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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.

An den mehresten Mänteln an Statuen so wohl, als an Figuren aufa Von den
Quästgen an
denselben.

geschnittenen Steinen, beyderley Geschlechts, sind nur zwey Quästgen
sichtbar, weil die andern durch den Wurf des Mantels verdeckt sind; oft
zeigen sich deren drey, wie an einer Isis in Hetrurischem Stil gearbeitet,
an einem Aesculapius, beyde in Lebensgröße, und an dem Mercurius auf
einem der zween schönen Leuchter von Marmor, alle drey im Pallaste Bar-
berini. Alle vier Quästgen aber sind an eben so viel Zipfeln sichtbar, an
dem Mantel einer von zwo ähnlichen Hetrurischen Figuren in Lebensgröße,
im gedachten Pallaste, an einer Statue mit dem Kopfe des Augustus, im
Pallaste Conti, und an der Tragischen Muse Melpomene, auf der ange-
führten Begräbnißurne in der Villa Mattei. Diese Quästgen hängen
offenbar an keinen Ecken, und der Mantel kann keine Ecken haben, weil,
wenn derselbe in Viereck geschnitten wäre, die geschlängelten Falten, wel-
che auf allen Seiten fallen, nicht könnten geworfen werden: eben solche
Falten werfen die Mäntel Hetrurischer Figuren, so daß dieselben folglich
eben die Form müssen gehabt haben. Es wird dieses deutlich durch das
über die Vorrede gesetzte Kupfer.

Hiervon kann sich ein jeder überzeugen, an einem mit etlichen Stichen
zusammengehefteten Mantel, wenn derselbe als ein rundes Tuch nach Art
der Alten umgeworfen wird. Es zeiget auch die Form der heutigen Meß-
gewänder, welche vorne und hinten rundlich geschnitten sind, daß dieselben
ehemals völlig rund, und ein Mantel gewesen, eben so wie noch itzo die
Meßgewänder der Griechen sind. Diese wurden durch eine Oeffnung über
den Kopf geworfen 1), und zu bequemerer Handhabung bey dem Sacra-
mente der Messe, über die Arme hinaufgeschlagen, so daß alsdenn dieser
Mantel vorne und hinten in einem Bogen herunter hieng. Da nun mit
der Zeit diese Meßgewänder von reichem Zeuge gemacht wurden, so gab

man
1) Clampini Vet. Monum. T. 1. c. 26. p. 239.
Winckelm. Gesch. der Kunst. C c
Von der Kunſt unter den Griechen.

An den mehreſten Maͤnteln an Statuen ſo wohl, als an Figuren aufα Von den
Quaͤſtgen an
denſelben.

geſchnittenen Steinen, beyderley Geſchlechts, ſind nur zwey Quaͤſtgen
ſichtbar, weil die andern durch den Wurf des Mantels verdeckt ſind; oft
zeigen ſich deren drey, wie an einer Iſis in Hetruriſchem Stil gearbeitet,
an einem Aeſculapius, beyde in Lebensgroͤße, und an dem Mercurius auf
einem der zween ſchoͤnen Leuchter von Marmor, alle drey im Pallaſte Bar-
berini. Alle vier Quaͤſtgen aber ſind an eben ſo viel Zipfeln ſichtbar, an
dem Mantel einer von zwo aͤhnlichen Hetruriſchen Figuren in Lebensgroͤße,
im gedachten Pallaſte, an einer Statue mit dem Kopfe des Auguſtus, im
Pallaſte Conti, und an der Tragiſchen Muſe Melpomene, auf der ange-
fuͤhrten Begraͤbnißurne in der Villa Mattei. Dieſe Quaͤſtgen haͤngen
offenbar an keinen Ecken, und der Mantel kann keine Ecken haben, weil,
wenn derſelbe in Viereck geſchnitten waͤre, die geſchlaͤngelten Falten, wel-
che auf allen Seiten fallen, nicht koͤnnten geworfen werden: eben ſolche
Falten werfen die Maͤntel Hetruriſcher Figuren, ſo daß dieſelben folglich
eben die Form muͤſſen gehabt haben. Es wird dieſes deutlich durch das
uͤber die Vorrede geſetzte Kupfer.

Hiervon kann ſich ein jeder uͤberzeugen, an einem mit etlichen Stichen
zuſammengehefteten Mantel, wenn derſelbe als ein rundes Tuch nach Art
der Alten umgeworfen wird. Es zeiget auch die Form der heutigen Meß-
gewaͤnder, welche vorne und hinten rundlich geſchnitten ſind, daß dieſelben
ehemals voͤllig rund, und ein Mantel geweſen, eben ſo wie noch itzo die
Meßgewaͤnder der Griechen ſind. Dieſe wurden durch eine Oeffnung uͤber
den Kopf geworfen 1), und zu bequemerer Handhabung bey dem Sacra-
mente der Meſſe, uͤber die Arme hinaufgeſchlagen, ſo daß alsdenn dieſer
Mantel vorne und hinten in einem Bogen herunter hieng. Da nun mit
der Zeit dieſe Meßgewaͤnder von reichem Zeuge gemacht wurden, ſo gab

man
1) Clampini Vet. Monum. T. 1. c. 26. p. 239.
Winckelm. Geſch. der Kunſt. C c
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[201/0251] Von der Kunſt unter den Griechen. An den mehreſten Maͤnteln an Statuen ſo wohl, als an Figuren auf geſchnittenen Steinen, beyderley Geſchlechts, ſind nur zwey Quaͤſtgen ſichtbar, weil die andern durch den Wurf des Mantels verdeckt ſind; oft zeigen ſich deren drey, wie an einer Iſis in Hetruriſchem Stil gearbeitet, an einem Aeſculapius, beyde in Lebensgroͤße, und an dem Mercurius auf einem der zween ſchoͤnen Leuchter von Marmor, alle drey im Pallaſte Bar- berini. Alle vier Quaͤſtgen aber ſind an eben ſo viel Zipfeln ſichtbar, an dem Mantel einer von zwo aͤhnlichen Hetruriſchen Figuren in Lebensgroͤße, im gedachten Pallaſte, an einer Statue mit dem Kopfe des Auguſtus, im Pallaſte Conti, und an der Tragiſchen Muſe Melpomene, auf der ange- fuͤhrten Begraͤbnißurne in der Villa Mattei. Dieſe Quaͤſtgen haͤngen offenbar an keinen Ecken, und der Mantel kann keine Ecken haben, weil, wenn derſelbe in Viereck geſchnitten waͤre, die geſchlaͤngelten Falten, wel- che auf allen Seiten fallen, nicht koͤnnten geworfen werden: eben ſolche Falten werfen die Maͤntel Hetruriſcher Figuren, ſo daß dieſelben folglich eben die Form muͤſſen gehabt haben. Es wird dieſes deutlich durch das uͤber die Vorrede geſetzte Kupfer. α Von den Quaͤſtgen an denſelben. Hiervon kann ſich ein jeder uͤberzeugen, an einem mit etlichen Stichen zuſammengehefteten Mantel, wenn derſelbe als ein rundes Tuch nach Art der Alten umgeworfen wird. Es zeiget auch die Form der heutigen Meß- gewaͤnder, welche vorne und hinten rundlich geſchnitten ſind, daß dieſelben ehemals voͤllig rund, und ein Mantel geweſen, eben ſo wie noch itzo die Meßgewaͤnder der Griechen ſind. Dieſe wurden durch eine Oeffnung uͤber den Kopf geworfen 1), und zu bequemerer Handhabung bey dem Sacra- mente der Meſſe, uͤber die Arme hinaufgeſchlagen, ſo daß alsdenn dieſer Mantel vorne und hinten in einem Bogen herunter hieng. Da nun mit der Zeit dieſe Meßgewaͤnder von reichem Zeuge gemacht wurden, ſo gab man 1) Clampini Vet. Monum. T. 1. c. 26. p. 239. Winckelm. Geſch. der Kunſt. C c

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/251>, abgerufen am 24.11.2024.