Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

melte er mit aufgelös'ter Stimme. Die ganze Flotte der beleuchteten Schiffchen schwamm stromauf, nahe an sie heran, und die Hornisten bliesen: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten," in die Nacht hinaus. Dann kehrten Musik und Lampen wieder um, und in langsamem Verklingen zog sich die weichherzige Melodie in die Ferne zurück, nach dem Meere zu. Liesbeth's Wangen fingen an zu glühen, die starre Blässe hatte sie verlassen. Julius nahm ihre Hand; sie ließ sie ihm. Er fühlte, wie rasch ihr Puls auf und nieder zuckte. Ach, Liesbeth! ich wollte, ich könnte Sie entführen! flüsterte er mit einem scherzenden Seufzer.

Wohin? fragte sie.

Wohin? -- In eine Gegend, wo es immer so schön ist, wie heute. Wo es keine Johann Ohlerichs und keine Tyrannen giebt.

Sie antwortete nur durch ein bitteres Lachen.

Sie sollen nicht mehr unglücklich sein; ich geb' es nicht zu! -- Ich will Ihnen zeigen, daß ich auch ein Mann bin! -- Liesbeth, sagte er dann weich und drückte ihre Hand, -- ich bin in Sie verliebt!

Ach Gott! murmelte sie mit kaum vernehmlichem Lächeln.

Und ich halt' es nicht länger aus! flüsterte er, plötzlich vor Aufregung zitternd. Liesbeth! -- -- Er drückte sie an sich, seine beiden Hände hatten sie auf einmal umschlungen. Ich beschütze Sie! -- Indem er das sagte, suchte er ihren Mund und küßte sie so ungestüm, daß er ihr den Schrei zwischen den Lippen erstickte. Ich muß es thun, Liesbeth! ich muß es thun! flüsterte er, ohne mehr zu wissen, was er sagte. Und damit drückte er wieder seine Lippen auf ihren Mund.

Herr mein Gott! sagte sie endlich und machte sich von ihm los. Nun sah er erst ihr Gesicht und erschrak. Sie war aufgesprungen, eine plötzliche Angst hatte sie entfärbt, ihr einen verzweifelten Ausdruck gegeben, der sie entstellte.

melte er mit aufgelös'ter Stimme. Die ganze Flotte der beleuchteten Schiffchen schwamm stromauf, nahe an sie heran, und die Hornisten bliesen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,“ in die Nacht hinaus. Dann kehrten Musik und Lampen wieder um, und in langsamem Verklingen zog sich die weichherzige Melodie in die Ferne zurück, nach dem Meere zu. Liesbeth's Wangen fingen an zu glühen, die starre Blässe hatte sie verlassen. Julius nahm ihre Hand; sie ließ sie ihm. Er fühlte, wie rasch ihr Puls auf und nieder zuckte. Ach, Liesbeth! ich wollte, ich könnte Sie entführen! flüsterte er mit einem scherzenden Seufzer.

Wohin? fragte sie.

Wohin? — In eine Gegend, wo es immer so schön ist, wie heute. Wo es keine Johann Ohlerichs und keine Tyrannen giebt.

Sie antwortete nur durch ein bitteres Lachen.

Sie sollen nicht mehr unglücklich sein; ich geb' es nicht zu! — Ich will Ihnen zeigen, daß ich auch ein Mann bin! — Liesbeth, sagte er dann weich und drückte ihre Hand, — ich bin in Sie verliebt!

Ach Gott! murmelte sie mit kaum vernehmlichem Lächeln.

Und ich halt' es nicht länger aus! flüsterte er, plötzlich vor Aufregung zitternd. Liesbeth! — — Er drückte sie an sich, seine beiden Hände hatten sie auf einmal umschlungen. Ich beschütze Sie! — Indem er das sagte, suchte er ihren Mund und küßte sie so ungestüm, daß er ihr den Schrei zwischen den Lippen erstickte. Ich muß es thun, Liesbeth! ich muß es thun! flüsterte er, ohne mehr zu wissen, was er sagte. Und damit drückte er wieder seine Lippen auf ihren Mund.

Herr mein Gott! sagte sie endlich und machte sich von ihm los. Nun sah er erst ihr Gesicht und erschrak. Sie war aufgesprungen, eine plötzliche Angst hatte sie entfärbt, ihr einen verzweifelten Ausdruck gegeben, der sie entstellte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0033"/>
melte er mit aufgelös'ter Stimme. Die ganze Flotte der                beleuchteten Schiffchen schwamm stromauf, nahe an sie heran, und die Hornisten                bliesen: &#x201E;Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,&#x201C; in die Nacht hinaus. Dann kehrten                Musik und Lampen wieder um, und in langsamem Verklingen zog sich die weichherzige                Melodie in die Ferne zurück, nach dem Meere zu. Liesbeth's Wangen fingen an zu                glühen, die starre Blässe hatte sie verlassen. Julius nahm ihre Hand; sie ließ sie                ihm. Er fühlte, wie rasch ihr Puls auf und nieder zuckte. Ach, Liesbeth! ich wollte,                ich könnte Sie entführen! flüsterte er mit einem scherzenden Seufzer.</p><lb/>
        <p>Wohin? fragte sie.</p><lb/>
        <p>Wohin? &#x2014; In eine Gegend, wo es immer so schön ist, wie heute. Wo es keine Johann                Ohlerichs und keine Tyrannen giebt.</p><lb/>
        <p>Sie antwortete nur durch ein bitteres Lachen.</p><lb/>
        <p>Sie sollen nicht mehr unglücklich sein; ich geb' es nicht zu! &#x2014; Ich will Ihnen                zeigen, daß ich auch ein Mann bin! &#x2014; Liesbeth, sagte er dann weich und drückte ihre                Hand, &#x2014; ich bin in Sie verliebt!</p><lb/>
        <p>Ach Gott! murmelte sie mit kaum vernehmlichem Lächeln.</p><lb/>
        <p>Und ich halt' es nicht länger aus! flüsterte er, plötzlich vor Aufregung zitternd.                Liesbeth! &#x2014; &#x2014; Er drückte sie an sich, seine beiden Hände hatten sie auf einmal                umschlungen. Ich beschütze Sie! &#x2014; Indem er das sagte, suchte er ihren Mund und küßte                sie so ungestüm, daß er ihr den Schrei zwischen den Lippen erstickte. Ich muß es                thun, Liesbeth! ich muß es thun! flüsterte er, ohne mehr zu wissen, was er sagte. Und                damit drückte er wieder seine Lippen auf ihren Mund.</p><lb/>
        <p>Herr mein Gott! sagte sie endlich und machte sich von ihm los. Nun sah er erst ihr                Gesicht und erschrak. Sie war aufgesprungen, eine plötzliche Angst hatte sie                entfärbt, ihr einen verzweifelten Ausdruck gegeben, der sie entstellte.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] melte er mit aufgelös'ter Stimme. Die ganze Flotte der beleuchteten Schiffchen schwamm stromauf, nahe an sie heran, und die Hornisten bliesen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,“ in die Nacht hinaus. Dann kehrten Musik und Lampen wieder um, und in langsamem Verklingen zog sich die weichherzige Melodie in die Ferne zurück, nach dem Meere zu. Liesbeth's Wangen fingen an zu glühen, die starre Blässe hatte sie verlassen. Julius nahm ihre Hand; sie ließ sie ihm. Er fühlte, wie rasch ihr Puls auf und nieder zuckte. Ach, Liesbeth! ich wollte, ich könnte Sie entführen! flüsterte er mit einem scherzenden Seufzer. Wohin? fragte sie. Wohin? — In eine Gegend, wo es immer so schön ist, wie heute. Wo es keine Johann Ohlerichs und keine Tyrannen giebt. Sie antwortete nur durch ein bitteres Lachen. Sie sollen nicht mehr unglücklich sein; ich geb' es nicht zu! — Ich will Ihnen zeigen, daß ich auch ein Mann bin! — Liesbeth, sagte er dann weich und drückte ihre Hand, — ich bin in Sie verliebt! Ach Gott! murmelte sie mit kaum vernehmlichem Lächeln. Und ich halt' es nicht länger aus! flüsterte er, plötzlich vor Aufregung zitternd. Liesbeth! — — Er drückte sie an sich, seine beiden Hände hatten sie auf einmal umschlungen. Ich beschütze Sie! — Indem er das sagte, suchte er ihren Mund und küßte sie so ungestüm, daß er ihr den Schrei zwischen den Lippen erstickte. Ich muß es thun, Liesbeth! ich muß es thun! flüsterte er, ohne mehr zu wissen, was er sagte. Und damit drückte er wieder seine Lippen auf ihren Mund. Herr mein Gott! sagte sie endlich und machte sich von ihm los. Nun sah er erst ihr Gesicht und erschrak. Sie war aufgesprungen, eine plötzliche Angst hatte sie entfärbt, ihr einen verzweifelten Ausdruck gegeben, der sie entstellte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:21:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:21:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/33
Zitationshilfe: Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/33>, abgerufen am 21.11.2024.