Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Zweytes Capitel.
von der Zeichnung und Bekleidung ihrer Figuren; und in dem dritten
Stücke wird von der Ausarbeitung ihrer Werke geredet.

A. In ihrer
Bildung.

Die erste von den Ursachen der Eigenschaft der Kunst unter den
Aegyptern lieget in ihrer Bildung selbst, welche nicht diejenige Vorzüge
hatte, die den Künstler durch Ideen hoher Schönheit reizen konnten.
Denn die Natur war ihnen weniger, als den Hetruriern und Griechen, gün-
stig gewesen; welches eine Art 1) Sinesischer Gestaltung, als die ihnen
eigenthümliche Bildung, so wohl an Statuen, als auf Obelisken, und
geschnittenen Steinen, beweiset 2): es konnten also ihre Künstler das Man-
nigfaltige nicht suchen. Eben diese Bildung findet sich an Köpfen der auf
Mumien gemalten Personen, welche, so wie bey 3) den Aethiopiern, genau
nach der Aehnlichkeit des verstorbenen werden gemachet seyn worden, da
die Aegypter in Zurichtung der todten Körper alles, was dieselben kenntlich
machen konnte, so gar 4) die Haare der Augenlieder, zu erhalten sucheten.
Vielleicht kam auch unter den Aethiopiern der Gebrauch, die Gestalt der
Verstorbenen auf ihre Körper zu malen, von den Aegyptern her: denn
unter dem Könige Psammetichus giengen 240,000. Einwohner aus
Aegypten nach Aethiopien, welche hier 5) ihre Sitten und Gebräuche ein-
führeten. Es dienet auch hier zu bemerken, daß Aegypten 6) von acht-
zehen Aethiopischen Königen beherrschet worden, deren Regierung in die
ältesten Zeiten von Aegypten fällt. Die Aegypter waren außerdem 7)

von
1) Diese Bemerkung hätten diejenigen, welche neulich viel von Uebereinstimmung der Sinesen
mit den alten Aegyptern geschrieben haben, anwenden können.
2) Aus Kupfern kann man sich keinen bessern Vegriff machen, von Bildung der Aegyptischen
Köpfe, als aus einer Mumie beym Beger Thes. Brand. T. 3. p. 402. und aus einer
andern, welche Gordon beschreibet: Essay towards explaning the hieroglyphical figu-
res on the Coffin of an antient Mummy, London, 1737. fol.
3) Herodot. L. 3. p. 108. l. 20.
4) Diod. Sic. L. 1. p. 82. l. 26.
5) Herodot. L. 2. p. 63. l. 25.
6) Ibid. p. 79. l. 19. conf. Diod. Sic. L. 1. p. 41. l. 36.
7) Herodot. L. 2. p. 70. l. 31.

I Theil. Zweytes Capitel.
von der Zeichnung und Bekleidung ihrer Figuren; und in dem dritten
Stuͤcke wird von der Ausarbeitung ihrer Werke geredet.

A. In ihrer
Bildung.

Die erſte von den Urſachen der Eigenſchaft der Kunſt unter den
Aegyptern lieget in ihrer Bildung ſelbſt, welche nicht diejenige Vorzuͤge
hatte, die den Kuͤnſtler durch Ideen hoher Schoͤnheit reizen konnten.
Denn die Natur war ihnen weniger, als den Hetruriern und Griechen, guͤn-
ſtig geweſen; welches eine Art 1) Sineſiſcher Geſtaltung, als die ihnen
eigenthuͤmliche Bildung, ſo wohl an Statuen, als auf Obelisken, und
geſchnittenen Steinen, beweiſet 2): es konnten alſo ihre Kuͤnſtler das Man-
nigfaltige nicht ſuchen. Eben dieſe Bildung findet ſich an Koͤpfen der auf
Mumien gemalten Perſonen, welche, ſo wie bey 3) den Aethiopiern, genau
nach der Aehnlichkeit des verſtorbenen werden gemachet ſeyn worden, da
die Aegypter in Zurichtung der todten Koͤrper alles, was dieſelben kenntlich
machen konnte, ſo gar 4) die Haare der Augenlieder, zu erhalten ſucheten.
Vielleicht kam auch unter den Aethiopiern der Gebrauch, die Geſtalt der
Verſtorbenen auf ihre Koͤrper zu malen, von den Aegyptern her: denn
unter dem Koͤnige Pſammetichus giengen 240,000. Einwohner aus
Aegypten nach Aethiopien, welche hier 5) ihre Sitten und Gebraͤuche ein-
fuͤhreten. Es dienet auch hier zu bemerken, daß Aegypten 6) von acht-
zehen Aethiopiſchen Koͤnigen beherrſchet worden, deren Regierung in die
aͤlteſten Zeiten von Aegypten faͤllt. Die Aegypter waren außerdem 7)

von
1) Dieſe Bemerkung haͤtten diejenigen, welche neulich viel von Uebereinſtimmung der Sineſen
mit den alten Aegyptern geſchrieben haben, anwenden koͤnnen.
2) Aus Kupfern kann man ſich keinen beſſern Vegriff machen, von Bildung der Aegyptiſchen
Koͤpfe, als aus einer Mumie beym Beger Theſ. Brand. T. 3. p. 402. und aus einer
andern, welche Gordon beſchreibet: Eſſay towards explaning the hieroglyphical figu-
res on the Coffin of an antient Mummy, London, 1737. fol.
3) Herodot. L. 3. p. 108. l. 20.
4) Diod. Sic. L. 1. p. 82. l. 26.
5) Herodot. L. 2. p. 63. l. 25.
6) Ibid. p. 79. l. 19. conf. Diod. Sic. L. 1. p. 41. l. 36.
7) Herodot. L. 2. p. 70. l. 31.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <argument>
                <p><pb facs="#f0082" n="32"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Zweytes Capitel.</hi></fw><lb/>
von der Zeichnung und Bekleidung ihrer Figuren; und in dem dritten<lb/>
Stu&#x0364;cke wird von der Ausarbeitung ihrer Werke geredet.</p>
              </argument><lb/>
              <note place="left"><hi rendition="#aq">A.</hi> In ihrer<lb/>
Bildung.</note>
              <p>Die er&#x017F;te von den Ur&#x017F;achen der Eigen&#x017F;chaft der Kun&#x017F;t unter den<lb/>
Aegyptern lieget in ihrer Bildung &#x017F;elb&#x017F;t, welche nicht diejenige Vorzu&#x0364;ge<lb/>
hatte, die den Ku&#x0364;n&#x017F;tler durch Ideen hoher Scho&#x0364;nheit reizen konnten.<lb/>
Denn die Natur war ihnen weniger, als den Hetruriern und Griechen, gu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tig gewe&#x017F;en; welches eine Art <note place="foot" n="1)">Die&#x017F;e Bemerkung ha&#x0364;tten diejenigen, welche neulich viel von Ueberein&#x017F;timmung der Sine&#x017F;en<lb/>
mit den alten Aegyptern ge&#x017F;chrieben haben, anwenden ko&#x0364;nnen.</note> Sine&#x017F;i&#x017F;cher Ge&#x017F;taltung, als die ihnen<lb/>
eigenthu&#x0364;mliche Bildung, &#x017F;o wohl an Statuen, als auf Obelisken, und<lb/>
ge&#x017F;chnittenen Steinen, bewei&#x017F;et <note place="foot" n="2)">Aus Kupfern kann man &#x017F;ich keinen be&#x017F;&#x017F;ern Vegriff machen, von Bildung der Aegypti&#x017F;chen<lb/>
Ko&#x0364;pfe, als aus einer Mumie beym <hi rendition="#fr">Beger</hi> <hi rendition="#aq">The&#x017F;. Brand. T. 3. p.</hi> 402. und aus einer<lb/>
andern, welche <hi rendition="#fr">Gordon</hi> be&#x017F;chreibet: <hi rendition="#aq">E&#x017F;&#x017F;ay towards explaning the hieroglyphical figu-<lb/>
res on the Coffin of an antient Mummy, London, 1737. fol.</hi></note>: es konnten al&#x017F;o ihre Ku&#x0364;n&#x017F;tler das Man-<lb/>
nigfaltige nicht &#x017F;uchen. Eben die&#x017F;e Bildung findet &#x017F;ich an Ko&#x0364;pfen der auf<lb/>
Mumien gemalten Per&#x017F;onen, welche, &#x017F;o wie bey <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Herodot. L. 3. p. 108. l.</hi> 20.</note> den Aethiopiern, genau<lb/>
nach der Aehnlichkeit des ver&#x017F;torbenen werden gemachet &#x017F;eyn worden, da<lb/>
die Aegypter in Zurichtung der todten Ko&#x0364;rper alles, was die&#x017F;elben kenntlich<lb/>
machen konnte, &#x017F;o gar <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Diod. Sic. L. 1. p. 82. l.</hi> 26.</note> die Haare der Augenlieder, zu erhalten &#x017F;ucheten.<lb/>
Vielleicht kam auch unter den Aethiopiern der Gebrauch, die Ge&#x017F;talt der<lb/>
Ver&#x017F;torbenen auf ihre Ko&#x0364;rper zu malen, von den Aegyptern her: denn<lb/>
unter dem Ko&#x0364;nige P&#x017F;ammetichus giengen 240,000. Einwohner aus<lb/>
Aegypten nach Aethiopien, welche hier <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#aq">Herodot. L. 2. p. 63. l.</hi> 25.</note> ihre Sitten und Gebra&#x0364;uche ein-<lb/>
fu&#x0364;hreten. Es dienet auch hier zu bemerken, daß Aegypten <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#aq">Ibid. p. 79. l. 19. conf. Diod. Sic. L. 1. p. 41. l.</hi> 36.</note> von acht-<lb/>
zehen Aethiopi&#x017F;chen Ko&#x0364;nigen beherr&#x017F;chet worden, deren Regierung in die<lb/>
a&#x0364;lte&#x017F;ten Zeiten von Aegypten fa&#x0364;llt. Die Aegypter waren außerdem <note place="foot" n="7)"><hi rendition="#aq">Herodot. L. 2. p. 70. l.</hi> 31.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0082] I Theil. Zweytes Capitel. von der Zeichnung und Bekleidung ihrer Figuren; und in dem dritten Stuͤcke wird von der Ausarbeitung ihrer Werke geredet. Die erſte von den Urſachen der Eigenſchaft der Kunſt unter den Aegyptern lieget in ihrer Bildung ſelbſt, welche nicht diejenige Vorzuͤge hatte, die den Kuͤnſtler durch Ideen hoher Schoͤnheit reizen konnten. Denn die Natur war ihnen weniger, als den Hetruriern und Griechen, guͤn- ſtig geweſen; welches eine Art 1) Sineſiſcher Geſtaltung, als die ihnen eigenthuͤmliche Bildung, ſo wohl an Statuen, als auf Obelisken, und geſchnittenen Steinen, beweiſet 2): es konnten alſo ihre Kuͤnſtler das Man- nigfaltige nicht ſuchen. Eben dieſe Bildung findet ſich an Koͤpfen der auf Mumien gemalten Perſonen, welche, ſo wie bey 3) den Aethiopiern, genau nach der Aehnlichkeit des verſtorbenen werden gemachet ſeyn worden, da die Aegypter in Zurichtung der todten Koͤrper alles, was dieſelben kenntlich machen konnte, ſo gar 4) die Haare der Augenlieder, zu erhalten ſucheten. Vielleicht kam auch unter den Aethiopiern der Gebrauch, die Geſtalt der Verſtorbenen auf ihre Koͤrper zu malen, von den Aegyptern her: denn unter dem Koͤnige Pſammetichus giengen 240,000. Einwohner aus Aegypten nach Aethiopien, welche hier 5) ihre Sitten und Gebraͤuche ein- fuͤhreten. Es dienet auch hier zu bemerken, daß Aegypten 6) von acht- zehen Aethiopiſchen Koͤnigen beherrſchet worden, deren Regierung in die aͤlteſten Zeiten von Aegypten faͤllt. Die Aegypter waren außerdem 7) von 1) Dieſe Bemerkung haͤtten diejenigen, welche neulich viel von Uebereinſtimmung der Sineſen mit den alten Aegyptern geſchrieben haben, anwenden koͤnnen. 2) Aus Kupfern kann man ſich keinen beſſern Vegriff machen, von Bildung der Aegyptiſchen Koͤpfe, als aus einer Mumie beym Beger Theſ. Brand. T. 3. p. 402. und aus einer andern, welche Gordon beſchreibet: Eſſay towards explaning the hieroglyphical figu- res on the Coffin of an antient Mummy, London, 1737. fol. 3) Herodot. L. 3. p. 108. l. 20. 4) Diod. Sic. L. 1. p. 82. l. 26. 5) Herodot. L. 2. p. 63. l. 25. 6) Ibid. p. 79. l. 19. conf. Diod. Sic. L. 1. p. 41. l. 36. 7) Herodot. L. 2. p. 70. l. 31.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/82
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/82>, abgerufen am 21.11.2024.