Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 3. Von der Einrichtung heit lassen. Es kan nicht neben einanderbestehen, einem auftragen alles, was als Wahrheit angegeben wird, auf das schärf- ste zu untersuchen, und nichts anzuneh- men, als was man richtig befindet, und doch zugleich anbefehlen, dasjenige als wahr anzunehmen, was ein gewisser Mann davor gehalten. Man weiß lei- der! zur Gnüge auch aus der Erfahrung, daß eben dieses das Mittel ist den Fort- gang der Wissenschafften zu hindern. Es ist aber aus dieser Freyheit nichts gefähr- liches zu besorgen. Denn da in die Aca- demie der Wissenschaften niemand als ein besoldetes Mitglied genommen wird, als der die Wahrheit gründlich zu untersuchen geschickt ist, die Wahrheit aber, wenn sie nicht zur Unzeit vorgetragen wird, kei- nen Schaden stifften, auch keiner anderen bereits erkandten Wahrheit zuwieder seyn kan, wegen ihrer Verknüpffung, die alle mit einander haben (§. 42. Met.); so siehet man nicht, was schädliches daraus erfol- gen kan. Denn wenn man was schädli- ches besorgen wollte, so müsten es Meinun- gen seyn, die entweder der Religion, oder dem Staate, oder einem ehrbahren Wan- del zuwiederlieffen. Da nun die Acade- mie der Wissenschafften keine Meinungen annimmet, sondern nur ausgemachte Wahrheiten, von Wahrheiten aber kein Ein-
Cap. 3. Von der Einrichtung heit laſſen. Es kan nicht neben einanderbeſtehen, einem auftragen alles, was als Wahrheit angegeben wird, auf das ſchaͤrf- ſte zu unterſuchen, und nichts anzuneh- men, als was man richtig befindet, und doch zugleich anbefehlen, dasjenige als wahr anzunehmen, was ein gewiſſer Mann davor gehalten. Man weiß lei- der! zur Gnuͤge auch aus der Erfahrung, daß eben dieſes das Mittel iſt den Fort- gang der Wiſſenſchafften zu hindern. Es iſt aber aus dieſer Freyheit nichts gefaͤhr- liches zu beſorgen. Denn da in die Aca- demie der Wiſſenſchaften niemand als ein beſoldetes Mitglied genommen wird, als der die Wahrheit gruͤndlich zu unterſuchen geſchickt iſt, die Wahrheit aber, wenn ſie nicht zur Unzeit vorgetragen wird, kei- nen Schaden ſtifften, auch keiner anderen bereits erkandten Wahrheit zuwieder ſeyn kan, wegen ihrer Verknuͤpffung, die alle mit einander haben (§. 42. Met.); ſo ſiehet man nicht, was ſchaͤdliches daraus erfol- gen kan. Denn wenn man was ſchaͤdli- ches beſorgen wollte, ſo muͤſten es Meinun- gen ſeyn, die entweder der Religion, oder dem Staate, oder einem ehrbahren Wan- del zuwiederlieffen. Da nun die Acade- mie der Wiſſenſchafften keine Meinungen annimmet, ſondern nur ausgemachte Wahrheiten, von Wahrheiten aber kein Ein-
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Cap. 3. Von der Einrichtung
heit laſſen. Es kan nicht neben einander
beſtehen, einem auftragen alles, was als
Wahrheit angegeben wird, auf das ſchaͤrf-
ſte zu unterſuchen, und nichts anzuneh-
men, als was man richtig befindet, und
doch zugleich anbefehlen, dasjenige als
wahr anzunehmen, was ein gewiſſer
Mann davor gehalten. Man weiß lei-
der! zur Gnuͤge auch aus der Erfahrung,
daß eben dieſes das Mittel iſt den Fort-
gang der Wiſſenſchafften zu hindern. Es
iſt aber aus dieſer Freyheit nichts gefaͤhr-
liches zu beſorgen. Denn da in die Aca-
demie der Wiſſenſchaften niemand als ein
beſoldetes Mitglied genommen wird, als
der die Wahrheit gruͤndlich zu unterſuchen
geſchickt iſt, die Wahrheit aber, wenn
ſie nicht zur Unzeit vorgetragen wird, kei-
nen Schaden ſtifften, auch keiner anderen
bereits erkandten Wahrheit zuwieder ſeyn
kan, wegen ihrer Verknuͤpffung, die alle mit
einander haben (§. 42. Met.); ſo ſiehet
man nicht, was ſchaͤdliches daraus erfol-
gen kan. Denn wenn man was ſchaͤdli-
ches beſorgen wollte, ſo muͤſten es Meinun-
gen ſeyn, die entweder der Religion, oder
dem Staate, oder einem ehrbahren Wan-
del zuwiederlieffen. Da nun die Acade-
mie der Wiſſenſchafften keine Meinungen
annimmet, ſondern nur ausgemachte
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