenes hatte sowol als forscher wie als dichter einen ganz ungemessenen einfluſs; so bestimmte er die folgezeit, und was uns von kind auf aus Horaz und Vergil geläufig ist, geht schlieſs- lich eben so gut auf ihn zurück wie die gelehrte doctrin Varros, deren niederschläge neben den dichtern Roms auch die antiquare, vor allem Sueton, uns übermitteln. von diesen vorstellungen müssen wir uns losmachen. und das gelingt am sichersten, wenn wir einsehen, wo sie eigentlich herstammen und wie sie sich gebildet haben. es sind con- 23) Ich kann berichtigend hier noch das attische vasenbild nachtragen, welches Dümmler Rh. M. 45, 355 veröffentlicht: Dionysos zwischen zwei satyrn auf einem schiffe auf rädern. es ist eine wichtige überraschung: der Thespiskarren oder eigent- lich der des Ikarios, ist eine fiction, entnommen dem currus navalis des faschings, der somit ein ableger der Dionysien ist. für die Dionysosreligion ist das überaus wichtig; ich habe keinen raum mehr, das in verbindung mit dem Διόνυσος πελάγιος (Maaſs Herm. 22) und dem homerischen hymnus zu erläutern. aber für das drama lehrt es nichts. doch verfehle ich nicht hervorzuheben, daſs Dümmler die probleme richtig erfaſst hat, welche unten gelöst sind. 24) Vgl. Robert Eratosth. 7. Graf de aureae aetatis fabulis Leipzig 1883. Schmekel de Ovid. Pythag. Greiſswald 1883. an Papirius Fabianus als quelle Ovids kann ich freilich nicht glauben.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/82>, abgerufen am 29.11.2024.