Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Das ewige Einerlei bringt mich noch um. Der Vater und Fräulein Bertold -- Fräulein Bertold und der Vater -- die Bertold ist langweilig -- sie sagt, ich sei schon -- das weiß ich ohne sie, aber was nutzt es mir hier? Mit dem Vater kann ich einmal nichts machen -- ich habe die Hoffnung aufgegeben. -- O diese ewige Verstellung -- und wozu? Er glaubt mir doch nicht! -- Die Bertold schau' ich durch und durch, die hab' ich auswendig gelernt, sie wartet auf eine Pension. -- O hätte sie sie doch und ließe mich in Ruhe! -- Dann die Frau Pastorin -- die ist gut wenigstens -- ich glaube auch, sie hat mich lieb -- das ist aber Alles alt, und was geht's mich an? -- Es ist doch nicht, was ich will -- und was ich will, das ist nicht hier in diesem alten Loche -- von der Bertold kann ich nichts mehr lernen -- was sie weiß, weiß ich jetzt auch -- sie sagt, ich sei eine ganze Dame -- O Welt -- wann öffnest du dich mir?

Hier sanken die Hände wie erschöpft von den Tasten herunter, und Leonie's Kopf senkte sich auf das Klavier. In demselben Augenblicke klopfte, es an die Thüre. Leonie erhob sich rasch, Langeweile und Abspannung waren aus ihren Zügen verschwunden, ein Lächeln spielte um den Mund. Herein! rief sie; die Thüre öffnete sich, und athemlos und weinend erschien Tine auf der Schwelle.

Des Fräuleins Gesicht überflog ein Ausdruck von Überraschung und leichtem Missvergnügen, aber Tine war zu aufgeregt, um es zu bemerken.

Ach, Fräulein, rief sie hastig und zog die Thüre vorsichtig hinter sich zu, verrathen Sie mich nicht, um Gottes willen! Die wahnsinnige Frau bei meinem Onkel Thomas liegt im Sterben und will Sie durchaus sehen.

Ueber Leonie's bewegliche Zuge flog ein neuer Wechsel, reine Verwunderung war das Erste, dann blitzten ihre Augen auf, und ihre erste Bewegung war

Das ewige Einerlei bringt mich noch um. Der Vater und Fräulein Bertold — Fräulein Bertold und der Vater — die Bertold ist langweilig — sie sagt, ich sei schon — das weiß ich ohne sie, aber was nutzt es mir hier? Mit dem Vater kann ich einmal nichts machen — ich habe die Hoffnung aufgegeben. — O diese ewige Verstellung — und wozu? Er glaubt mir doch nicht! — Die Bertold schau' ich durch und durch, die hab' ich auswendig gelernt, sie wartet auf eine Pension. — O hätte sie sie doch und ließe mich in Ruhe! — Dann die Frau Pastorin — die ist gut wenigstens — ich glaube auch, sie hat mich lieb — das ist aber Alles alt, und was geht's mich an? — Es ist doch nicht, was ich will — und was ich will, das ist nicht hier in diesem alten Loche — von der Bertold kann ich nichts mehr lernen — was sie weiß, weiß ich jetzt auch — sie sagt, ich sei eine ganze Dame — O Welt — wann öffnest du dich mir?

Hier sanken die Hände wie erschöpft von den Tasten herunter, und Leonie's Kopf senkte sich auf das Klavier. In demselben Augenblicke klopfte, es an die Thüre. Leonie erhob sich rasch, Langeweile und Abspannung waren aus ihren Zügen verschwunden, ein Lächeln spielte um den Mund. Herein! rief sie; die Thüre öffnete sich, und athemlos und weinend erschien Tine auf der Schwelle.

Des Fräuleins Gesicht überflog ein Ausdruck von Überraschung und leichtem Missvergnügen, aber Tine war zu aufgeregt, um es zu bemerken.

Ach, Fräulein, rief sie hastig und zog die Thüre vorsichtig hinter sich zu, verrathen Sie mich nicht, um Gottes willen! Die wahnsinnige Frau bei meinem Onkel Thomas liegt im Sterben und will Sie durchaus sehen.

Ueber Leonie's bewegliche Zuge flog ein neuer Wechsel, reine Verwunderung war das Erste, dann blitzten ihre Augen auf, und ihre erste Bewegung war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033"/>
Das ewige Einerlei bringt mich noch um.      Der Vater und Fräulein Bertold &#x2014; Fräulein Bertold und der Vater &#x2014; die Bertold ist langweilig &#x2014;      sie sagt, ich sei schon &#x2014; das weiß ich ohne sie, aber was nutzt es mir hier? Mit dem Vater kann      ich einmal nichts machen &#x2014; ich habe die Hoffnung aufgegeben. &#x2014; O diese ewige Verstellung &#x2014; und      wozu? Er glaubt mir doch nicht! &#x2014; Die Bertold schau' ich durch und durch, die hab' ich      auswendig gelernt, sie wartet auf eine Pension. &#x2014; O hätte sie sie doch und ließe mich in Ruhe!      &#x2014; Dann die Frau Pastorin &#x2014; die ist gut wenigstens &#x2014; ich glaube auch, sie hat mich lieb &#x2014; das      ist aber Alles alt, und was geht's mich an? &#x2014; Es ist doch nicht, was ich will &#x2014; und was ich      will, das ist nicht hier in diesem alten Loche &#x2014; von der Bertold kann ich nichts mehr lernen &#x2014;      was sie weiß, weiß ich jetzt auch &#x2014; sie sagt, ich sei eine ganze Dame &#x2014; O Welt &#x2014; wann öffnest      du dich mir?</p><lb/>
        <p>Hier sanken die Hände wie erschöpft von den Tasten herunter, und Leonie's Kopf senkte sich      auf das Klavier. In demselben Augenblicke klopfte, es an die Thüre. Leonie erhob sich rasch,      Langeweile und Abspannung waren aus ihren Zügen verschwunden, ein Lächeln spielte um den Mund.      Herein! rief sie; die Thüre öffnete sich, und athemlos und weinend erschien Tine auf der      Schwelle.</p><lb/>
        <p>Des Fräuleins Gesicht überflog ein Ausdruck von Überraschung und leichtem Missvergnügen, aber      Tine war zu aufgeregt, um es zu bemerken.</p><lb/>
        <p>Ach, Fräulein, rief sie hastig und zog die Thüre vorsichtig hinter sich zu, verrathen Sie      mich nicht, um Gottes willen! Die wahnsinnige Frau bei meinem Onkel Thomas liegt im Sterben und      will Sie durchaus sehen.</p><lb/>
        <p>Ueber Leonie's bewegliche Zuge flog ein neuer Wechsel, reine Verwunderung war das Erste, dann      blitzten ihre Augen auf, und ihre erste Bewegung war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] Das ewige Einerlei bringt mich noch um. Der Vater und Fräulein Bertold — Fräulein Bertold und der Vater — die Bertold ist langweilig — sie sagt, ich sei schon — das weiß ich ohne sie, aber was nutzt es mir hier? Mit dem Vater kann ich einmal nichts machen — ich habe die Hoffnung aufgegeben. — O diese ewige Verstellung — und wozu? Er glaubt mir doch nicht! — Die Bertold schau' ich durch und durch, die hab' ich auswendig gelernt, sie wartet auf eine Pension. — O hätte sie sie doch und ließe mich in Ruhe! — Dann die Frau Pastorin — die ist gut wenigstens — ich glaube auch, sie hat mich lieb — das ist aber Alles alt, und was geht's mich an? — Es ist doch nicht, was ich will — und was ich will, das ist nicht hier in diesem alten Loche — von der Bertold kann ich nichts mehr lernen — was sie weiß, weiß ich jetzt auch — sie sagt, ich sei eine ganze Dame — O Welt — wann öffnest du dich mir? Hier sanken die Hände wie erschöpft von den Tasten herunter, und Leonie's Kopf senkte sich auf das Klavier. In demselben Augenblicke klopfte, es an die Thüre. Leonie erhob sich rasch, Langeweile und Abspannung waren aus ihren Zügen verschwunden, ein Lächeln spielte um den Mund. Herein! rief sie; die Thüre öffnete sich, und athemlos und weinend erschien Tine auf der Schwelle. Des Fräuleins Gesicht überflog ein Ausdruck von Überraschung und leichtem Missvergnügen, aber Tine war zu aufgeregt, um es zu bemerken. Ach, Fräulein, rief sie hastig und zog die Thüre vorsichtig hinter sich zu, verrathen Sie mich nicht, um Gottes willen! Die wahnsinnige Frau bei meinem Onkel Thomas liegt im Sterben und will Sie durchaus sehen. Ueber Leonie's bewegliche Zuge flog ein neuer Wechsel, reine Verwunderung war das Erste, dann blitzten ihre Augen auf, und ihre erste Bewegung war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/33
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/33>, abgerufen am 21.11.2024.