Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vater schien ihre Gesellschaft nicht mehr entbehren zu können. Dazu bekam er jetzt auf einmal die Laune, sie mit Kostbarkeiten zu überhäufen; es war, als kaufe er ihr jede Thräne, die sie innerlich weinte, durch einen Diamanten ab. Bin ich nicht wie die Königin von Saba? sagte sie, als er eines Tages um ihren schönen Hals eine funkelnde Schnur von Brillanten schlang. Ich denke, Salomo war nicht so glücklich, sagte ein junger Mann, der gerade zugegen war. Sie lächelte vor den Andern und hütete sorgfältig jede Bewegung; aber ganz heimlich für sich rang sie oft die Hände und schrie innerlich um Rettung, während sie mit heiterer Miene ein gleichgültiges Gespräch fortspann. Sogar ihr Mann, der ihr früher eine so große Stütze gewesen, war ihr nur mehr ein Hindernis. Du siehst, nun denkt der Vater, daß ich eigennützig bin! klagte sie ihm. Aber er nahm Alles für Beweise größter Liebe hin; und wie konnte es seiner reizenden Frau gegenüber wohl anders sein? Es war wie eine Mauer, die sich unsichtbar um sie baute und durch welche sie nicht dringen konnte, sie mochte thun was sie wollte. Da nahm sie den ersten besten Vorwand zu Hilfe und schrieb an den Marquis: Ich muß Sie sehen, sagte sie, kommen Sie, ob ich nun allein bin oder nicht. Sie eilte aus ihr Schlafzimmer und mit fieberhafter Aufregung erbrach sie die Antwort: Es kann nicht sein, schrieb er ihr ganz lakonisch, die Gefahr ist zu groß! O, sagte sie und zerdrückte das Papier, was kümmere ich mich noch um Gefahr! Wie schwer ihm das kalte Wort gewesen, wußte sie freilich nicht. Abends hielt sie es nicht mehr aus. Sie schützte Unwohlsein vor und ließ ihren Vater allein. Einige Minuten darauf hörte man, das sein Wagen den Hof verließ. Vater schien ihre Gesellschaft nicht mehr entbehren zu können. Dazu bekam er jetzt auf einmal die Laune, sie mit Kostbarkeiten zu überhäufen; es war, als kaufe er ihr jede Thräne, die sie innerlich weinte, durch einen Diamanten ab. Bin ich nicht wie die Königin von Saba? sagte sie, als er eines Tages um ihren schönen Hals eine funkelnde Schnur von Brillanten schlang. Ich denke, Salomo war nicht so glücklich, sagte ein junger Mann, der gerade zugegen war. Sie lächelte vor den Andern und hütete sorgfältig jede Bewegung; aber ganz heimlich für sich rang sie oft die Hände und schrie innerlich um Rettung, während sie mit heiterer Miene ein gleichgültiges Gespräch fortspann. Sogar ihr Mann, der ihr früher eine so große Stütze gewesen, war ihr nur mehr ein Hindernis. Du siehst, nun denkt der Vater, daß ich eigennützig bin! klagte sie ihm. Aber er nahm Alles für Beweise größter Liebe hin; und wie konnte es seiner reizenden Frau gegenüber wohl anders sein? Es war wie eine Mauer, die sich unsichtbar um sie baute und durch welche sie nicht dringen konnte, sie mochte thun was sie wollte. Da nahm sie den ersten besten Vorwand zu Hilfe und schrieb an den Marquis: Ich muß Sie sehen, sagte sie, kommen Sie, ob ich nun allein bin oder nicht. Sie eilte aus ihr Schlafzimmer und mit fieberhafter Aufregung erbrach sie die Antwort: Es kann nicht sein, schrieb er ihr ganz lakonisch, die Gefahr ist zu groß! O, sagte sie und zerdrückte das Papier, was kümmere ich mich noch um Gefahr! Wie schwer ihm das kalte Wort gewesen, wußte sie freilich nicht. Abends hielt sie es nicht mehr aus. Sie schützte Unwohlsein vor und ließ ihren Vater allein. Einige Minuten darauf hörte man, das sein Wagen den Hof verließ. <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0171"/> Vater schien ihre Gesellschaft nicht mehr entbehren zu können. 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Bin ich nicht wie die Königin von Saba? sagte sie, als er eines Tages um ihren schönen Hals eine funkelnde Schnur von Brillanten schlang.
Ich denke, Salomo war nicht so glücklich, sagte ein junger Mann, der gerade zugegen war.
Sie lächelte vor den Andern und hütete sorgfältig jede Bewegung; aber ganz heimlich für sich rang sie oft die Hände und schrie innerlich um Rettung, während sie mit heiterer Miene ein gleichgültiges Gespräch fortspann. Sogar ihr Mann, der ihr früher eine so große Stütze gewesen, war ihr nur mehr ein Hindernis.
Du siehst, nun denkt der Vater, daß ich eigennützig bin! klagte sie ihm. Aber er nahm Alles für Beweise größter Liebe hin; und wie konnte es seiner reizenden Frau gegenüber wohl anders sein? Es war wie eine Mauer, die sich unsichtbar um sie baute und durch welche sie nicht dringen konnte, sie mochte thun was sie wollte.
Da nahm sie den ersten besten Vorwand zu Hilfe und schrieb an den Marquis: Ich muß Sie sehen, sagte sie, kommen Sie, ob ich nun allein bin oder nicht.
Sie eilte aus ihr Schlafzimmer und mit fieberhafter Aufregung erbrach sie die Antwort: Es kann nicht sein, schrieb er ihr ganz lakonisch, die Gefahr ist zu groß!
O, sagte sie und zerdrückte das Papier, was kümmere ich mich noch um Gefahr!
Wie schwer ihm das kalte Wort gewesen, wußte sie freilich nicht.
Abends hielt sie es nicht mehr aus. Sie schützte Unwohlsein vor und ließ ihren Vater allein. Einige Minuten darauf hörte man, das sein Wagen den Hof verließ.
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/171>, abgerufen am 16.07.2024. |