Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.fast sagen, es wäre besser gewesen, er hätte sie nicht so gut gekannt. Sie sind zu streng gegen Ihre Tochter, Herr Graf, sagte der Pfarrer eines Tages zu ihm. Finden Sie? frug der Graf in den Hof deutend, wo Leonie, in dem Kreise einiger jugendlichen Verehrer stehend, die ihr angeborene Anmuth in unbewusster Koketterie zum Zeitvertreib an ihnen übte. Kinderei! meinte der Pfarrer, die Achseln zuckend. Die Zeit wird kommen, wo es keine Kinderei mehr sein wird, versetzte der Graf, was dann? Ich begreife Sie nicht. Jeder andre Vater hätte seine Freude an dem schönen Kinde, und Sie -- Ja, sie ist schön, sagte der Graf, und eine Wolke zog über seine Stirn, ich wollte, sie wäre es nicht. Der Pfarrer war erstaunt, schwieg aber, da er zu fühlen glaubte, dem Grafen sei das Gespräch unangenehm. Seine Verstimmung hatte überhaupt seit einiger Zeit bedeutend zugenommen. Er war offenbar unruhig, ritt einigemal selbst nach der nächsten Stadt und unternahm endlich eine längere Reise, von der er erst nach Wochen wiederkam. Ein gewisses Befremden erregte er vorher im Dorfe, das er einen Hof, der in einiger Entfernung vom Dorfe ziemlich vereinsamt am Saume des Waldes lag und dem Schlosse eigen zugehörte, einem seiner Diener in Pacht gab, dem einzigen, der ihn aus der Fremde zurück begleitet, sich durch sein mürrisches, verschlossenes Wesen wenig Liebe erwarb und dazu, obgleich ein Deutscher, doch fremd in der Ortschaft war. Wie gesagt, die Leute verwunderten sich über das Glück des Mannes, und die Gunst, in welcher er bei dem Grafen stand, erwarb ihm manchen Neider. Das kümmerte aber den Thomas Werner nicht. In aller Ruhe ließ er seine neue Behausung herrichten, wie man sagte, mehr wie es sich für ein Herrenhaus gezieme, als für einen Bauernhof. Möbel wurden aus der Stadt herbeigeschafft, die Fenster der oberen Zimmer umhüllten fast sagen, es wäre besser gewesen, er hätte sie nicht so gut gekannt. Sie sind zu streng gegen Ihre Tochter, Herr Graf, sagte der Pfarrer eines Tages zu ihm. Finden Sie? frug der Graf in den Hof deutend, wo Leonie, in dem Kreise einiger jugendlichen Verehrer stehend, die ihr angeborene Anmuth in unbewusster Koketterie zum Zeitvertreib an ihnen übte. Kinderei! meinte der Pfarrer, die Achseln zuckend. Die Zeit wird kommen, wo es keine Kinderei mehr sein wird, versetzte der Graf, was dann? Ich begreife Sie nicht. Jeder andre Vater hätte seine Freude an dem schönen Kinde, und Sie — Ja, sie ist schön, sagte der Graf, und eine Wolke zog über seine Stirn, ich wollte, sie wäre es nicht. Der Pfarrer war erstaunt, schwieg aber, da er zu fühlen glaubte, dem Grafen sei das Gespräch unangenehm. Seine Verstimmung hatte überhaupt seit einiger Zeit bedeutend zugenommen. Er war offenbar unruhig, ritt einigemal selbst nach der nächsten Stadt und unternahm endlich eine längere Reise, von der er erst nach Wochen wiederkam. Ein gewisses Befremden erregte er vorher im Dorfe, das er einen Hof, der in einiger Entfernung vom Dorfe ziemlich vereinsamt am Saume des Waldes lag und dem Schlosse eigen zugehörte, einem seiner Diener in Pacht gab, dem einzigen, der ihn aus der Fremde zurück begleitet, sich durch sein mürrisches, verschlossenes Wesen wenig Liebe erwarb und dazu, obgleich ein Deutscher, doch fremd in der Ortschaft war. Wie gesagt, die Leute verwunderten sich über das Glück des Mannes, und die Gunst, in welcher er bei dem Grafen stand, erwarb ihm manchen Neider. Das kümmerte aber den Thomas Werner nicht. In aller Ruhe ließ er seine neue Behausung herrichten, wie man sagte, mehr wie es sich für ein Herrenhaus gezieme, als für einen Bauernhof. Möbel wurden aus der Stadt herbeigeschafft, die Fenster der oberen Zimmer umhüllten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011"/> fast sagen, es wäre besser gewesen, er hätte sie nicht so gut gekannt.</p><lb/> <p>Sie sind zu streng gegen Ihre Tochter, Herr Graf, sagte der Pfarrer eines Tages zu ihm.</p><lb/> <p>Finden Sie? frug der Graf in den Hof deutend, wo Leonie, in dem Kreise einiger jugendlichen Verehrer stehend, die ihr angeborene Anmuth in unbewusster Koketterie zum Zeitvertreib an ihnen übte.</p><lb/> <p>Kinderei! meinte der Pfarrer, die Achseln zuckend.</p><lb/> <p>Die Zeit wird kommen, wo es keine Kinderei mehr sein wird, versetzte der Graf, was dann?</p><lb/> <p>Ich begreife Sie nicht. Jeder andre Vater hätte seine Freude an dem schönen Kinde, und Sie —</p><lb/> <p> Ja, sie ist schön, sagte der Graf, und eine Wolke zog über seine Stirn, ich wollte, sie wäre es nicht.</p><lb/> <p>Der Pfarrer war erstaunt, schwieg aber, da er zu fühlen glaubte, dem Grafen sei das Gespräch unangenehm. Seine Verstimmung hatte überhaupt seit einiger Zeit bedeutend zugenommen. Er war offenbar unruhig, ritt einigemal selbst nach der nächsten Stadt und unternahm endlich eine längere Reise, von der er erst nach Wochen wiederkam. Ein gewisses Befremden erregte er vorher im Dorfe, das er einen Hof, der in einiger Entfernung vom Dorfe ziemlich vereinsamt am Saume des Waldes lag und dem Schlosse eigen zugehörte, einem seiner Diener in Pacht gab, dem einzigen, der ihn aus der Fremde zurück begleitet, sich durch sein mürrisches, verschlossenes Wesen wenig Liebe erwarb und dazu, obgleich ein Deutscher, doch fremd in der Ortschaft war. Wie gesagt, die Leute verwunderten sich über das Glück des Mannes, und die Gunst, in welcher er bei dem Grafen stand, erwarb ihm manchen Neider. Das kümmerte aber den Thomas Werner nicht. In aller Ruhe ließ er seine neue Behausung herrichten, wie man sagte, mehr wie es sich für ein Herrenhaus gezieme, als für einen Bauernhof. Möbel wurden aus der Stadt herbeigeschafft, die Fenster der oberen Zimmer umhüllten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
fast sagen, es wäre besser gewesen, er hätte sie nicht so gut gekannt.
Sie sind zu streng gegen Ihre Tochter, Herr Graf, sagte der Pfarrer eines Tages zu ihm.
Finden Sie? frug der Graf in den Hof deutend, wo Leonie, in dem Kreise einiger jugendlichen Verehrer stehend, die ihr angeborene Anmuth in unbewusster Koketterie zum Zeitvertreib an ihnen übte.
Kinderei! meinte der Pfarrer, die Achseln zuckend.
Die Zeit wird kommen, wo es keine Kinderei mehr sein wird, versetzte der Graf, was dann?
Ich begreife Sie nicht. Jeder andre Vater hätte seine Freude an dem schönen Kinde, und Sie —
Ja, sie ist schön, sagte der Graf, und eine Wolke zog über seine Stirn, ich wollte, sie wäre es nicht.
Der Pfarrer war erstaunt, schwieg aber, da er zu fühlen glaubte, dem Grafen sei das Gespräch unangenehm. Seine Verstimmung hatte überhaupt seit einiger Zeit bedeutend zugenommen. Er war offenbar unruhig, ritt einigemal selbst nach der nächsten Stadt und unternahm endlich eine längere Reise, von der er erst nach Wochen wiederkam. Ein gewisses Befremden erregte er vorher im Dorfe, das er einen Hof, der in einiger Entfernung vom Dorfe ziemlich vereinsamt am Saume des Waldes lag und dem Schlosse eigen zugehörte, einem seiner Diener in Pacht gab, dem einzigen, der ihn aus der Fremde zurück begleitet, sich durch sein mürrisches, verschlossenes Wesen wenig Liebe erwarb und dazu, obgleich ein Deutscher, doch fremd in der Ortschaft war. Wie gesagt, die Leute verwunderten sich über das Glück des Mannes, und die Gunst, in welcher er bei dem Grafen stand, erwarb ihm manchen Neider. Das kümmerte aber den Thomas Werner nicht. In aller Ruhe ließ er seine neue Behausung herrichten, wie man sagte, mehr wie es sich für ein Herrenhaus gezieme, als für einen Bauernhof. Möbel wurden aus der Stadt herbeigeschafft, die Fenster der oberen Zimmer umhüllten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |