Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.er, hatte also, nach Frauenart, das beruhigende Gefühl, fast seine Mutter zu sein. Kurz, mochte es nun gekommen sein, wie es wollte: er war zwanzig Jahre alt geworden und in sie verliebt, und sie hatte sich im Laufe des Sommers in das Schicksal gefunden, von seinen scherzenden Anspielungen schüchtern verfolgt und von seinen seelenvollen Studentenliedern angesungen zu werden. Johann Ohlerich segelte unterdessen auf dem atlantischen Ocean, von Rio de Janeiro nach London, dann von London nach Hamburg, und fand bei der friedlichen Fahrt leider Zeit genug, sich in seine zweifelsüchtigen Gedanken zu vertiefen. Nach London hatte ihm sein munteres Weib geschrieben, daß Herr Julius wieder da sei und sich inzwischen aus der Universität ein Herz angeschafft habe; -- ein unglückseliges Wort, das, in Verbindung mit der ungewöhnlichen Fröhlichkeit ihres Briefs, dem wackeren Steuermann manche unmuthsvolle Stunde machte. Das irdische Dasein des Herrn Julius war ihm schon lange nicht recht; die unbillige Einrichtung der Natur, daß ihn sein Schifferleben frühestens im Winter, den Herrn Julius seine Studentenferien im Sommer nach Warnemünde führten, kam ihm vollends wie eine feindselige Veranstaltung vor. Zum ersten Mal hatte sich jetzt der Zufall ins Mittel gelegt und sein Schiff zur Sommerszeit mit Kohlen nach Hamburg geführt, von wo er seinen häuslichen Herd leicht erreichen konnte, wenn er sich nur das Wort gab, in spätestens fünf Tagen wieder an Bord zu sein. Er machte sich ohne Weiteres auf, bestieg in Hamburg den nächsten Eisenbahnzug und freute sich bei sich selbst, wie er sein gutes Weib überraschen werde; während er verstohlener, gleichsam hinter seinem Rücken, dachte, wie gut es sei, unangemeldet nach dem Rechten zu sehen. So kam er nach Rostock, stieg auf einen der Flußdampfer, die zwischen Rostock und Warnemünde fahren, und schwamm auf der Warnow seinem Hafenstädtchen zu. Es war Vormittag, die warme Augustsonne wanderte über das Verdeck. Die grünen Uferhügel, weidende er, hatte also, nach Frauenart, das beruhigende Gefühl, fast seine Mutter zu sein. Kurz, mochte es nun gekommen sein, wie es wollte: er war zwanzig Jahre alt geworden und in sie verliebt, und sie hatte sich im Laufe des Sommers in das Schicksal gefunden, von seinen scherzenden Anspielungen schüchtern verfolgt und von seinen seelenvollen Studentenliedern angesungen zu werden. Johann Ohlerich segelte unterdessen auf dem atlantischen Ocean, von Rio de Janeiro nach London, dann von London nach Hamburg, und fand bei der friedlichen Fahrt leider Zeit genug, sich in seine zweifelsüchtigen Gedanken zu vertiefen. Nach London hatte ihm sein munteres Weib geschrieben, daß Herr Julius wieder da sei und sich inzwischen aus der Universität ein Herz angeschafft habe; — ein unglückseliges Wort, das, in Verbindung mit der ungewöhnlichen Fröhlichkeit ihres Briefs, dem wackeren Steuermann manche unmuthsvolle Stunde machte. Das irdische Dasein des Herrn Julius war ihm schon lange nicht recht; die unbillige Einrichtung der Natur, daß ihn sein Schifferleben frühestens im Winter, den Herrn Julius seine Studentenferien im Sommer nach Warnemünde führten, kam ihm vollends wie eine feindselige Veranstaltung vor. Zum ersten Mal hatte sich jetzt der Zufall ins Mittel gelegt und sein Schiff zur Sommerszeit mit Kohlen nach Hamburg geführt, von wo er seinen häuslichen Herd leicht erreichen konnte, wenn er sich nur das Wort gab, in spätestens fünf Tagen wieder an Bord zu sein. Er machte sich ohne Weiteres auf, bestieg in Hamburg den nächsten Eisenbahnzug und freute sich bei sich selbst, wie er sein gutes Weib überraschen werde; während er verstohlener, gleichsam hinter seinem Rücken, dachte, wie gut es sei, unangemeldet nach dem Rechten zu sehen. So kam er nach Rostock, stieg auf einen der Flußdampfer, die zwischen Rostock und Warnemünde fahren, und schwamm auf der Warnow seinem Hafenstädtchen zu. Es war Vormittag, die warme Augustsonne wanderte über das Verdeck. Die grünen Uferhügel, weidende <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0012"/> er, hatte also, nach Frauenart, das beruhigende Gefühl, fast seine Mutter zu sein. 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Das irdische Dasein des Herrn Julius war ihm schon lange nicht recht; die unbillige Einrichtung der Natur, daß ihn sein Schifferleben frühestens im Winter, den Herrn Julius seine Studentenferien im Sommer nach Warnemünde führten, kam ihm vollends wie eine feindselige Veranstaltung vor. Zum ersten Mal hatte sich jetzt der Zufall ins Mittel gelegt und sein Schiff zur Sommerszeit mit Kohlen nach Hamburg geführt, von wo er seinen häuslichen Herd leicht erreichen konnte, wenn er sich nur das Wort gab, in spätestens fünf Tagen wieder an Bord zu sein. Er machte sich ohne Weiteres auf, bestieg in Hamburg den nächsten Eisenbahnzug und freute sich bei sich selbst, wie er sein gutes Weib überraschen werde; während er verstohlener, gleichsam hinter seinem Rücken, dachte, wie gut es sei, unangemeldet nach dem Rechten zu sehen. So kam er nach Rostock, stieg auf einen der Flußdampfer, die zwischen Rostock und Warnemünde fahren, und schwamm auf der Warnow seinem Hafenstädtchen zu. 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er, hatte also, nach Frauenart, das beruhigende Gefühl, fast seine Mutter zu sein. Kurz, mochte es nun gekommen sein, wie es wollte: er war zwanzig Jahre alt geworden und in sie verliebt, und sie hatte sich im Laufe des Sommers in das Schicksal gefunden, von seinen scherzenden Anspielungen schüchtern verfolgt und von seinen seelenvollen Studentenliedern angesungen zu werden.
Johann Ohlerich segelte unterdessen auf dem atlantischen Ocean, von Rio de Janeiro nach London, dann von London nach Hamburg, und fand bei der friedlichen Fahrt leider Zeit genug, sich in seine zweifelsüchtigen Gedanken zu vertiefen. Nach London hatte ihm sein munteres Weib geschrieben, daß Herr Julius wieder da sei und sich inzwischen aus der Universität ein Herz angeschafft habe; — ein unglückseliges Wort, das, in Verbindung mit der ungewöhnlichen Fröhlichkeit ihres Briefs, dem wackeren Steuermann manche unmuthsvolle Stunde machte. Das irdische Dasein des Herrn Julius war ihm schon lange nicht recht; die unbillige Einrichtung der Natur, daß ihn sein Schifferleben frühestens im Winter, den Herrn Julius seine Studentenferien im Sommer nach Warnemünde führten, kam ihm vollends wie eine feindselige Veranstaltung vor. Zum ersten Mal hatte sich jetzt der Zufall ins Mittel gelegt und sein Schiff zur Sommerszeit mit Kohlen nach Hamburg geführt, von wo er seinen häuslichen Herd leicht erreichen konnte, wenn er sich nur das Wort gab, in spätestens fünf Tagen wieder an Bord zu sein. Er machte sich ohne Weiteres auf, bestieg in Hamburg den nächsten Eisenbahnzug und freute sich bei sich selbst, wie er sein gutes Weib überraschen werde; während er verstohlener, gleichsam hinter seinem Rücken, dachte, wie gut es sei, unangemeldet nach dem Rechten zu sehen. So kam er nach Rostock, stieg auf einen der Flußdampfer, die zwischen Rostock und Warnemünde fahren, und schwamm auf der Warnow seinem Hafenstädtchen zu. Es war Vormittag, die warme Augustsonne wanderte über das Verdeck. Die grünen Uferhügel, weidende
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