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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
es ein Hetrurischer Stil scheinen, welchem aber die Bauart des Tempels
widerspricht. Es scheinet also, daß dieses Werk eine Arbeit sey, in welcher
ein Griechischer Meister, nicht aus der ältern Zeit, den Stil derselben nach-
ahmen wollen. Es finden sich in eben der Villa vier andere diesem ähnliche
erhobene Arbeiten von eben derselben Vorstellung. Das eng zusammen-
gezogene gefiel sogar in der Tracht der Kleidung selbiger Zeit: denn da
vorher die Redner zu Rom in einem Gewande mit prächtigen großen Fal-
ten auftraten, so geschah dieses unter dem Vespasianus in einem engen
und nahe anliegenden Rocke 1): zu Plinius Zeiten fieng man an, Männ-
liche Statuen mit einem engen Kleide (paenula) vorzustellen 2).

Man könnte auch die Klage des Petronius auf die häufigen Figuren
Aegyptischer Gottheiten deuten, welches damals der herrschende Aberglau-
be in Rom war, so daß die Maler, wie Juvenalis sagt, von Bildern der
Isis lebeten. Durch diese Arbeit der Künstler in dergleichen Figuren,
könnte sich ein Stil, welcher den Aegyptischen Figuren ähnlich war, auch
in andern Werken eingeschlichen haben. Es finden sich noch itzo einige
Statuen der Isis völlig auf Hetrurische Art gekleidet, die aus offenbaren
Zeichen von der Kaiser Zeiten sind; ich kann unter andern eine in Lebens-
größe im Pallaste Barberini anführen. Diese Meynung wird diejenigen
nicht befremden, welche wissen, daß durch einen einzigen Menschen, wie
Bernini ist, ein Verderbniß in der Kunst bis itzo eingeführet worden; um
so viel mehr könnte dieses durch viele, oder durch den größten Theil der
Künstler, geschehen seyn, die in Aegyptischen Figuren arbeiteten.

Man kann aber hier nicht behutsam genug gehen, in BeurtheilungD.
Behutsamkeit
im Urtheilen
über die Origi-
nale, oder schon
vor Alters
nachgeahmte
Werke.

des Alters der Arbeit; und eine Figur, welche Hetrurisch, oder aus der äl-
tern Zeit der Kunst unter den Griechen, scheinet, ist es nicht allezeit. Es
kann dieselbe eine Copie oder Nachahmung älterer Werke seyn, welche vie-

len
1) Dialog. de corrupt. eloq. c. 39.
2) L. 34. c. 10.

Von der Kunſt unter den Griechen.
es ein Hetruriſcher Stil ſcheinen, welchem aber die Bauart des Tempels
widerſpricht. Es ſcheinet alſo, daß dieſes Werk eine Arbeit ſey, in welcher
ein Griechiſcher Meiſter, nicht aus der aͤltern Zeit, den Stil derſelben nach-
ahmen wollen. Es finden ſich in eben der Villa vier andere dieſem aͤhnliche
erhobene Arbeiten von eben derſelben Vorſtellung. Das eng zuſammen-
gezogene gefiel ſogar in der Tracht der Kleidung ſelbiger Zeit: denn da
vorher die Redner zu Rom in einem Gewande mit praͤchtigen großen Fal-
ten auftraten, ſo geſchah dieſes unter dem Veſpaſianus in einem engen
und nahe anliegenden Rocke 1): zu Plinius Zeiten fieng man an, Maͤnn-
liche Statuen mit einem engen Kleide (paenula) vorzuſtellen 2).

Man koͤnnte auch die Klage des Petronius auf die haͤufigen Figuren
Aegyptiſcher Gottheiten deuten, welches damals der herrſchende Aberglau-
be in Rom war, ſo daß die Maler, wie Juvenalis ſagt, von Bildern der
Iſis lebeten. Durch dieſe Arbeit der Kuͤnſtler in dergleichen Figuren,
koͤnnte ſich ein Stil, welcher den Aegyptiſchen Figuren aͤhnlich war, auch
in andern Werken eingeſchlichen haben. Es finden ſich noch itzo einige
Statuen der Iſis voͤllig auf Hetruriſche Art gekleidet, die aus offenbaren
Zeichen von der Kaiſer Zeiten ſind; ich kann unter andern eine in Lebens-
groͤße im Pallaſte Barberini anfuͤhren. Dieſe Meynung wird diejenigen
nicht befremden, welche wiſſen, daß durch einen einzigen Menſchen, wie
Bernini iſt, ein Verderbniß in der Kunſt bis itzo eingefuͤhret worden; um
ſo viel mehr koͤnnte dieſes durch viele, oder durch den groͤßten Theil der
Kuͤnſtler, geſchehen ſeyn, die in Aegyptiſchen Figuren arbeiteten.

Man kann aber hier nicht behutſam genug gehen, in BeurtheilungD.
Behutſamkeit
im Urtheilen
uͤber die Origi-
nale, oder ſchon
vor Alters
nachgeahmte
Werke.

des Alters der Arbeit; und eine Figur, welche Hetruriſch, oder aus der aͤl-
tern Zeit der Kunſt unter den Griechen, ſcheinet, iſt es nicht allezeit. Es
kann dieſelbe eine Copie oder Nachahmung aͤlterer Werke ſeyn, welche vie-

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1) Dialog. de corrupt. eloq. c. 39.
2) L. 34. c. 10.
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[239/0289] Von der Kunſt unter den Griechen. es ein Hetruriſcher Stil ſcheinen, welchem aber die Bauart des Tempels widerſpricht. Es ſcheinet alſo, daß dieſes Werk eine Arbeit ſey, in welcher ein Griechiſcher Meiſter, nicht aus der aͤltern Zeit, den Stil derſelben nach- ahmen wollen. Es finden ſich in eben der Villa vier andere dieſem aͤhnliche erhobene Arbeiten von eben derſelben Vorſtellung. Das eng zuſammen- gezogene gefiel ſogar in der Tracht der Kleidung ſelbiger Zeit: denn da vorher die Redner zu Rom in einem Gewande mit praͤchtigen großen Fal- ten auftraten, ſo geſchah dieſes unter dem Veſpaſianus in einem engen und nahe anliegenden Rocke 1): zu Plinius Zeiten fieng man an, Maͤnn- liche Statuen mit einem engen Kleide (paenula) vorzuſtellen 2). Man koͤnnte auch die Klage des Petronius auf die haͤufigen Figuren Aegyptiſcher Gottheiten deuten, welches damals der herrſchende Aberglau- be in Rom war, ſo daß die Maler, wie Juvenalis ſagt, von Bildern der Iſis lebeten. Durch dieſe Arbeit der Kuͤnſtler in dergleichen Figuren, koͤnnte ſich ein Stil, welcher den Aegyptiſchen Figuren aͤhnlich war, auch in andern Werken eingeſchlichen haben. Es finden ſich noch itzo einige Statuen der Iſis voͤllig auf Hetruriſche Art gekleidet, die aus offenbaren Zeichen von der Kaiſer Zeiten ſind; ich kann unter andern eine in Lebens- groͤße im Pallaſte Barberini anfuͤhren. Dieſe Meynung wird diejenigen nicht befremden, welche wiſſen, daß durch einen einzigen Menſchen, wie Bernini iſt, ein Verderbniß in der Kunſt bis itzo eingefuͤhret worden; um ſo viel mehr koͤnnte dieſes durch viele, oder durch den groͤßten Theil der Kuͤnſtler, geſchehen ſeyn, die in Aegyptiſchen Figuren arbeiteten. Man kann aber hier nicht behutſam genug gehen, in Beurtheilung des Alters der Arbeit; und eine Figur, welche Hetruriſch, oder aus der aͤl- tern Zeit der Kunſt unter den Griechen, ſcheinet, iſt es nicht allezeit. Es kann dieſelbe eine Copie oder Nachahmung aͤlterer Werke ſeyn, welche vie- len D. Behutſamkeit im Urtheilen uͤber die Origi- nale, oder ſchon vor Alters nachgeahmte Werke. 1) Dialog. de corrupt. eloq. c. 39. 2) L. 34. c. 10.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/289>, abgerufen am 24.11.2024.