Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Rathgeber nicht fort. Leonie's Gesundheit fing an, unter dem Kampfe mit dem zähen Widerstand, der sich hier von allen Seiten bot, und den sie weder künstlich zu umgehen, noch zu bewältigen vermochte, allgemach zu leiden. Ihre Wangen erbleichten, und um die dunklen, sonst so feurigen Augen begannen sich bläuliche Ringe zu ziehen. Endlich wurde ihr Vater unwohl, die ununterbrochene Wachsamkeit hatte seine ohnedies abnehmende Kraft aufgezehrt. Er mußte das Bett hüten, und der Arzt befahl die größte Ruhe an. Leonie erwachte zu neuem Leben. Komm, schrieb sie an Louis, endlich athme ich auf! Wenn du meinen Tod nicht willst, so komm heute zu mir. Mein Mann ist bei Hofe, -- komm, o komm! Sie schickte den Brief durch einen Diener; aber dieser fand den Marquis nicht zu Hause: Der alte Herr Graf habe ihn bitten lassen, ihn zu besuchen. Leonie lief von Zimmer zu Zimmer in der rastlosen Ungeduld der Leidenschaft. O er muß kommen, dachte sie, sie schrie es fast, sie rang die Hände, sie war außer sich. Endlich fuhr ein Wagen in den Hof. Sie läutete: Ich nehme keine Besuche an, sagte sie zu dem aufwartenden Diener, sollte der Herr Marquis kommen, so sagen Sie es mir. Es ist nur Seine Gnaden der alte Herr Graf, versetzte der Mann, und gleich darauf wurde ihr Vater, bleich und in Pelze gehüllt, in das Zimmer geführt. Du siehst, ich sterbe noch nicht, denn das Bett hält mich nicht, fügte er mit einem sonderbaren Lächeln. Der Marquis hat mich auch verlassen. Ein alter, kranker Mann flößt Niemand Interesse ein. So komme ich denn zu dir, denn ich langweile mich allein. Wir wollen die Gedanken nicht verfolgen, welche bei diesen Worten durch die Seele seiner Tochter führen; aber sie half ihm sich niederzulegen, rückte ihm die Polster zurecht und setzte sich schweigend neben ihn. Rathgeber nicht fort. Leonie's Gesundheit fing an, unter dem Kampfe mit dem zähen Widerstand, der sich hier von allen Seiten bot, und den sie weder künstlich zu umgehen, noch zu bewältigen vermochte, allgemach zu leiden. Ihre Wangen erbleichten, und um die dunklen, sonst so feurigen Augen begannen sich bläuliche Ringe zu ziehen. Endlich wurde ihr Vater unwohl, die ununterbrochene Wachsamkeit hatte seine ohnedies abnehmende Kraft aufgezehrt. Er mußte das Bett hüten, und der Arzt befahl die größte Ruhe an. Leonie erwachte zu neuem Leben. Komm, schrieb sie an Louis, endlich athme ich auf! Wenn du meinen Tod nicht willst, so komm heute zu mir. Mein Mann ist bei Hofe, — komm, o komm! Sie schickte den Brief durch einen Diener; aber dieser fand den Marquis nicht zu Hause: Der alte Herr Graf habe ihn bitten lassen, ihn zu besuchen. Leonie lief von Zimmer zu Zimmer in der rastlosen Ungeduld der Leidenschaft. O er muß kommen, dachte sie, sie schrie es fast, sie rang die Hände, sie war außer sich. Endlich fuhr ein Wagen in den Hof. Sie läutete: Ich nehme keine Besuche an, sagte sie zu dem aufwartenden Diener, sollte der Herr Marquis kommen, so sagen Sie es mir. Es ist nur Seine Gnaden der alte Herr Graf, versetzte der Mann, und gleich darauf wurde ihr Vater, bleich und in Pelze gehüllt, in das Zimmer geführt. Du siehst, ich sterbe noch nicht, denn das Bett hält mich nicht, fügte er mit einem sonderbaren Lächeln. Der Marquis hat mich auch verlassen. Ein alter, kranker Mann flößt Niemand Interesse ein. So komme ich denn zu dir, denn ich langweile mich allein. Wir wollen die Gedanken nicht verfolgen, welche bei diesen Worten durch die Seele seiner Tochter führen; aber sie half ihm sich niederzulegen, rückte ihm die Polster zurecht und setzte sich schweigend neben ihn. <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0173"/> Rathgeber nicht fort. Leonie's Gesundheit fing an, unter dem Kampfe mit dem zähen Widerstand, der sich hier von allen Seiten bot, und den sie weder künstlich zu umgehen, noch zu bewältigen vermochte, allgemach zu leiden. Ihre Wangen erbleichten, und um die dunklen, sonst so feurigen Augen begannen sich bläuliche Ringe zu ziehen.</p><lb/> <p>Endlich wurde ihr Vater unwohl, die ununterbrochene Wachsamkeit hatte seine ohnedies abnehmende Kraft aufgezehrt. Er mußte das Bett hüten, und der Arzt befahl die größte Ruhe an. Leonie erwachte zu neuem Leben.</p><lb/> <p>Komm, schrieb sie an Louis, endlich athme ich auf! Wenn du meinen Tod nicht willst, so komm heute zu mir. Mein Mann ist bei Hofe, — komm, o komm! Sie schickte den Brief durch einen Diener; aber dieser fand den Marquis nicht zu Hause: Der alte Herr Graf habe ihn bitten lassen, ihn zu besuchen.</p><lb/> <p>Leonie lief von Zimmer zu Zimmer in der rastlosen Ungeduld der Leidenschaft. O er muß kommen, dachte sie, sie schrie es fast, sie rang die Hände, sie war außer sich. Endlich fuhr ein Wagen in den Hof.</p><lb/> <p>Sie läutete: Ich nehme keine Besuche an, sagte sie zu dem aufwartenden Diener, sollte der Herr Marquis kommen, so sagen Sie es mir.</p><lb/> <p>Es ist nur Seine Gnaden der alte Herr Graf, versetzte der Mann, und gleich darauf wurde ihr Vater, bleich und in Pelze gehüllt, in das Zimmer geführt.</p><lb/> <p>Du siehst, ich sterbe noch nicht, denn das Bett hält mich nicht, fügte er mit einem sonderbaren Lächeln. Der Marquis hat mich auch verlassen. Ein alter, kranker Mann flößt Niemand Interesse ein. So komme ich denn zu dir, denn ich langweile mich allein.</p><lb/> <p>Wir wollen die Gedanken nicht verfolgen, welche bei diesen Worten durch die Seele seiner Tochter führen; aber sie half ihm sich niederzulegen, rückte ihm die Polster zurecht und setzte sich schweigend neben ihn.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
Rathgeber nicht fort. Leonie's Gesundheit fing an, unter dem Kampfe mit dem zähen Widerstand, der sich hier von allen Seiten bot, und den sie weder künstlich zu umgehen, noch zu bewältigen vermochte, allgemach zu leiden. Ihre Wangen erbleichten, und um die dunklen, sonst so feurigen Augen begannen sich bläuliche Ringe zu ziehen.
Endlich wurde ihr Vater unwohl, die ununterbrochene Wachsamkeit hatte seine ohnedies abnehmende Kraft aufgezehrt. Er mußte das Bett hüten, und der Arzt befahl die größte Ruhe an. Leonie erwachte zu neuem Leben.
Komm, schrieb sie an Louis, endlich athme ich auf! Wenn du meinen Tod nicht willst, so komm heute zu mir. Mein Mann ist bei Hofe, — komm, o komm! Sie schickte den Brief durch einen Diener; aber dieser fand den Marquis nicht zu Hause: Der alte Herr Graf habe ihn bitten lassen, ihn zu besuchen.
Leonie lief von Zimmer zu Zimmer in der rastlosen Ungeduld der Leidenschaft. O er muß kommen, dachte sie, sie schrie es fast, sie rang die Hände, sie war außer sich. Endlich fuhr ein Wagen in den Hof.
Sie läutete: Ich nehme keine Besuche an, sagte sie zu dem aufwartenden Diener, sollte der Herr Marquis kommen, so sagen Sie es mir.
Es ist nur Seine Gnaden der alte Herr Graf, versetzte der Mann, und gleich darauf wurde ihr Vater, bleich und in Pelze gehüllt, in das Zimmer geführt.
Du siehst, ich sterbe noch nicht, denn das Bett hält mich nicht, fügte er mit einem sonderbaren Lächeln. Der Marquis hat mich auch verlassen. Ein alter, kranker Mann flößt Niemand Interesse ein. So komme ich denn zu dir, denn ich langweile mich allein.
Wir wollen die Gedanken nicht verfolgen, welche bei diesen Worten durch die Seele seiner Tochter führen; aber sie half ihm sich niederzulegen, rückte ihm die Polster zurecht und setzte sich schweigend neben ihn.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |