Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr Haus, während sonst der Mann es ist, der das Haus gründet und das Weib einführt. Edle Seelen werden gewiß immer demüthiger im Gefühl, viel gegeben zu haben, und es gibt solch angeborenen Adel in allen Ständen; Liesbeth hatte ihn nicht.

Ob es Liesbeth mit der Liebe versucht hat, die laut Georg's Verheißung solche Wunderdinge an ihm thun konnte, weiß man nicht. Sie las zwar, wie es bei ihrem Vater der Brauch gewesen, jeden Tag einen Morgen- und einen Abendsegen, in denen gar oft von Liebe die Rede war, mit diesem Leben hielt sie aber ihre Christenpflicht vollkommen erfüllt und lebte dazwischen nach eignem Gutdünken. Veränderlichkeit konnte Georg ihr nicht vorwerfen, denn sie konnte ihn als Weib nicht mehr plagen mit Eifersucht und griffigen Reden, denn sie als Braut gethan hatte.

Niemand hat je gehört, daß das Ehepaar einmal einerlei Meinung gehabt hätte. Liesbeth hatte die Stube gelassen, wie sie zu des Vaters Zeiten gewesen war: im Hintergrund der gewaltige Kachelofen mit dem württembergischen Wappen, an den Wänden festgenagelt die hölzerne Bank, davor ein weiß gefegter Tisch mit Fußbänkchen, eine Wanduhr in langem Gehäuse, ein Milchkasten, ein kleiner Spiegel, der alle Köpfe zu spitzen Chinesenköpfen verzog, an Gemälden: das über Jesum ergangene Bluturtheil, eine Darstellung des jüngsten Tages und ein Doctor Luther, dazu zwei hölzerne Stühle mit künstlich verwundenen Schlangenrücken, das war die

ihr Haus, während sonst der Mann es ist, der das Haus gründet und das Weib einführt. Edle Seelen werden gewiß immer demüthiger im Gefühl, viel gegeben zu haben, und es gibt solch angeborenen Adel in allen Ständen; Liesbeth hatte ihn nicht.

Ob es Liesbeth mit der Liebe versucht hat, die laut Georg's Verheißung solche Wunderdinge an ihm thun konnte, weiß man nicht. Sie las zwar, wie es bei ihrem Vater der Brauch gewesen, jeden Tag einen Morgen- und einen Abendsegen, in denen gar oft von Liebe die Rede war, mit diesem Leben hielt sie aber ihre Christenpflicht vollkommen erfüllt und lebte dazwischen nach eignem Gutdünken. Veränderlichkeit konnte Georg ihr nicht vorwerfen, denn sie konnte ihn als Weib nicht mehr plagen mit Eifersucht und griffigen Reden, denn sie als Braut gethan hatte.

Niemand hat je gehört, daß das Ehepaar einmal einerlei Meinung gehabt hätte. Liesbeth hatte die Stube gelassen, wie sie zu des Vaters Zeiten gewesen war: im Hintergrund der gewaltige Kachelofen mit dem württembergischen Wappen, an den Wänden festgenagelt die hölzerne Bank, davor ein weiß gefegter Tisch mit Fußbänkchen, eine Wanduhr in langem Gehäuse, ein Milchkasten, ein kleiner Spiegel, der alle Köpfe zu spitzen Chinesenköpfen verzog, an Gemälden: das über Jesum ergangene Bluturtheil, eine Darstellung des jüngsten Tages und ein Doctor Luther, dazu zwei hölzerne Stühle mit künstlich verwundenen Schlangenrücken, das war die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0025"/>
ihr Haus, während sonst der Mann es ist, der das Haus gründet und das Weib      einführt. Edle Seelen werden gewiß immer demüthiger im Gefühl, viel gegeben zu haben, und es      gibt solch angeborenen Adel in allen Ständen; Liesbeth hatte ihn nicht.</p><lb/>
        <p>Ob es Liesbeth mit der Liebe versucht hat, die laut Georg's Verheißung solche Wunderdinge an      ihm thun konnte, weiß man nicht. Sie las zwar, wie es bei ihrem Vater der Brauch gewesen, jeden      Tag einen Morgen- und einen Abendsegen, in denen gar oft von Liebe die Rede war, mit diesem      Leben hielt sie aber ihre Christenpflicht vollkommen erfüllt und lebte dazwischen nach eignem      Gutdünken. Veränderlichkeit konnte Georg ihr nicht vorwerfen, denn sie konnte ihn als Weib      nicht mehr plagen mit Eifersucht und griffigen Reden, denn sie als Braut gethan hatte.</p><lb/>
        <p>Niemand hat je gehört, daß das Ehepaar einmal einerlei Meinung gehabt hätte. Liesbeth hatte      die Stube gelassen, wie sie zu des Vaters Zeiten gewesen war: im Hintergrund der gewaltige      Kachelofen mit dem württembergischen Wappen, an den Wänden festgenagelt die hölzerne Bank,      davor ein weiß gefegter Tisch mit Fußbänkchen, eine Wanduhr in langem Gehäuse, ein Milchkasten,      ein kleiner Spiegel, der alle Köpfe zu spitzen Chinesenköpfen verzog, an Gemälden: das über      Jesum ergangene Bluturtheil, eine Darstellung des jüngsten Tages und ein Doctor Luther, dazu      zwei hölzerne Stühle mit künstlich verwundenen Schlangenrücken, das war die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] ihr Haus, während sonst der Mann es ist, der das Haus gründet und das Weib einführt. Edle Seelen werden gewiß immer demüthiger im Gefühl, viel gegeben zu haben, und es gibt solch angeborenen Adel in allen Ständen; Liesbeth hatte ihn nicht. Ob es Liesbeth mit der Liebe versucht hat, die laut Georg's Verheißung solche Wunderdinge an ihm thun konnte, weiß man nicht. Sie las zwar, wie es bei ihrem Vater der Brauch gewesen, jeden Tag einen Morgen- und einen Abendsegen, in denen gar oft von Liebe die Rede war, mit diesem Leben hielt sie aber ihre Christenpflicht vollkommen erfüllt und lebte dazwischen nach eignem Gutdünken. Veränderlichkeit konnte Georg ihr nicht vorwerfen, denn sie konnte ihn als Weib nicht mehr plagen mit Eifersucht und griffigen Reden, denn sie als Braut gethan hatte. Niemand hat je gehört, daß das Ehepaar einmal einerlei Meinung gehabt hätte. Liesbeth hatte die Stube gelassen, wie sie zu des Vaters Zeiten gewesen war: im Hintergrund der gewaltige Kachelofen mit dem württembergischen Wappen, an den Wänden festgenagelt die hölzerne Bank, davor ein weiß gefegter Tisch mit Fußbänkchen, eine Wanduhr in langem Gehäuse, ein Milchkasten, ein kleiner Spiegel, der alle Köpfe zu spitzen Chinesenköpfen verzog, an Gemälden: das über Jesum ergangene Bluturtheil, eine Darstellung des jüngsten Tages und ein Doctor Luther, dazu zwei hölzerne Stühle mit künstlich verwundenen Schlangenrücken, das war die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:35:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:35:23Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/25
Zitationshilfe: Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/25>, abgerufen am 23.11.2024.