Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Du bist eine aufmerksame Frau. Sie schwieg. Und bist du glücklich? frug er jetzt, sie voll und scharf ansehend. Da sollten Sie meinen Mann fragen, lieber Papa, erwiderte sie lächelnd. Nein, ich frage dich. Ich hoffe, daß ich nicht aussehe, wie eine unglückliche Frau; es wäre eine große Ungerechtigkeit. Sie lächelte noch immer, doch schlug sie mit einer nervösen Bewegung den Fächer auf und zu. Er thut Alles für dich? Sie sehen ja selbst, Papa. Ja, sagte er, ich sehe -- möge es immer so sein! Da ging die Thür auf, und ihr Mann trat ein. Für Leonie war es keine Erleichterung. Sie zwang sich, ihm zuzulächeln, und er trat zu ihr und küsste sie. Du bist lang ausgeblieben, sagte sie zu ihm mit freundlichem Vorwurf. Es ging nichts anders, erwiderte er sehr heiter. Uebrigens habe ich deinen Auftrag nicht vergessen, und so bist du in deinem Gewissen beruhigt. Sie lächelt sanft und berührte mit den Lippen eine Hand, die liebkosend ihre samtweiche Wange streichelte. Da, sagte er, zum Clavier tretend und die Notenhefte besehend, war er vielleicht schon da? Sie antwortete nicht. Sie war zu ihren Blumen getreten, mit denen sie sich beschäftigte. Wer? frug ihr Vater jetzt. Nun, der kleine Marquis, versetzte Hoheneck. Ich war heute bei ihm, ihn an einige Lieder zu mahnen, die er meiner Frau versprochen hatte, und da liegen sie schon. Sie wissen nicht, Papa, wie gern Leonie jetzt singt. Mit einem unbeschreiblichen Blick streifte der Graf seine Tochter; sie stand tief über ihre Blumen gebeugt, Du bist eine aufmerksame Frau. Sie schwieg. Und bist du glücklich? frug er jetzt, sie voll und scharf ansehend. Da sollten Sie meinen Mann fragen, lieber Papa, erwiderte sie lächelnd. Nein, ich frage dich. Ich hoffe, daß ich nicht aussehe, wie eine unglückliche Frau; es wäre eine große Ungerechtigkeit. Sie lächelte noch immer, doch schlug sie mit einer nervösen Bewegung den Fächer auf und zu. Er thut Alles für dich? Sie sehen ja selbst, Papa. Ja, sagte er, ich sehe — möge es immer so sein! Da ging die Thür auf, und ihr Mann trat ein. Für Leonie war es keine Erleichterung. Sie zwang sich, ihm zuzulächeln, und er trat zu ihr und küsste sie. Du bist lang ausgeblieben, sagte sie zu ihm mit freundlichem Vorwurf. Es ging nichts anders, erwiderte er sehr heiter. Uebrigens habe ich deinen Auftrag nicht vergessen, und so bist du in deinem Gewissen beruhigt. Sie lächelt sanft und berührte mit den Lippen eine Hand, die liebkosend ihre samtweiche Wange streichelte. Da, sagte er, zum Clavier tretend und die Notenhefte besehend, war er vielleicht schon da? Sie antwortete nicht. Sie war zu ihren Blumen getreten, mit denen sie sich beschäftigte. Wer? frug ihr Vater jetzt. Nun, der kleine Marquis, versetzte Hoheneck. Ich war heute bei ihm, ihn an einige Lieder zu mahnen, die er meiner Frau versprochen hatte, und da liegen sie schon. Sie wissen nicht, Papa, wie gern Leonie jetzt singt. Mit einem unbeschreiblichen Blick streifte der Graf seine Tochter; sie stand tief über ihre Blumen gebeugt, <TEI> <text> <body> <div n="3"> <pb facs="#f0153"/> <p>Du bist eine aufmerksame Frau.</p><lb/> <p>Sie schwieg.</p><lb/> <p>Und bist du glücklich? frug er jetzt, sie voll und scharf ansehend.</p><lb/> <p>Da sollten Sie meinen Mann fragen, lieber Papa, erwiderte sie lächelnd.</p><lb/> <p>Nein, ich frage dich.</p><lb/> <p>Ich hoffe, daß ich nicht aussehe, wie eine unglückliche Frau; es wäre eine große Ungerechtigkeit. 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Du bist eine aufmerksame Frau.
Sie schwieg.
Und bist du glücklich? frug er jetzt, sie voll und scharf ansehend.
Da sollten Sie meinen Mann fragen, lieber Papa, erwiderte sie lächelnd.
Nein, ich frage dich.
Ich hoffe, daß ich nicht aussehe, wie eine unglückliche Frau; es wäre eine große Ungerechtigkeit. Sie lächelte noch immer, doch schlug sie mit einer nervösen Bewegung den Fächer auf und zu.
Er thut Alles für dich?
Sie sehen ja selbst, Papa.
Ja, sagte er, ich sehe — möge es immer so sein!
Da ging die Thür auf, und ihr Mann trat ein. Für Leonie war es keine Erleichterung. Sie zwang sich, ihm zuzulächeln, und er trat zu ihr und küsste sie.
Du bist lang ausgeblieben, sagte sie zu ihm mit freundlichem Vorwurf.
Es ging nichts anders, erwiderte er sehr heiter. Uebrigens habe ich deinen Auftrag nicht vergessen, und so bist du in deinem Gewissen beruhigt.
Sie lächelt sanft und berührte mit den Lippen eine Hand, die liebkosend ihre samtweiche Wange streichelte.
Da, sagte er, zum Clavier tretend und die Notenhefte besehend, war er vielleicht schon da?
Sie antwortete nicht. Sie war zu ihren Blumen getreten, mit denen sie sich beschäftigte.
Wer? frug ihr Vater jetzt.
Nun, der kleine Marquis, versetzte Hoheneck. Ich war heute bei ihm, ihn an einige Lieder zu mahnen, die er meiner Frau versprochen hatte, und da liegen sie schon. Sie wissen nicht, Papa, wie gern Leonie jetzt singt.
Mit einem unbeschreiblichen Blick streifte der Graf seine Tochter; sie stand tief über ihre Blumen gebeugt,
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/153>, abgerufen am 16.02.2025. |