Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.Von dem Ursprunge und Anfange der Kunst. Homero aber ist alles gemalet, und zur Malerey erdichtet und geschaffen.Je wärmer die Länder in Italien sind, desto größere Talente bringen sie hervor, und desto feuriger ist die Einbildung, und die Sicilianischen Dichter sind voll von seltenen, neuen und unerwarteten Bildern. Diese feurige Einbildung aber ist nicht aufgebracht und aufwallend, sondern wie das Temperament der Menschen, und wie die Witterung dieser Länder ist, mehr gleich, als in kälteren Ländern: denn ein glückliches Phlegma wirket die Natur häufiger hier, als dort. Wenn ich von der natürlichen Fähigkeit dieser Nation zur KunstG. Nähere ten 1) Pignor. Symbol. epist. p. 19. 2) Praef. ad Inser. Grut. p. 3. D 3
Von dem Urſprunge und Anfange der Kunſt. Homero aber iſt alles gemalet, und zur Malerey erdichtet und geſchaffen.Je waͤrmer die Laͤnder in Italien ſind, deſto groͤßere Talente bringen ſie hervor, und deſto feuriger iſt die Einbildung, und die Sicilianiſchen Dichter ſind voll von ſeltenen, neuen und unerwarteten Bildern. Dieſe feurige Einbildung aber iſt nicht aufgebracht und aufwallend, ſondern wie das Temperament der Menſchen, und wie die Witterung dieſer Laͤnder iſt, mehr gleich, als in kaͤlteren Laͤndern: denn ein gluͤckliches Phlegma wirket die Natur haͤufiger hier, als dort. Wenn ich von der natuͤrlichen Faͤhigkeit dieſer Nation zur KunſtG. Naͤhere ten 1) Pignor. Symbol. epiſt. p. 19. 2) Præf. ad Inſer. Grut. p. 3. D 3
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Von dem Urſprunge und Anfange der Kunſt.
Homero aber iſt alles gemalet, und zur Malerey erdichtet und geſchaffen.
Je waͤrmer die Laͤnder in Italien ſind, deſto groͤßere Talente bringen ſie
hervor, und deſto feuriger iſt die Einbildung, und die Sicilianiſchen
Dichter ſind voll von ſeltenen, neuen und unerwarteten Bildern. Dieſe
feurige Einbildung aber iſt nicht aufgebracht und aufwallend, ſondern wie
das Temperament der Menſchen, und wie die Witterung dieſer Laͤnder iſt,
mehr gleich, als in kaͤlteren Laͤndern: denn ein gluͤckliches Phlegma wirket
die Natur haͤufiger hier, als dort.
Wenn ich von der natuͤrlichen Faͤhigkeit dieſer Nation zur Kunſt
rede, ſo ſchließe ich dadurch dieſe Faͤhigkeit in einzelnen oder vielen unter
andern Voͤlkern nicht aus, als welches wider die offenbare Erfahrung
ſeyn wuͤrde. Denn Holbein und Albrecht Duͤrrer, die Vaͤter der Kunſt
in Deutſchland, haben ein erſtaunendes Talent in derſelben gezeiget, und
wenn ſie, wie Raphael, Correggio und Titian, aus den Werken der Alten
haͤtten lernen koͤnnen, wuͤrden ſie eben ſo groß, wie dieſe, geworden ſeyn, ja
dieſe vielleicht uͤbertroffen haben. Denn auch Correggio iſt nicht, wie es
insgemein heißt, ohne Kenntniß des Alterthums zu ſeiner Groͤße gelan-
get: deſſen Meiſter Andreas Mantegna kannte daſſelbe, und es finden
ſich von deſſen Zeichnungen nach alten Statuen, in der großen Samm-
lung des Herrn Cardinal Alexander Albani; daher ihm 1) Felicianus
eine Sammlung alter Inſchriften zueignete. Mantegna war in dieſer
Nachricht 2) dem aͤlteren Burmann ganz und gar unbekannt. Ob der
Mangel der Maler unter den Engellaͤndern, welche keinen einzigen beruͤhm-
ten
G. Naͤhere
Beſtimmung
dieſer Gedan-
ken.
1) Pignor. Symbol. epiſt. p. 19.
2) Præf. ad Inſer. Grut. p. 3.
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