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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 2. Von dem Ehestande.
so lange dauren muß, bis die Absicht der-
selben erreichet worden (§. 1021. Mor. &
2. 4. Polit.
)

§. 45.

Wolte man sagen, der EhestandEin Zwei-
fel wird
gehoben.

sey ein Vertrag (§. 2), in der natürlichen
Freiheit aber lasse sich ein Vertrag aufhe-
ben, wenn beyde Partheyen eines wer-
den, einander ihr versprechen zuerlaßen (§.
1029. Mor.) und demnach könnten Ehe-
leute von einander gehen, wenn sie deßen
zusammen eines würden: so ist wohl zu-
erwegen, daß, da wir nicht etwas ver-
abscheuen können, wir müßen uns die
Sache als böse vorstellen (§. 506. Met.),
auch Eheleute es als etwas böses ansehen
müssen, so lange in der Ehe mit einander
zu leben, wenn sie von einander begeh-
ren. Derowegen ist nöthig, daß man diese
Bewegungs-gründe untersuchet, damit man
erkennet, ob sie tüchtig sind oder nicht.
Und solcher Gestalt kan man insgemein
nicht sagen, daß allzeit Eheleute, wenn sie
deßen eines werden, von einander gehen
können. Wir wollen demnach die Ursa-
chen genauer untersuchen, umb derer Wil-Wenn
Perso-
nen sich
verloben/
und war-
um Ver-
lobte die
Ehe zu
vollzie-
hen schul-
dig.

len sie sich trennen können.

§. 46.

Damitnun dieses umständlich sich
zeigen laße, so müßen wir für allen Din-
gen untersuchen, wie bald der Ehestand sei-
nen Anfang nimmet. Weil der Chestand
eine Gesellschafft (§. 16), eine jede Gesell-

schafft

Cap. 2. Von dem Eheſtande.
ſo lange dauren muß, bis die Abſicht der-
ſelben erreichet worden (§. 1021. Mor. &
2. 4. Polit.
)

§. 45.

Wolte man ſagen, der EheſtandEin Zwei-
fel wird
gehoben.

ſey ein Vertrag (§. 2), in der natuͤrlichen
Freiheit aber laſſe ſich ein Vertrag aufhe-
ben, wenn beyde Partheyen eines wer-
den, einander ihr verſprechen zuerlaßen (§.
1029. Mor.) und demnach koͤnnten Ehe-
leute von einander gehen, wenn ſie deßen
zuſammen eines wuͤrden: ſo iſt wohl zu-
erwegen, daß, da wir nicht etwas ver-
abſcheuen koͤnnen, wir muͤßen uns die
Sache als boͤſe vorſtellen (§. 506. Met.),
auch Eheleute es als etwas boͤſes anſehen
muͤſſen, ſo lange in der Ehe mit einander
zu leben, wenn ſie von einander begeh-
ren. Derowegen iſt noͤthig, daß man dieſe
Bewegungs-gruͤnde unterſuchet, damit man
erkennet, ob ſie tuͤchtig ſind oder nicht.
Und ſolcher Geſtalt kan man insgemein
nicht ſagen, daß allzeit Eheleute, wenn ſie
deßen eines werden, von einander gehen
koͤnnen. Wir wollen demnach die Urſa-
chen genauer unterſuchen, umb derer Wil-Wenn
Perſo-
nen ſich
verloben/
und war-
um Ver-
lobte die
Ehe zu
vollzie-
hen ſchul-
dig.

len ſie ſich trennen koͤnnen.

§. 46.

Damitnun dieſes umſtaͤndlich ſich
zeigen laße, ſo muͤßen wir fuͤr allen Din-
gen unterſuchen, wie bald der Eheſtand ſei-
nen Anfang nimmet. Weil der Cheſtand
eine Geſellſchafft (§. 16), eine jede Geſell-

ſchafft
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[31/0049] Cap. 2. Von dem Eheſtande. ſo lange dauren muß, bis die Abſicht der- ſelben erreichet worden (§. 1021. Mor. & 2. 4. Polit.) §. 45.Wolte man ſagen, der Eheſtand ſey ein Vertrag (§. 2), in der natuͤrlichen Freiheit aber laſſe ſich ein Vertrag aufhe- ben, wenn beyde Partheyen eines wer- den, einander ihr verſprechen zuerlaßen (§. 1029. Mor.) und demnach koͤnnten Ehe- leute von einander gehen, wenn ſie deßen zuſammen eines wuͤrden: ſo iſt wohl zu- erwegen, daß, da wir nicht etwas ver- abſcheuen koͤnnen, wir muͤßen uns die Sache als boͤſe vorſtellen (§. 506. Met.), auch Eheleute es als etwas boͤſes anſehen muͤſſen, ſo lange in der Ehe mit einander zu leben, wenn ſie von einander begeh- ren. Derowegen iſt noͤthig, daß man dieſe Bewegungs-gruͤnde unterſuchet, damit man erkennet, ob ſie tuͤchtig ſind oder nicht. Und ſolcher Geſtalt kan man insgemein nicht ſagen, daß allzeit Eheleute, wenn ſie deßen eines werden, von einander gehen koͤnnen. Wir wollen demnach die Urſa- chen genauer unterſuchen, umb derer Wil- len ſie ſich trennen koͤnnen. Ein Zwei- fel wird gehoben. Wenn Perſo- nen ſich verloben/ und war- um Ver- lobte die Ehe zu vollzie- hen ſchul- dig. §. 46.Damitnun dieſes umſtaͤndlich ſich zeigen laße, ſo muͤßen wir fuͤr allen Din- gen unterſuchen, wie bald der Eheſtand ſei- nen Anfang nimmet. Weil der Cheſtand eine Geſellſchafft (§. 16), eine jede Geſell- ſchafft

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/49>, abgerufen am 21.11.2024.