Verbrechens in Ansehung des gemeinen Wesens: denn es hat eine gantz andere Beschaffenheit, wenn man von den La- stern vor und an sich selbst urtheilet.
Ob Jrr- thum zu bestrafen
§. 359.
Hier lässet sich auch die Frage entscheiden, ob und wie wie weit Jrrthü- mer zu bestraffen sind. Ein Jrrthum ist ein falscher Wahn von der Wahrheit, oder Falschheit eines Urtheils (§. 396 Met.), und also eine ungegründete Meinung (§. 393 Met.), folgends ein blosser Gedancke (§. 194. 384 Met.). Da nun die Ge- dancken zollfrey sind (§. 356); so müssen auch die Jrrthümer, die einer vor sich he- get, zollfrey seyn, das ist, Jrrthümer dörf- fen nicht bestraffet werden. Man kan es auch noch handgreifflicher auf solche Art erweisen. Man darf im gemeinen Wesen nichts bestraffen, als wodurch die gemei- ne Wohlfahrt und Sicherheit gestöhret wird (§. 357). Ein Jrrthum, den einer vor sich heget, kan die gemeine Wohlfahrt nicht stöhren. Niemand weiß, was ich mir gedencke, und also kan es keinen Schaden bringen. Deromegen dörffen Jrrthümer nicht bestraffet werden. Weil man nun auch im gemeinen Wesen kein Recht hat Verbrechen zu untersuchen, als in so weit man dieselbe zu bestraffen nöthig hat, massen die Untersuchung zu keinem anderen Cnde geschiehet, als daß
man
Cap. 3. Von der Einrichtung
Verbrechens in Anſehung des gemeinen Weſens: denn es hat eine gantz andere Beſchaffenheit, wenn man von den La- ſtern vor und an ſich ſelbſt urtheilet.
Ob Jrr- thum zu beſtrafen
§. 359.
Hier laͤſſet ſich auch die Frage entſcheiden, ob und wie wie weit Jrrthuͤ- mer zu beſtraffen ſind. Ein Jrrthum iſt ein falſcher Wahn von der Wahrheit, oder Falſchheit eines Urtheils (§. 396 Met.), und alſo eine ungegruͤndete Meinung (§. 393 Met.), folgends ein bloſſer Gedancke (§. 194. 384 Met.). Da nun die Ge- dancken zollfrey ſind (§. 356); ſo muͤſſen auch die Jrrthuͤmer, die einer vor ſich he- get, zollfrey ſeyn, das iſt, Jrrthuͤmer doͤrf- fen nicht beſtraffet werden. Man kan es auch noch handgreifflicher auf ſolche Art erweiſen. Man darf im gemeinen Weſen nichts beſtraffen, als wodurch die gemei- ne Wohlfahrt und Sicherheit geſtoͤhret wird (§. 357). Ein Jrrthum, den einer vor ſich heget, kan die gemeine Wohlfahrt nicht ſtoͤhren. Niemand weiß, was ich mir gedencke, und alſo kan es keinen Schaden bringen. Deromegen doͤrffen Jrrthuͤmer nicht beſtraffet werden. Weil man nun auch im gemeinen Weſen kein Recht hat Verbrechen zu unterſuchen, als in ſo weit man dieſelbe zu beſtraffen noͤthig hat, maſſen die Unterſuchung zu keinem anderen Cnde geſchiehet, als daß
man
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Cap. 3. Von der Einrichtung
Verbrechens in Anſehung des gemeinen
Weſens: denn es hat eine gantz andere
Beſchaffenheit, wenn man von den La-
ſtern vor und an ſich ſelbſt urtheilet.
§. 359.Hier laͤſſet ſich auch die Frage
entſcheiden, ob und wie wie weit Jrrthuͤ-
mer zu beſtraffen ſind. Ein Jrrthum iſt
ein falſcher Wahn von der Wahrheit, oder
Falſchheit eines Urtheils (§. 396 Met.),
und alſo eine ungegruͤndete Meinung (§.
393 Met.), folgends ein bloſſer Gedancke
(§. 194. 384 Met.). Da nun die Ge-
dancken zollfrey ſind (§. 356); ſo muͤſſen
auch die Jrrthuͤmer, die einer vor ſich he-
get, zollfrey ſeyn, das iſt, Jrrthuͤmer doͤrf-
fen nicht beſtraffet werden. Man kan es
auch noch handgreifflicher auf ſolche Art
erweiſen. Man darf im gemeinen Weſen
nichts beſtraffen, als wodurch die gemei-
ne Wohlfahrt und Sicherheit geſtoͤhret
wird (§. 357). Ein Jrrthum, den einer
vor ſich heget, kan die gemeine Wohlfahrt
nicht ſtoͤhren. Niemand weiß, was ich
mir gedencke, und alſo kan es keinen
Schaden bringen. Deromegen doͤrffen
Jrrthuͤmer nicht beſtraffet werden. Weil
man nun auch im gemeinen Weſen kein
Recht hat Verbrechen zu unterſuchen, als
in ſo weit man dieſelbe zu beſtraffen
noͤthig hat, maſſen die Unterſuchung zu
keinem anderen Cnde geſchiehet, als daß
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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