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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Mittel in Bewegung gesetzt, damit diese Erscheinung keine vorübergehende sei. Niemand sah den Weg, den sie ging, kein Blick, kein Lächeln wurde aufgefangen, das sie nicht jedem Andern eben so süß und hold und verschämt gegönnt, und doch fühlte Derjenige, den es anging, sich mit jedem Tage fester von einem unsichtbaren Zaubernetze umspannt. Er ging und kam zuerst zufällig, dann nach und nach die Häuser suchend, wo er denken konnte sie vielleicht zu sehen; und immer enger fühlte er sich von den unzerreißbaren Faden umstrickt, und immer häufiger nach einander folgten sich ihre Begegnungen mit ihm, bis sie eines Morgens seine Karte auf dem Schreibtische ihres Vaters fand. Und noch immer hatte kein Mensch, selbst ihr Vater nicht, eine Ahnung von dem großen Werke, das sie so still und heimlich und sicher angelegt.

Wenn sein Blick so prüfend an ihr hing, da es einem so reizenden Geschöpfe galt, erregte es weiter keine Aufmerksamkeit; der Ernst, der ihm eigen war, schien sogar tiefer geworden in der letzten Zeit, und wenn sie mit so reizendem Erröthen die strahlenden Augen in schüchterner Frage zu ihm aufschlug, und mit so tiefer Ehrerbietung den meist kurzen Antworten lauschte, was war es weiter als die Befangenheit, die einem jungen Gemühte, dem Übergewicht an Jahren und Erfahrung, gegenüber, so natürlich ist? Weiter dachte man nicht, und kein Mensch sah oder errieth, das dieser Mann Alles besaß, was für Leonie die Panacee des Lebens war. Was ein jüngeres Gemüht -- denn Leonie, obgleich jung an Jahren, war alt im Geiste, älter vielleicht als mancher vielgelebte Greis -- was also ein jüngeres Gemüth abgeschreckt hätte, das waren für sie nur Stäubchen aus einem Gemälde, die ihr befriedigtes Auge leicht übersah. Was wollte sie auch mehr? Freilich war er nicht jung, aber wie dankbar würde er in diesem Bewusstsein für jede kleine Aufmerksamkeit sein! Freilich war er

Mittel in Bewegung gesetzt, damit diese Erscheinung keine vorübergehende sei. Niemand sah den Weg, den sie ging, kein Blick, kein Lächeln wurde aufgefangen, das sie nicht jedem Andern eben so süß und hold und verschämt gegönnt, und doch fühlte Derjenige, den es anging, sich mit jedem Tage fester von einem unsichtbaren Zaubernetze umspannt. Er ging und kam zuerst zufällig, dann nach und nach die Häuser suchend, wo er denken konnte sie vielleicht zu sehen; und immer enger fühlte er sich von den unzerreißbaren Faden umstrickt, und immer häufiger nach einander folgten sich ihre Begegnungen mit ihm, bis sie eines Morgens seine Karte auf dem Schreibtische ihres Vaters fand. Und noch immer hatte kein Mensch, selbst ihr Vater nicht, eine Ahnung von dem großen Werke, das sie so still und heimlich und sicher angelegt.

Wenn sein Blick so prüfend an ihr hing, da es einem so reizenden Geschöpfe galt, erregte es weiter keine Aufmerksamkeit; der Ernst, der ihm eigen war, schien sogar tiefer geworden in der letzten Zeit, und wenn sie mit so reizendem Erröthen die strahlenden Augen in schüchterner Frage zu ihm aufschlug, und mit so tiefer Ehrerbietung den meist kurzen Antworten lauschte, was war es weiter als die Befangenheit, die einem jungen Gemühte, dem Übergewicht an Jahren und Erfahrung, gegenüber, so natürlich ist? Weiter dachte man nicht, und kein Mensch sah oder errieth, das dieser Mann Alles besaß, was für Leonie die Panacee des Lebens war. Was ein jüngeres Gemüht — denn Leonie, obgleich jung an Jahren, war alt im Geiste, älter vielleicht als mancher vielgelebte Greis — was also ein jüngeres Gemüth abgeschreckt hätte, das waren für sie nur Stäubchen aus einem Gemälde, die ihr befriedigtes Auge leicht übersah. Was wollte sie auch mehr? Freilich war er nicht jung, aber wie dankbar würde er in diesem Bewusstsein für jede kleine Aufmerksamkeit sein! Freilich war er

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[0046] Mittel in Bewegung gesetzt, damit diese Erscheinung keine vorübergehende sei. Niemand sah den Weg, den sie ging, kein Blick, kein Lächeln wurde aufgefangen, das sie nicht jedem Andern eben so süß und hold und verschämt gegönnt, und doch fühlte Derjenige, den es anging, sich mit jedem Tage fester von einem unsichtbaren Zaubernetze umspannt. Er ging und kam zuerst zufällig, dann nach und nach die Häuser suchend, wo er denken konnte sie vielleicht zu sehen; und immer enger fühlte er sich von den unzerreißbaren Faden umstrickt, und immer häufiger nach einander folgten sich ihre Begegnungen mit ihm, bis sie eines Morgens seine Karte auf dem Schreibtische ihres Vaters fand. Und noch immer hatte kein Mensch, selbst ihr Vater nicht, eine Ahnung von dem großen Werke, das sie so still und heimlich und sicher angelegt. Wenn sein Blick so prüfend an ihr hing, da es einem so reizenden Geschöpfe galt, erregte es weiter keine Aufmerksamkeit; der Ernst, der ihm eigen war, schien sogar tiefer geworden in der letzten Zeit, und wenn sie mit so reizendem Erröthen die strahlenden Augen in schüchterner Frage zu ihm aufschlug, und mit so tiefer Ehrerbietung den meist kurzen Antworten lauschte, was war es weiter als die Befangenheit, die einem jungen Gemühte, dem Übergewicht an Jahren und Erfahrung, gegenüber, so natürlich ist? Weiter dachte man nicht, und kein Mensch sah oder errieth, das dieser Mann Alles besaß, was für Leonie die Panacee des Lebens war. Was ein jüngeres Gemüht — denn Leonie, obgleich jung an Jahren, war alt im Geiste, älter vielleicht als mancher vielgelebte Greis — was also ein jüngeres Gemüth abgeschreckt hätte, das waren für sie nur Stäubchen aus einem Gemälde, die ihr befriedigtes Auge leicht übersah. Was wollte sie auch mehr? Freilich war er nicht jung, aber wie dankbar würde er in diesem Bewusstsein für jede kleine Aufmerksamkeit sein! Freilich war er

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/46>, abgerufen am 21.11.2024.