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Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wiessenschaften. Bd. 3. Halle (Saale), 1710.

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Anfangs-Gründe
ren Satz annehmen müssen/ daß die Planeten mit
der Sonne sich in Circuln von Abend gegen Mor-
gen bewegeten/ die nicht ihren Mittelpunct in dem
Mittelpuncte der Erde/ sondern ausser demselben
hatten. Da aber dieses allein nichts helfen wollen/
haben sie an die grosse Circul kleine Circul gesetzet/
die sie Epicyclos genennet/ und sich eingebildet/ als
wenn der Planete in der Peripherie des kleinen Cir-
culs herumb lieffe/ dessen centrum in dem grossen
sich verrückte. Ja wenn sie mit den Epicyclis nicht
auskommen kotnnen/ setzten sie das centrum eines
dritten Circuls in die Peripherie des andern und
nennten ihn Epicycepicyclum. Und doch bey allen
diesen ertichteten Dingen/ von denen sie versichert
waren/ daß sie im Himmel nicht anzutreffen wären/
konten sie doch nicht recht auskommen.

Die 2. Anmerckung.

395. Vielleicht gedencket ihr/ es sey dieses ein
klahrer Beweiß/ daß dem Verstande des Menschen
Schrancken gesetzet sind/ die er nicht überschreiten
kan/ damit er erkenne/ GOtt könne überschwencklich
thun über alles/ was wir verstehen. Allein eure Ge-
dancken würden Grund haben/ wenn ich nicht bald
zeigete/ daß wir einen Welt Bau uns gedencken kön-
nen/ daraus einer in seiner Studier-Stube durch
blosses Nachsinnen die Himmels-Begebenheiten er-
lernen kan/ die er sonst durch fleißige Betrachtung
des Himmels erkennet. Wollet ihr sagen/ dieser
Welt-Baue sey von dem menschlichen Verstande
nur ertichtet worden: so fürchte ich sehr/ daß ihr
dem göttlichen Verstande nachtheilige Gedancken füh-
ret/ den ihr über den menschlichen Verstand mit Recht
unendlich erheben wollet. Denn ihr werdet begreiffen/
daß der Welt-Bau/ den ich beschreiben werde/ durch
kurtze Wege das leiste/ was durch Umbwege ge-
schähe/ wenn die Erde sich nicht bewegen sollte. Nun
müsset ihr gestehen/ daß es eine grössere Weißheit ist

eine

Anfangs-Gruͤnde
ren Satz annehmen muͤſſen/ daß die Planeten mit
der Sonne ſich in Circuln von Abend gegen Mor-
gen bewegeten/ die nicht ihren Mittelpunct in dem
Mittelpuncte der Erde/ ſondern auſſer demſelben
hatten. Da aber dieſes allein nichts helfen wollen/
haben ſie an die groſſe Circul kleine Circul geſetzet/
die ſie Epicyclos genennet/ und ſich eingebildet/ als
wenn der Planete in der Peripherie des kleinen Cir-
culs herumb lieffe/ deſſen centrum in dem groſſen
ſich verruͤckte. Ja wenn ſie mit den Epicyclis nicht
auskommen kotnnen/ ſetzten ſie das centrum eines
dritten Circuls in die Peripherie des andern und
nennten ihn Epicycepicyclum. Und doch bey allen
dieſen ertichteten Dingen/ von denen ſie verſichert
waren/ daß ſie im Himmel nicht anzutreffen waͤren/
konten ſie doch nicht recht auskommen.

Die 2. Anmerckung.

395. Vielleicht gedencket ihr/ es ſey dieſes ein
klahrer Beweiß/ daß dem Verſtande des Menſchen
Schrancken geſetzet ſind/ die er nicht uͤberſchreiten
kan/ damit er erkenne/ GOtt koͤnne uͤberſchwencklich
thun uͤber alles/ was wir verſtehen. Allein eure Ge-
dancken wuͤrden Grund haben/ wenn ich nicht bald
zeigete/ daß wir einen Welt Bau uns gedencken koͤn-
nen/ daraus einer in ſeiner Studier-Stube durch
bloſſes Nachſinnen die Himmels-Begebenheiten er-
lernen kan/ die er ſonſt durch fleißige Betrachtung
des Himmels erkennet. Wollet ihr ſagen/ dieſer
Welt-Baue ſey von dem menſchlichen Verſtande
nur ertichtet worden: ſo fuͤrchte ich ſehr/ daß ihr
dem goͤttlichen Verſtande nachtheilige Gedancken fuͤh-
ret/ den ihr uͤber den menſchlichen Verſtand mit Recht
unendlich erheben wollet. Denn ihr werdet begreiffen/
daß der Welt-Bau/ den ich beſchreiben werde/ durch
kurtze Wege das leiſte/ was durch Umbwege ge-
ſchaͤhe/ wenn die Erde ſich nicht bewegen ſollte. Nun
muͤſſet ihr geſtehen/ daß es eine groͤſſere Weißheit iſt

eine
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[344/0368] Anfangs-Gruͤnde ren Satz annehmen muͤſſen/ daß die Planeten mit der Sonne ſich in Circuln von Abend gegen Mor- gen bewegeten/ die nicht ihren Mittelpunct in dem Mittelpuncte der Erde/ ſondern auſſer demſelben hatten. Da aber dieſes allein nichts helfen wollen/ haben ſie an die groſſe Circul kleine Circul geſetzet/ die ſie Epicyclos genennet/ und ſich eingebildet/ als wenn der Planete in der Peripherie des kleinen Cir- culs herumb lieffe/ deſſen centrum in dem groſſen ſich verruͤckte. Ja wenn ſie mit den Epicyclis nicht auskommen kotnnen/ ſetzten ſie das centrum eines dritten Circuls in die Peripherie des andern und nennten ihn Epicycepicyclum. Und doch bey allen dieſen ertichteten Dingen/ von denen ſie verſichert waren/ daß ſie im Himmel nicht anzutreffen waͤren/ konten ſie doch nicht recht auskommen. Die 2. Anmerckung. 395. Vielleicht gedencket ihr/ es ſey dieſes ein klahrer Beweiß/ daß dem Verſtande des Menſchen Schrancken geſetzet ſind/ die er nicht uͤberſchreiten kan/ damit er erkenne/ GOtt koͤnne uͤberſchwencklich thun uͤber alles/ was wir verſtehen. Allein eure Ge- dancken wuͤrden Grund haben/ wenn ich nicht bald zeigete/ daß wir einen Welt Bau uns gedencken koͤn- nen/ daraus einer in ſeiner Studier-Stube durch bloſſes Nachſinnen die Himmels-Begebenheiten er- lernen kan/ die er ſonſt durch fleißige Betrachtung des Himmels erkennet. Wollet ihr ſagen/ dieſer Welt-Baue ſey von dem menſchlichen Verſtande nur ertichtet worden: ſo fuͤrchte ich ſehr/ daß ihr dem goͤttlichen Verſtande nachtheilige Gedancken fuͤh- ret/ den ihr uͤber den menſchlichen Verſtand mit Recht unendlich erheben wollet. Denn ihr werdet begreiffen/ daß der Welt-Bau/ den ich beſchreiben werde/ durch kurtze Wege das leiſte/ was durch Umbwege ge- ſchaͤhe/ wenn die Erde ſich nicht bewegen ſollte. Nun muͤſſet ihr geſtehen/ daß es eine groͤſſere Weißheit iſt eine

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wiessenschaften. Bd. 3. Halle (Saale), 1710. , S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende03_1710/368>, abgerufen am 22.11.2024.