Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und deine Gegenwart in S. ist durchaus nöthig. Mich halten andere Geschäfte hier zurück, und ich habe Klagen über den Verwalter gehört. Nichts konnte Otto ungelegener kommen, als diese Trennung von dem Mädchen, das er liebte und das sich ihm in letzterer Zeit freundlicher zuzuneigen schien. Ich habe mit Marie eigentlich noch nicht gesprochen, stotterte er. Ich werde mit dem Baron sprechen und dich die Antwort wissen lassen. Das wird hinreichend sein. Aber die Reise war und blieb unangenehm. Der Marquis fiel ihm wieder ein. Wenn auch seine Liebe zu Marie die Beaufsichtigung, die er sich vorgenommen, in Atome zersplitterte, mit der leichten Überschätzung der Jugend dünkte ihm jetzt seine Gegenwart allein ein entschiedener Schutz für seine Schwester zu sein. Es ist nicht wegen Marie allein, versetzte er stockend und erröthend, denn er war es nicht gewohnt seinem Vater zu widersprechen, und fürchtete auch mehr zu sagen, als ihm für Leonie's Ruhe gerathen schien, aber ich kann nicht fort, lieber Papa, ich kann gewiß nicht fort. Der Graf richtete sich auf. Was ist es, das dich festhält? frug er streng. Otto schwieg. Ich denke, fuhr sein Vater fort, das ich weiß, was es ist. Aber der Argwohn, den du auf deine Schwester wirfst, ist eine Beleidigung für mich. Ich kenne die ganze Geschichte und weiß, was ich davon zu halten habe. Du bist noch ein Kind und machst aus einem Ameisenhaufen einen Berg. Morgen reisest du unwiderruflich ab. Dabei blieb es denn auch. Ja, ja, sagte sich der Graf, der dem sich entfernenden Sohne mit Wehmuth nachsah, ich werde einsam sein ohne dich, mein Junge, -- aber in einem ehrlosen Kampfe sollst du mir nicht untergehen. An mir ist es, zu wachen, und fürchte nicht, daß mich der Schlaf befalle, -- ich habe das Wachen lange genug geübt. und deine Gegenwart in S. ist durchaus nöthig. Mich halten andere Geschäfte hier zurück, und ich habe Klagen über den Verwalter gehört. Nichts konnte Otto ungelegener kommen, als diese Trennung von dem Mädchen, das er liebte und das sich ihm in letzterer Zeit freundlicher zuzuneigen schien. Ich habe mit Marie eigentlich noch nicht gesprochen, stotterte er. Ich werde mit dem Baron sprechen und dich die Antwort wissen lassen. Das wird hinreichend sein. Aber die Reise war und blieb unangenehm. Der Marquis fiel ihm wieder ein. Wenn auch seine Liebe zu Marie die Beaufsichtigung, die er sich vorgenommen, in Atome zersplitterte, mit der leichten Überschätzung der Jugend dünkte ihm jetzt seine Gegenwart allein ein entschiedener Schutz für seine Schwester zu sein. Es ist nicht wegen Marie allein, versetzte er stockend und erröthend, denn er war es nicht gewohnt seinem Vater zu widersprechen, und fürchtete auch mehr zu sagen, als ihm für Leonie's Ruhe gerathen schien, aber ich kann nicht fort, lieber Papa, ich kann gewiß nicht fort. Der Graf richtete sich auf. Was ist es, das dich festhält? frug er streng. Otto schwieg. Ich denke, fuhr sein Vater fort, das ich weiß, was es ist. Aber der Argwohn, den du auf deine Schwester wirfst, ist eine Beleidigung für mich. Ich kenne die ganze Geschichte und weiß, was ich davon zu halten habe. Du bist noch ein Kind und machst aus einem Ameisenhaufen einen Berg. Morgen reisest du unwiderruflich ab. Dabei blieb es denn auch. Ja, ja, sagte sich der Graf, der dem sich entfernenden Sohne mit Wehmuth nachsah, ich werde einsam sein ohne dich, mein Junge, — aber in einem ehrlosen Kampfe sollst du mir nicht untergehen. An mir ist es, zu wachen, und fürchte nicht, daß mich der Schlaf befalle, — ich habe das Wachen lange genug geübt. <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0164"/> und deine Gegenwart in S. ist durchaus nöthig. Mich halten andere Geschäfte hier zurück, und ich habe Klagen über den Verwalter gehört.</p><lb/> <p>Nichts konnte Otto ungelegener kommen, als diese Trennung von dem Mädchen, das er liebte und das sich ihm in letzterer Zeit freundlicher zuzuneigen schien. Ich habe mit Marie eigentlich noch nicht gesprochen, stotterte er.</p><lb/> <p>Ich werde mit dem Baron sprechen und dich die Antwort wissen lassen. Das wird hinreichend sein.</p><lb/> <p>Aber die Reise war und blieb unangenehm. Der Marquis fiel ihm wieder ein. Wenn auch seine Liebe zu Marie die Beaufsichtigung, die er sich vorgenommen, in Atome zersplitterte, mit der leichten Überschätzung der Jugend dünkte ihm jetzt seine Gegenwart allein ein entschiedener Schutz für seine Schwester zu sein. Es ist nicht wegen Marie allein, versetzte er stockend und erröthend, denn er war es nicht gewohnt seinem Vater zu widersprechen, und fürchtete auch mehr zu sagen, als ihm für Leonie's Ruhe gerathen schien, aber ich kann nicht fort, lieber Papa, ich kann gewiß nicht fort.</p><lb/> <p>Der Graf richtete sich auf. Was ist es, das dich festhält? frug er streng.</p><lb/> <p>Otto schwieg.</p><lb/> <p>Ich denke, fuhr sein Vater fort, das ich weiß, was es ist. Aber der Argwohn, den du auf deine Schwester wirfst, ist eine Beleidigung für mich. Ich kenne die ganze Geschichte und weiß, was ich davon zu halten habe. Du bist noch ein Kind und machst aus einem Ameisenhaufen einen Berg. Morgen reisest du unwiderruflich ab.</p><lb/> <p>Dabei blieb es denn auch. Ja, ja, sagte sich der Graf, der dem sich entfernenden Sohne mit Wehmuth nachsah, ich werde einsam sein ohne dich, mein Junge, — aber in einem ehrlosen Kampfe sollst du mir nicht untergehen. An mir ist es, zu wachen, und fürchte nicht, daß mich der Schlaf befalle, — ich habe das Wachen lange genug geübt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
und deine Gegenwart in S. ist durchaus nöthig. Mich halten andere Geschäfte hier zurück, und ich habe Klagen über den Verwalter gehört.
Nichts konnte Otto ungelegener kommen, als diese Trennung von dem Mädchen, das er liebte und das sich ihm in letzterer Zeit freundlicher zuzuneigen schien. Ich habe mit Marie eigentlich noch nicht gesprochen, stotterte er.
Ich werde mit dem Baron sprechen und dich die Antwort wissen lassen. Das wird hinreichend sein.
Aber die Reise war und blieb unangenehm. Der Marquis fiel ihm wieder ein. Wenn auch seine Liebe zu Marie die Beaufsichtigung, die er sich vorgenommen, in Atome zersplitterte, mit der leichten Überschätzung der Jugend dünkte ihm jetzt seine Gegenwart allein ein entschiedener Schutz für seine Schwester zu sein. Es ist nicht wegen Marie allein, versetzte er stockend und erröthend, denn er war es nicht gewohnt seinem Vater zu widersprechen, und fürchtete auch mehr zu sagen, als ihm für Leonie's Ruhe gerathen schien, aber ich kann nicht fort, lieber Papa, ich kann gewiß nicht fort.
Der Graf richtete sich auf. Was ist es, das dich festhält? frug er streng.
Otto schwieg.
Ich denke, fuhr sein Vater fort, das ich weiß, was es ist. Aber der Argwohn, den du auf deine Schwester wirfst, ist eine Beleidigung für mich. Ich kenne die ganze Geschichte und weiß, was ich davon zu halten habe. Du bist noch ein Kind und machst aus einem Ameisenhaufen einen Berg. Morgen reisest du unwiderruflich ab.
Dabei blieb es denn auch. Ja, ja, sagte sich der Graf, der dem sich entfernenden Sohne mit Wehmuth nachsah, ich werde einsam sein ohne dich, mein Junge, — aber in einem ehrlosen Kampfe sollst du mir nicht untergehen. An mir ist es, zu wachen, und fürchte nicht, daß mich der Schlaf befalle, — ich habe das Wachen lange genug geübt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |