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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
den Phidias, der zweyte bis auf den Praxiteles, Lysippus, und Apelles,
der dritte wird mit dieser ihrer Schule abgenommen haben, und der vierte
währete bis zu dem Falle der Kunst. Es hat sich dieselbe in ihrem höch-
sten Flore nicht lange erhalten: denn es werden, von den Zeiten des Pe-
ricles bis auf Alexanders Tode, mit welchem sich die Herrlichkeit der Kunst
anfieng zu neigen, etwa hundert und zwanzig Jahre seyn. Das Schick-
sal der Kunst überhaupt in neuern Zeiten ist, in Absicht der Perioden, dem
im Alterthume gleich: es sind ebenfalls vier Haupt-Veränderungen in
derselben vorgegangen, nur mit diesem Unterschiede, daß die Kunst nicht
nach und nach, wie bey den Griechen, von ihrer Höhe herunter sank,
sondern so bald sie den ihr damals möglichen Grad der Höhe in zween
großen Männern erreichet hatte, (ich rede hier allein von der Zeichnung)
so fiel sie mit einmal plötzlich wieder herunter. Der Stil war trocken
und steif bis auf Michael Angelo und Raphael; auf diesen beyden Män-
nern bestehet die Höhe der Kunst in ihrer Wiederherstellung: nach einem
Zwischenraume, in welchem der üble Geschmack regierte, kam der Stil
der Nachahmer; dieses waren die Caracci und ihre Schule, mit deren Fol-
ge; und dieser Periode gehet bis auf Carl Maratta. Ist aber die Rede
von der Bildhauerey insbesondere, so ist die Geschichte derselben sehr kurz:
Sie blühete in Michael Angelo und Sansovina, und endigte mit ih-
nen; Algardi, Fiamingo, und Rusconi kamen über hundert Jahre
nachher.



Viertes

I Theil. Viertes Capitel.
den Phidias, der zweyte bis auf den Praxiteles, Lyſippus, und Apelles,
der dritte wird mit dieſer ihrer Schule abgenommen haben, und der vierte
waͤhrete bis zu dem Falle der Kunſt. Es hat ſich dieſelbe in ihrem hoͤch-
ſten Flore nicht lange erhalten: denn es werden, von den Zeiten des Pe-
ricles bis auf Alexanders Tode, mit welchem ſich die Herrlichkeit der Kunſt
anfieng zu neigen, etwa hundert und zwanzig Jahre ſeyn. Das Schick-
ſal der Kunſt uͤberhaupt in neuern Zeiten iſt, in Abſicht der Perioden, dem
im Alterthume gleich: es ſind ebenfalls vier Haupt-Veraͤnderungen in
derſelben vorgegangen, nur mit dieſem Unterſchiede, daß die Kunſt nicht
nach und nach, wie bey den Griechen, von ihrer Hoͤhe herunter ſank,
ſondern ſo bald ſie den ihr damals moͤglichen Grad der Hoͤhe in zween
großen Maͤnnern erreichet hatte, (ich rede hier allein von der Zeichnung)
ſo fiel ſie mit einmal ploͤtzlich wieder herunter. Der Stil war trocken
und ſteif bis auf Michael Angelo und Raphael; auf dieſen beyden Maͤn-
nern beſtehet die Hoͤhe der Kunſt in ihrer Wiederherſtellung: nach einem
Zwiſchenraume, in welchem der uͤble Geſchmack regierte, kam der Stil
der Nachahmer; dieſes waren die Caracci und ihre Schule, mit deren Fol-
ge; und dieſer Periode gehet bis auf Carl Maratta. Iſt aber die Rede
von der Bildhauerey insbeſondere, ſo iſt die Geſchichte derſelben ſehr kurz:
Sie bluͤhete in Michael Angelo und Sanſovina, und endigte mit ih-
nen; Algardi, Fiamingo, und Ruſconi kamen uͤber hundert Jahre
nachher.



Viertes
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[248/0298] I Theil. Viertes Capitel. den Phidias, der zweyte bis auf den Praxiteles, Lyſippus, und Apelles, der dritte wird mit dieſer ihrer Schule abgenommen haben, und der vierte waͤhrete bis zu dem Falle der Kunſt. Es hat ſich dieſelbe in ihrem hoͤch- ſten Flore nicht lange erhalten: denn es werden, von den Zeiten des Pe- ricles bis auf Alexanders Tode, mit welchem ſich die Herrlichkeit der Kunſt anfieng zu neigen, etwa hundert und zwanzig Jahre ſeyn. Das Schick- ſal der Kunſt uͤberhaupt in neuern Zeiten iſt, in Abſicht der Perioden, dem im Alterthume gleich: es ſind ebenfalls vier Haupt-Veraͤnderungen in derſelben vorgegangen, nur mit dieſem Unterſchiede, daß die Kunſt nicht nach und nach, wie bey den Griechen, von ihrer Hoͤhe herunter ſank, ſondern ſo bald ſie den ihr damals moͤglichen Grad der Hoͤhe in zween großen Maͤnnern erreichet hatte, (ich rede hier allein von der Zeichnung) ſo fiel ſie mit einmal ploͤtzlich wieder herunter. Der Stil war trocken und ſteif bis auf Michael Angelo und Raphael; auf dieſen beyden Maͤn- nern beſtehet die Hoͤhe der Kunſt in ihrer Wiederherſtellung: nach einem Zwiſchenraume, in welchem der uͤble Geſchmack regierte, kam der Stil der Nachahmer; dieſes waren die Caracci und ihre Schule, mit deren Fol- ge; und dieſer Periode gehet bis auf Carl Maratta. Iſt aber die Rede von der Bildhauerey insbeſondere, ſo iſt die Geſchichte derſelben ſehr kurz: Sie bluͤhete in Michael Angelo und Sanſovina, und endigte mit ih- nen; Algardi, Fiamingo, und Ruſconi kamen uͤber hundert Jahre nachher. Viertes

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/298>, abgerufen am 24.11.2024.