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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Es ist nicht nöthig, sagte Marie und warf das bleiche Antlitz stolz zurück. Noch eine Weile betrachtete die Baronin sie mit einem prüfenden Blicke, dann strich sie mit sanfter Hand die Haare aus des Mädchens bleicher, schweißbenetzter Stirn.

Ihr Mutterherz hob sich schwer in ihrer Brust, allein was konnte sie thun? Komm bald nach, sagte sie still und kehrte zu ihrem Manne zurück.

Marie blieb unbeweglich stehen; erst als die Thüre ins Schloß fiel, griff sie mit beiden Händen nach ihrem Kopfe; ihr war, als müßte er zerspringen. Ein Schauer rieselte über ihren Körper, die Kniee brachen unter ihr, sie glaubte zu fallen und streckte die Hand nach einer Stütze aus. Doch bald raffte sie sich wieder empor, setzte ihre Füße fest auf, machte zwei oder drei Schritte, wie um der wiedergekehrten Kraft gewiß zu sein, und folgte dann ruhig ihrer Mutter nach. Der Baron sah, seine Frau habe Recht gehabt: Mariens Seelenstärke war keineswegs auf dem schwachen Grunde der Gefühle gebaut.

In den Kreisen, die der Baron besuchte, wurde die Lösung des Verhältnisses sehr bald bekannt, und wie man sich früher über die Verlobung selbst gewundert, so wunderte man sich jetzt über deren Auflösung. Aber der Baron war als ein Ehrenmann bekannt, er war gut gestellt und einflußreich, und die allgemeine Stimme sprach sich natürlich zu seinen Gunsten aus. Louis stand allein und war ohne Einfluß, man konnte also gegen ihn ohne Gefahr streng sein. Zudem war das Interesse, das die Emigrirten bei ihrem ersten Erscheinen im Lande erregt, seither um ein Merkliches abgekühlt, und gar manche trugen nur zu sehr durch ihren Wandel zu dieser Veränderung bei.

Der Marquis hatte denn auch bald Gelegenheit, zu fühlen, wie seine gesellschaftliche Stellung eine ganz andere geworden war. Häuser, wo man ihn sonst gern gesehen, es aber jetzt mit dem Baron nicht verderben

Es ist nicht nöthig, sagte Marie und warf das bleiche Antlitz stolz zurück. Noch eine Weile betrachtete die Baronin sie mit einem prüfenden Blicke, dann strich sie mit sanfter Hand die Haare aus des Mädchens bleicher, schweißbenetzter Stirn.

Ihr Mutterherz hob sich schwer in ihrer Brust, allein was konnte sie thun? Komm bald nach, sagte sie still und kehrte zu ihrem Manne zurück.

Marie blieb unbeweglich stehen; erst als die Thüre ins Schloß fiel, griff sie mit beiden Händen nach ihrem Kopfe; ihr war, als müßte er zerspringen. Ein Schauer rieselte über ihren Körper, die Kniee brachen unter ihr, sie glaubte zu fallen und streckte die Hand nach einer Stütze aus. Doch bald raffte sie sich wieder empor, setzte ihre Füße fest auf, machte zwei oder drei Schritte, wie um der wiedergekehrten Kraft gewiß zu sein, und folgte dann ruhig ihrer Mutter nach. Der Baron sah, seine Frau habe Recht gehabt: Mariens Seelenstärke war keineswegs auf dem schwachen Grunde der Gefühle gebaut.

In den Kreisen, die der Baron besuchte, wurde die Lösung des Verhältnisses sehr bald bekannt, und wie man sich früher über die Verlobung selbst gewundert, so wunderte man sich jetzt über deren Auflösung. Aber der Baron war als ein Ehrenmann bekannt, er war gut gestellt und einflußreich, und die allgemeine Stimme sprach sich natürlich zu seinen Gunsten aus. Louis stand allein und war ohne Einfluß, man konnte also gegen ihn ohne Gefahr streng sein. Zudem war das Interesse, das die Emigrirten bei ihrem ersten Erscheinen im Lande erregt, seither um ein Merkliches abgekühlt, und gar manche trugen nur zu sehr durch ihren Wandel zu dieser Veränderung bei.

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[0101] Es ist nicht nöthig, sagte Marie und warf das bleiche Antlitz stolz zurück. Noch eine Weile betrachtete die Baronin sie mit einem prüfenden Blicke, dann strich sie mit sanfter Hand die Haare aus des Mädchens bleicher, schweißbenetzter Stirn. Ihr Mutterherz hob sich schwer in ihrer Brust, allein was konnte sie thun? Komm bald nach, sagte sie still und kehrte zu ihrem Manne zurück. Marie blieb unbeweglich stehen; erst als die Thüre ins Schloß fiel, griff sie mit beiden Händen nach ihrem Kopfe; ihr war, als müßte er zerspringen. Ein Schauer rieselte über ihren Körper, die Kniee brachen unter ihr, sie glaubte zu fallen und streckte die Hand nach einer Stütze aus. Doch bald raffte sie sich wieder empor, setzte ihre Füße fest auf, machte zwei oder drei Schritte, wie um der wiedergekehrten Kraft gewiß zu sein, und folgte dann ruhig ihrer Mutter nach. Der Baron sah, seine Frau habe Recht gehabt: Mariens Seelenstärke war keineswegs auf dem schwachen Grunde der Gefühle gebaut. In den Kreisen, die der Baron besuchte, wurde die Lösung des Verhältnisses sehr bald bekannt, und wie man sich früher über die Verlobung selbst gewundert, so wunderte man sich jetzt über deren Auflösung. Aber der Baron war als ein Ehrenmann bekannt, er war gut gestellt und einflußreich, und die allgemeine Stimme sprach sich natürlich zu seinen Gunsten aus. Louis stand allein und war ohne Einfluß, man konnte also gegen ihn ohne Gefahr streng sein. Zudem war das Interesse, das die Emigrirten bei ihrem ersten Erscheinen im Lande erregt, seither um ein Merkliches abgekühlt, und gar manche trugen nur zu sehr durch ihren Wandel zu dieser Veränderung bei. Der Marquis hatte denn auch bald Gelegenheit, zu fühlen, wie seine gesellschaftliche Stellung eine ganz andere geworden war. Häuser, wo man ihn sonst gern gesehen, es aber jetzt mit dem Baron nicht verderben

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/101>, abgerufen am 27.11.2024.