Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine einnehmende Persönlichkeit und gewinnende Liebenswürdigkeit sind große Gaben, aber sie machen den Menschen, nicht satt, und mit dem Sattwerden allein ist es für ein weich gewohntes Mädchen, wie Marie es war, auch noch nicht abgethan. So dachten Beide, als die Wahrheit ihnen nach und nach sehr wider ihren Willen aufging, und Louis dachte es auch.

Die erste Folge davon war, das er sich eine feste Stellung zu gründen suchte, die ihm die Möglichkeit sichern sollte, sich auch einen eigenen Herd zu bauen. Seine religiösen Vortheile, denen er in der Heimath mit solchem Eifer nachgehangen, hatten ihn wenigstens, da er sie ernst nahm, vor den gesellschaftlichen bewahrt. Louis wollte gerne arbeiten, und so viele seiner Landsleute, weit höher noch geboren, als er, gingen ihm darin mit gutem Beispiel voran, das es ihm nicht einmal hoch anzurechnen war.

Er wollte also arbeiten, aber wie? Er hatte in Paris die Rechte studirt, doch eben wie junge Leute studiren, denen, es mehr um die Vollendung ihrer Erziehung zu thun ist, als um einen ernstlichen Lebenszweck.

Mit seinen übrigen Talenten sah es nicht viel beruhigender aus; er zeichnete hübsch, spielte mittelmäßig ein Paar Instrumente: das Alles reichte wohl gegebenenfalls hin, für sich selbst das knappe Brod zu erschwingen, aber mit den bescheidensten Ansprüchen ließ sich das Glück einer Familie nicht daraus bauen.

Muthlos sah Louis vor sich nieder. Was sollte er thun? Sein Elend allein tragen, die Antwort war leicht genug. Durfte er Marie wiedersehen und eine Neigung in ihrer Brust Wurzel schlagen lassen, die von ihren Eltern nie genehmigt werden konnte? Sollte er ihnen die Tochter, sozusagen, stehlen und sie für das Vertrauen belohnen, das sie ihm bewiesen, indem er ihr einziges Kind durch Kampf und Qual einer Ehe entgegenführte, in welcher er ihr nichts zu bieten ver-

Eine einnehmende Persönlichkeit und gewinnende Liebenswürdigkeit sind große Gaben, aber sie machen den Menschen, nicht satt, und mit dem Sattwerden allein ist es für ein weich gewohntes Mädchen, wie Marie es war, auch noch nicht abgethan. So dachten Beide, als die Wahrheit ihnen nach und nach sehr wider ihren Willen aufging, und Louis dachte es auch.

Die erste Folge davon war, das er sich eine feste Stellung zu gründen suchte, die ihm die Möglichkeit sichern sollte, sich auch einen eigenen Herd zu bauen. Seine religiösen Vortheile, denen er in der Heimath mit solchem Eifer nachgehangen, hatten ihn wenigstens, da er sie ernst nahm, vor den gesellschaftlichen bewahrt. Louis wollte gerne arbeiten, und so viele seiner Landsleute, weit höher noch geboren, als er, gingen ihm darin mit gutem Beispiel voran, das es ihm nicht einmal hoch anzurechnen war.

Er wollte also arbeiten, aber wie? Er hatte in Paris die Rechte studirt, doch eben wie junge Leute studiren, denen, es mehr um die Vollendung ihrer Erziehung zu thun ist, als um einen ernstlichen Lebenszweck.

Mit seinen übrigen Talenten sah es nicht viel beruhigender aus; er zeichnete hübsch, spielte mittelmäßig ein Paar Instrumente: das Alles reichte wohl gegebenenfalls hin, für sich selbst das knappe Brod zu erschwingen, aber mit den bescheidensten Ansprüchen ließ sich das Glück einer Familie nicht daraus bauen.

Muthlos sah Louis vor sich nieder. Was sollte er thun? Sein Elend allein tragen, die Antwort war leicht genug. Durfte er Marie wiedersehen und eine Neigung in ihrer Brust Wurzel schlagen lassen, die von ihren Eltern nie genehmigt werden konnte? Sollte er ihnen die Tochter, sozusagen, stehlen und sie für das Vertrauen belohnen, das sie ihm bewiesen, indem er ihr einziges Kind durch Kampf und Qual einer Ehe entgegenführte, in welcher er ihr nichts zu bieten ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <pb facs="#f0079"/>
        <p>Eine einnehmende Persönlichkeit und gewinnende Liebenswürdigkeit sind große Gaben, aber sie      machen den Menschen, nicht satt, und mit dem Sattwerden allein ist es für ein weich gewohntes      Mädchen, wie Marie es war, auch noch nicht abgethan. So dachten Beide, als die Wahrheit ihnen      nach und nach sehr wider ihren Willen aufging, und Louis dachte es auch.</p><lb/>
        <p>Die erste Folge davon war, das er sich eine feste Stellung zu gründen suchte, die ihm die      Möglichkeit sichern sollte, sich auch einen eigenen Herd zu bauen. Seine religiösen Vortheile,      denen er in der Heimath mit solchem Eifer nachgehangen, hatten ihn wenigstens, da er sie ernst      nahm, vor den gesellschaftlichen bewahrt. Louis wollte gerne arbeiten, und so viele seiner      Landsleute, weit höher noch geboren, als er, gingen ihm darin mit gutem Beispiel voran, das es      ihm nicht einmal hoch anzurechnen war.</p><lb/>
        <p>Er wollte also arbeiten, aber wie? Er hatte in Paris die Rechte studirt, doch eben wie junge      Leute studiren, denen, es mehr um die Vollendung ihrer Erziehung zu thun ist, als um einen      ernstlichen Lebenszweck.</p><lb/>
        <p>Mit seinen übrigen Talenten sah es nicht viel beruhigender aus; er zeichnete hübsch, spielte      mittelmäßig ein Paar Instrumente: das Alles reichte wohl gegebenenfalls hin, für sich selbst      das knappe Brod zu erschwingen, aber mit den bescheidensten Ansprüchen ließ sich das Glück      einer Familie nicht daraus bauen.</p><lb/>
        <p>Muthlos sah Louis vor sich nieder. Was sollte er thun? Sein Elend allein tragen, die Antwort      war leicht genug. Durfte er Marie wiedersehen und eine Neigung in ihrer Brust Wurzel schlagen      lassen, die von ihren Eltern nie genehmigt werden konnte? Sollte er ihnen die Tochter,      sozusagen, stehlen und sie für das Vertrauen belohnen, das sie ihm bewiesen, indem er ihr      einziges Kind durch Kampf und Qual einer Ehe entgegenführte, in welcher er ihr nichts zu bieten      ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] Eine einnehmende Persönlichkeit und gewinnende Liebenswürdigkeit sind große Gaben, aber sie machen den Menschen, nicht satt, und mit dem Sattwerden allein ist es für ein weich gewohntes Mädchen, wie Marie es war, auch noch nicht abgethan. So dachten Beide, als die Wahrheit ihnen nach und nach sehr wider ihren Willen aufging, und Louis dachte es auch. Die erste Folge davon war, das er sich eine feste Stellung zu gründen suchte, die ihm die Möglichkeit sichern sollte, sich auch einen eigenen Herd zu bauen. Seine religiösen Vortheile, denen er in der Heimath mit solchem Eifer nachgehangen, hatten ihn wenigstens, da er sie ernst nahm, vor den gesellschaftlichen bewahrt. Louis wollte gerne arbeiten, und so viele seiner Landsleute, weit höher noch geboren, als er, gingen ihm darin mit gutem Beispiel voran, das es ihm nicht einmal hoch anzurechnen war. Er wollte also arbeiten, aber wie? Er hatte in Paris die Rechte studirt, doch eben wie junge Leute studiren, denen, es mehr um die Vollendung ihrer Erziehung zu thun ist, als um einen ernstlichen Lebenszweck. Mit seinen übrigen Talenten sah es nicht viel beruhigender aus; er zeichnete hübsch, spielte mittelmäßig ein Paar Instrumente: das Alles reichte wohl gegebenenfalls hin, für sich selbst das knappe Brod zu erschwingen, aber mit den bescheidensten Ansprüchen ließ sich das Glück einer Familie nicht daraus bauen. Muthlos sah Louis vor sich nieder. Was sollte er thun? Sein Elend allein tragen, die Antwort war leicht genug. Durfte er Marie wiedersehen und eine Neigung in ihrer Brust Wurzel schlagen lassen, die von ihren Eltern nie genehmigt werden konnte? Sollte er ihnen die Tochter, sozusagen, stehlen und sie für das Vertrauen belohnen, das sie ihm bewiesen, indem er ihr einziges Kind durch Kampf und Qual einer Ehe entgegenführte, in welcher er ihr nichts zu bieten ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/79
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/79>, abgerufen am 04.12.2024.