Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wahrhaftig, ich scherze nicht, erwiderte Fernando. Ich kann dir das Ding übrigens verschaffen, glaub' ich. O thu' es ja, rief Lope eifrig. Vergiß es nicht, ich muß es lesen. Ich wette, sagte lächelnd Fernando, du denkst bei dir: es ist doch ein schönes Stück, da muß ich selbst hinsehen, ich trau' Fernando's Urtheil nicht. Nicht wahr, so etwas Aehnliches dachtest du? -- Nun, gedulde dich nur, du sollst mit eignen Augen sehen. Du wirst es gar nicht zu Ende lesen. Ich denke, ich lese es lieber gar nicht, meinte sinnend Lope: ich fürchte, ich schreibe Nichts mehr, wenn ich es gelesen habe. Unbesorgt, lieber Lope! wir verfallen Beide dem Gesetz der Trägheit; ich werde Nichts mehr schreiben, und du wirst schreiben, so lange der Herr in seiner Langmuth dich athmen läßt. Dann standen sie auf, Fernando trank den Rest, Lope bezahlte den Wein, und Beide gingen nach der Stadt zurück. -- -- Die Damen hatten sich fast alle sehr gelangweilt, Madame G. war in ihrer Sophaecke eingeschlafen, und nur ein schönes ernstes Mädchen, das aufmerksam zugehört hatte, rief: Das ist eine allerliebste Anekdote! Vielleicht that sie es auch nur aus Gutmüthigkeit, um den Erzähler nicht unbelohnt zu lassen. Die Herren schienen im Ganzen mehr befriedigt, Wahrhaftig, ich scherze nicht, erwiderte Fernando. Ich kann dir das Ding übrigens verschaffen, glaub' ich. O thu' es ja, rief Lope eifrig. Vergiß es nicht, ich muß es lesen. Ich wette, sagte lächelnd Fernando, du denkst bei dir: es ist doch ein schönes Stück, da muß ich selbst hinsehen, ich trau' Fernando's Urtheil nicht. Nicht wahr, so etwas Aehnliches dachtest du? — Nun, gedulde dich nur, du sollst mit eignen Augen sehen. Du wirst es gar nicht zu Ende lesen. Ich denke, ich lese es lieber gar nicht, meinte sinnend Lope: ich fürchte, ich schreibe Nichts mehr, wenn ich es gelesen habe. Unbesorgt, lieber Lope! wir verfallen Beide dem Gesetz der Trägheit; ich werde Nichts mehr schreiben, und du wirst schreiben, so lange der Herr in seiner Langmuth dich athmen läßt. Dann standen sie auf, Fernando trank den Rest, Lope bezahlte den Wein, und Beide gingen nach der Stadt zurück. — — Die Damen hatten sich fast alle sehr gelangweilt, Madame G. war in ihrer Sophaecke eingeschlafen, und nur ein schönes ernstes Mädchen, das aufmerksam zugehört hatte, rief: Das ist eine allerliebste Anekdote! Vielleicht that sie es auch nur aus Gutmüthigkeit, um den Erzähler nicht unbelohnt zu lassen. Die Herren schienen im Ganzen mehr befriedigt, <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0022"/> <p>Wahrhaftig, ich scherze nicht, erwiderte Fernando. Ich kann dir das Ding übrigens verschaffen, glaub' ich.</p><lb/> <p>O thu' es ja, rief Lope eifrig. Vergiß es nicht, ich muß es lesen.</p><lb/> <p>Ich wette, sagte lächelnd Fernando, du denkst bei dir: es ist doch ein schönes Stück, da muß ich selbst hinsehen, ich trau' Fernando's Urtheil nicht. Nicht wahr, so etwas Aehnliches dachtest du? — Nun, gedulde dich nur, du sollst mit eignen Augen sehen. Du wirst es gar nicht zu Ende lesen.</p><lb/> <p>Ich denke, ich lese es lieber gar nicht, meinte sinnend Lope: ich fürchte, ich schreibe Nichts mehr, wenn ich es gelesen habe.</p><lb/> <p>Unbesorgt, lieber Lope! wir verfallen Beide dem Gesetz der Trägheit; ich werde Nichts mehr schreiben, und du wirst schreiben, so lange der Herr in seiner Langmuth dich athmen läßt.</p><lb/> <p>Dann standen sie auf, Fernando trank den Rest, Lope bezahlte den Wein, und Beide gingen nach der Stadt zurück. — —</p><lb/> <p>Die Damen hatten sich fast alle sehr gelangweilt, Madame G. war in ihrer Sophaecke eingeschlafen, und nur ein schönes ernstes Mädchen, das aufmerksam zugehört hatte, rief: Das ist eine allerliebste Anekdote! Vielleicht that sie es auch nur aus Gutmüthigkeit, um den Erzähler nicht unbelohnt zu lassen.</p><lb/> <p>Die Herren schienen im Ganzen mehr befriedigt,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Wahrhaftig, ich scherze nicht, erwiderte Fernando. Ich kann dir das Ding übrigens verschaffen, glaub' ich.
O thu' es ja, rief Lope eifrig. Vergiß es nicht, ich muß es lesen.
Ich wette, sagte lächelnd Fernando, du denkst bei dir: es ist doch ein schönes Stück, da muß ich selbst hinsehen, ich trau' Fernando's Urtheil nicht. Nicht wahr, so etwas Aehnliches dachtest du? — Nun, gedulde dich nur, du sollst mit eignen Augen sehen. Du wirst es gar nicht zu Ende lesen.
Ich denke, ich lese es lieber gar nicht, meinte sinnend Lope: ich fürchte, ich schreibe Nichts mehr, wenn ich es gelesen habe.
Unbesorgt, lieber Lope! wir verfallen Beide dem Gesetz der Trägheit; ich werde Nichts mehr schreiben, und du wirst schreiben, so lange der Herr in seiner Langmuth dich athmen läßt.
Dann standen sie auf, Fernando trank den Rest, Lope bezahlte den Wein, und Beide gingen nach der Stadt zurück. — —
Die Damen hatten sich fast alle sehr gelangweilt, Madame G. war in ihrer Sophaecke eingeschlafen, und nur ein schönes ernstes Mädchen, das aufmerksam zugehört hatte, rief: Das ist eine allerliebste Anekdote! Vielleicht that sie es auch nur aus Gutmüthigkeit, um den Erzähler nicht unbelohnt zu lassen.
Die Herren schienen im Ganzen mehr befriedigt,
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