hineingelassen hat. Es ist auch aus den Versuchen, die Verhältnisse des Körpers unter die Regeln der allgemeinen Harmonie und der Music zu brin- gen, wenig Erleuchtung zu hoffen für Zeichner, und für diejenigen, welche die Kenntniß des Schönen suchen: die Arithmetische Untersuchung würde hier weniger, als die Schule des Fechtbodens in einer Feldschlacht, helfen.
d Bestim- mung der Pro- portion des Gesichts für Zeichner.
Um aber dieses Stück von der Proportion für Anfänger im Zeichnen nicht ohne practischen Unterricht zu lassen, will ich wenigstens die Verhält- nisse des Gesichts von den schönsten Köpfen der Alten, und zugleich von der schönen Natur genommen, anzeigen, als eine untriegliche Regel im Prüfen und im Arbeiten. Dieses ist die Regel, welche mein Freund, Herr Anton Raphael Mengs, der größte Lehrer in seiner Kunst, richtiger und genauer, als bisher geschehen, bestimmet hat, und er ist vermuthlich auf die wahre Spur der Alten gekommen. Man ziehet eine senkrechte Linie, welche in fünf Abschnitte getheilet wird: das fünfte Theil bleibt für die Haare; das übrige von der Linie wird wiederum in drey gleiche Stücke getheilet. Durch die erste Abtheilung von diesen dreyen wird eine Horizontallinie gezogen, welche mit der senkrechten Linie ein Creuz macht; jene muß zwey Theile, von den drey Theilen der Länge des Gesichts, in der Breite haben. Von den äußersten Puncten dieser Linie werden bis zum äußersten Punct des obigen fünften Theils krumme Linien gezogen, welche von der Eyförmigen Gestalt des Gesichts das spitze Ende desselben bilden. Eins von den drey Theilen der Länge des Gesichts wird in zwölf Theile getheilet: drey von diesen Theilen, oder das vierte Theil des Dritt- theils des Gesichts, wird auf beyden Seiten des Puncts getragen, wo sich beyde Linien durchschneiden, und beyde Theile zeigen den Raum zwischen beyden Augen an. Eben dieses Theil wird auf beyde äußere Enden dieser Horizontallinie getragen, und alsdenn bleiben zwey von diesen Theilen zwischen dem Theil auf dem äußeren Ende der Linie, und zwischen dem Theil auf dem Puncte des Durchschnitts der Linien, und diese zwey Theile geben
die
I Theil. Viertes Capitel.
hineingelaſſen hat. Es iſt auch aus den Verſuchen, die Verhaͤltniſſe des Koͤrpers unter die Regeln der allgemeinen Harmonie und der Muſic zu brin- gen, wenig Erleuchtung zu hoffen fuͤr Zeichner, und fuͤr diejenigen, welche die Kenntniß des Schoͤnen ſuchen: die Arithmetiſche Unterſuchung wuͤrde hier weniger, als die Schule des Fechtbodens in einer Feldſchlacht, helfen.
δ Beſtim- mung der Pro- portion des Geſichts fuͤr Zeichner.
Um aber dieſes Stuͤck von der Proportion fuͤr Anfaͤnger im Zeichnen nicht ohne practiſchen Unterricht zu laſſen, will ich wenigſtens die Verhaͤlt- niſſe des Geſichts von den ſchoͤnſten Koͤpfen der Alten, und zugleich von der ſchoͤnen Natur genommen, anzeigen, als eine untriegliche Regel im Pruͤfen und im Arbeiten. Dieſes iſt die Regel, welche mein Freund, Herr Anton Raphael Mengs, der groͤßte Lehrer in ſeiner Kunſt, richtiger und genauer, als bisher geſchehen, beſtimmet hat, und er iſt vermuthlich auf die wahre Spur der Alten gekommen. Man ziehet eine ſenkrechte Linie, welche in fuͤnf Abſchnitte getheilet wird: das fuͤnfte Theil bleibt fuͤr die Haare; das uͤbrige von der Linie wird wiederum in drey gleiche Stuͤcke getheilet. Durch die erſte Abtheilung von dieſen dreyen wird eine Horizontallinie gezogen, welche mit der ſenkrechten Linie ein Creuz macht; jene muß zwey Theile, von den drey Theilen der Laͤnge des Geſichts, in der Breite haben. Von den aͤußerſten Puncten dieſer Linie werden bis zum aͤußerſten Punct des obigen fuͤnften Theils krumme Linien gezogen, welche von der Eyfoͤrmigen Geſtalt des Geſichts das ſpitze Ende deſſelben bilden. Eins von den drey Theilen der Laͤnge des Geſichts wird in zwoͤlf Theile getheilet: drey von dieſen Theilen, oder das vierte Theil des Dritt- theils des Geſichts, wird auf beyden Seiten des Puncts getragen, wo ſich beyde Linien durchſchneiden, und beyde Theile zeigen den Raum zwiſchen beyden Augen an. Eben dieſes Theil wird auf beyde aͤußere Enden dieſer Horizontallinie getragen, und alsdenn bleiben zwey von dieſen Theilen zwiſchen dem Theil auf dem aͤußeren Ende der Linie, und zwiſchen dem Theil auf dem Puncte des Durchſchnitts der Linien, und dieſe zwey Theile geben
die
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I Theil. Viertes Capitel.
hineingelaſſen hat. Es iſt auch aus den Verſuchen, die Verhaͤltniſſe des
Koͤrpers unter die Regeln der allgemeinen Harmonie und der Muſic zu brin-
gen, wenig Erleuchtung zu hoffen fuͤr Zeichner, und fuͤr diejenigen, welche
die Kenntniß des Schoͤnen ſuchen: die Arithmetiſche Unterſuchung wuͤrde
hier weniger, als die Schule des Fechtbodens in einer Feldſchlacht, helfen.
Um aber dieſes Stuͤck von der Proportion fuͤr Anfaͤnger im Zeichnen
nicht ohne practiſchen Unterricht zu laſſen, will ich wenigſtens die Verhaͤlt-
niſſe des Geſichts von den ſchoͤnſten Koͤpfen der Alten, und zugleich von
der ſchoͤnen Natur genommen, anzeigen, als eine untriegliche Regel im
Pruͤfen und im Arbeiten. Dieſes iſt die Regel, welche mein Freund, Herr
Anton Raphael Mengs, der groͤßte Lehrer in ſeiner Kunſt, richtiger
und genauer, als bisher geſchehen, beſtimmet hat, und er iſt vermuthlich
auf die wahre Spur der Alten gekommen. Man ziehet eine ſenkrechte
Linie, welche in fuͤnf Abſchnitte getheilet wird: das fuͤnfte Theil bleibt
fuͤr die Haare; das uͤbrige von der Linie wird wiederum in drey gleiche
Stuͤcke getheilet. Durch die erſte Abtheilung von dieſen dreyen wird eine
Horizontallinie gezogen, welche mit der ſenkrechten Linie ein Creuz macht;
jene muß zwey Theile, von den drey Theilen der Laͤnge des Geſichts, in
der Breite haben. Von den aͤußerſten Puncten dieſer Linie werden bis
zum aͤußerſten Punct des obigen fuͤnften Theils krumme Linien gezogen,
welche von der Eyfoͤrmigen Geſtalt des Geſichts das ſpitze Ende deſſelben
bilden. Eins von den drey Theilen der Laͤnge des Geſichts wird in zwoͤlf
Theile getheilet: drey von dieſen Theilen, oder das vierte Theil des Dritt-
theils des Geſichts, wird auf beyden Seiten des Puncts getragen, wo ſich
beyde Linien durchſchneiden, und beyde Theile zeigen den Raum zwiſchen
beyden Augen an. Eben dieſes Theil wird auf beyde aͤußere Enden dieſer
Horizontallinie getragen, und alsdenn bleiben zwey von dieſen Theilen
zwiſchen dem Theil auf dem aͤußeren Ende der Linie, und zwiſchen dem Theil
auf dem Puncte des Durchſchnitts der Linien, und dieſe zwey Theile geben
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/226>, abgerufen am 16.07.2024.
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