Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zur Ehre, sie wieder bei sich zu sehen. Uebrigens war, trotz des Glanzes, den der Reichthum ihres Mannes über sie ergo, und der Stellung, die er bekleidete, wenig von der Sicherheit auf sie übergegangen, welche die Ehe gewöhnlich für junge Frauen mit sich bringt. Sie ging noch ebenso still und sanft wie früher einher; ihr Lachen, ihr Blick waren noch eben so schüchtern befangen, wie in früherer Zeit, und wie in früherer Zeit schien sie noch immer schützend hilfsbedürftig sich zu fühlen, wie ein wehrloses Kind. So war sie die Alte geblieben, und doch war ein neues Element hinzugetreten und schillerte sozusagen aus ihr heraus in tausendfaltigem Farbenspiel. Man scherzte mit ihrem Manne, die Ehe habe seine Frau verschönert und ihr doch den vollen Mädchenreiz bewahrt. Der Graf lächelte wohl, aber er sagte nichts dazu. Auch ihre alte Einfachheit, sich zu kleiden, hatte sie noch. Ihr Mann hätte freilich wissen können (denn Leonie hatte die lobenswerteste Vorsicht gehabt, sich neuerdings aufzuopfern, indem sie ihr eigenes Vermögen sogleich in Sicherheit , bringen ließ), er hätte also wissen können, was diese kostbare Einfachheit seinem Beutel kostete, wäre er überhaupt im Stande gewesen, von seiner reizenden Frau etwas Anderes zu wissen, als das sie eben reizend war. Und überall, wo sie sich zeigte, ertönte ihr dasselbe Lob. Sogar die Frauen, von ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit entwaffnet, beugten sich offen ihrem Übergewicht. Und für Leonie war auch der kleinste Triumph nicht ohne Wichtigkeit; sie wollte gefallen, sie wollte angebetet sein, damit der Eine sie anbetungswürdig fände: wo Louis sie selbst nicht sah, sollte er sie erkennen und lieben lernen in der Huldigung, die sie überall hinter sich lißs. Und man glaube nicht, das diese neue Entwicklung ihres Charakters dem Grunde kalter Berechnung, der in ihr lag, widersprach; Leonie hatte das Geschäft ihres Lebens glücklich vollendet, seine Blüten zu gemessen, war nun ihr einziger Zweck. Ihre zur Ehre, sie wieder bei sich zu sehen. Uebrigens war, trotz des Glanzes, den der Reichthum ihres Mannes über sie ergo, und der Stellung, die er bekleidete, wenig von der Sicherheit auf sie übergegangen, welche die Ehe gewöhnlich für junge Frauen mit sich bringt. Sie ging noch ebenso still und sanft wie früher einher; ihr Lachen, ihr Blick waren noch eben so schüchtern befangen, wie in früherer Zeit, und wie in früherer Zeit schien sie noch immer schützend hilfsbedürftig sich zu fühlen, wie ein wehrloses Kind. So war sie die Alte geblieben, und doch war ein neues Element hinzugetreten und schillerte sozusagen aus ihr heraus in tausendfaltigem Farbenspiel. Man scherzte mit ihrem Manne, die Ehe habe seine Frau verschönert und ihr doch den vollen Mädchenreiz bewahrt. Der Graf lächelte wohl, aber er sagte nichts dazu. Auch ihre alte Einfachheit, sich zu kleiden, hatte sie noch. Ihr Mann hätte freilich wissen können (denn Leonie hatte die lobenswerteste Vorsicht gehabt, sich neuerdings aufzuopfern, indem sie ihr eigenes Vermögen sogleich in Sicherheit , bringen ließ), er hätte also wissen können, was diese kostbare Einfachheit seinem Beutel kostete, wäre er überhaupt im Stande gewesen, von seiner reizenden Frau etwas Anderes zu wissen, als das sie eben reizend war. Und überall, wo sie sich zeigte, ertönte ihr dasselbe Lob. Sogar die Frauen, von ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit entwaffnet, beugten sich offen ihrem Übergewicht. Und für Leonie war auch der kleinste Triumph nicht ohne Wichtigkeit; sie wollte gefallen, sie wollte angebetet sein, damit der Eine sie anbetungswürdig fände: wo Louis sie selbst nicht sah, sollte er sie erkennen und lieben lernen in der Huldigung, die sie überall hinter sich lißs. Und man glaube nicht, das diese neue Entwicklung ihres Charakters dem Grunde kalter Berechnung, der in ihr lag, widersprach; Leonie hatte das Geschäft ihres Lebens glücklich vollendet, seine Blüten zu gemessen, war nun ihr einziger Zweck. Ihre <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0084"/> zur Ehre, sie wieder bei sich zu sehen. Uebrigens war, trotz des Glanzes, den der Reichthum ihres Mannes über sie ergo, und der Stellung, die er bekleidete, wenig von der Sicherheit auf sie übergegangen, welche die Ehe gewöhnlich für junge Frauen mit sich bringt. Sie ging noch ebenso still und sanft wie früher einher; ihr Lachen, ihr Blick waren noch eben so schüchtern befangen, wie in früherer Zeit, und wie in früherer Zeit schien sie noch immer schützend hilfsbedürftig sich zu fühlen, wie ein wehrloses Kind. So war sie die Alte geblieben, und doch war ein neues Element hinzugetreten und schillerte sozusagen aus ihr heraus in tausendfaltigem Farbenspiel. Man scherzte mit ihrem Manne, die Ehe habe seine Frau verschönert und ihr doch den vollen Mädchenreiz bewahrt. Der Graf lächelte wohl, aber er sagte nichts dazu. Auch ihre alte Einfachheit, sich zu kleiden, hatte sie noch. Ihr Mann hätte freilich wissen können (denn Leonie hatte die lobenswerteste Vorsicht gehabt, sich neuerdings aufzuopfern, indem sie ihr eigenes Vermögen sogleich in Sicherheit , bringen ließ), er hätte also wissen können, was diese kostbare Einfachheit seinem Beutel kostete, wäre er überhaupt im Stande gewesen, von seiner reizenden Frau etwas Anderes zu wissen, als das sie eben reizend war.</p><lb/> <p>Und überall, wo sie sich zeigte, ertönte ihr dasselbe Lob. Sogar die Frauen, von ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit entwaffnet, beugten sich offen ihrem Übergewicht. 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zur Ehre, sie wieder bei sich zu sehen. Uebrigens war, trotz des Glanzes, den der Reichthum ihres Mannes über sie ergo, und der Stellung, die er bekleidete, wenig von der Sicherheit auf sie übergegangen, welche die Ehe gewöhnlich für junge Frauen mit sich bringt. Sie ging noch ebenso still und sanft wie früher einher; ihr Lachen, ihr Blick waren noch eben so schüchtern befangen, wie in früherer Zeit, und wie in früherer Zeit schien sie noch immer schützend hilfsbedürftig sich zu fühlen, wie ein wehrloses Kind. So war sie die Alte geblieben, und doch war ein neues Element hinzugetreten und schillerte sozusagen aus ihr heraus in tausendfaltigem Farbenspiel. Man scherzte mit ihrem Manne, die Ehe habe seine Frau verschönert und ihr doch den vollen Mädchenreiz bewahrt. Der Graf lächelte wohl, aber er sagte nichts dazu. Auch ihre alte Einfachheit, sich zu kleiden, hatte sie noch. Ihr Mann hätte freilich wissen können (denn Leonie hatte die lobenswerteste Vorsicht gehabt, sich neuerdings aufzuopfern, indem sie ihr eigenes Vermögen sogleich in Sicherheit , bringen ließ), er hätte also wissen können, was diese kostbare Einfachheit seinem Beutel kostete, wäre er überhaupt im Stande gewesen, von seiner reizenden Frau etwas Anderes zu wissen, als das sie eben reizend war.
Und überall, wo sie sich zeigte, ertönte ihr dasselbe Lob. Sogar die Frauen, von ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit entwaffnet, beugten sich offen ihrem Übergewicht. Und für Leonie war auch der kleinste Triumph nicht ohne Wichtigkeit; sie wollte gefallen, sie wollte angebetet sein, damit der Eine sie anbetungswürdig fände: wo Louis sie selbst nicht sah, sollte er sie erkennen und lieben lernen in der Huldigung, die sie überall hinter sich lißs. Und man glaube nicht, das diese neue Entwicklung ihres Charakters dem Grunde kalter Berechnung, der in ihr lag, widersprach; Leonie hatte das Geschäft ihres Lebens glücklich vollendet, seine Blüten zu gemessen, war nun ihr einziger Zweck. Ihre
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/84>, abgerufen am 16.07.2024. |