ten der Materie, die beständige, verän- derliche und fremde, müssen demnach in Erklärung der Natur von einander wohl unterschieden werden.
§. 19.
Vielleicht werden sich einige ei-Ein Zweiffel wird ge- hoben. ne Schwierigkeit darüber machen, daß wir von wesentlichen Veränderungen re- den, indem sie sich besinnen, daß das We- sen eines Dinges unveränderlich ist (§. 42 Met.). Die Schwierigkeit kommet in diesem Falle daher, daß man vermeinet, es werde in der Metaphysick gelehret, das Wesen eines Dinges sey unveränderlich; in der Physick aber gebe man zu, daß es ver- änderlich sey. Und also wiederspreche man in der Physick demjenigen, was man in der Metaphysick behauptet. Allein wenn man beliebet die Sache genauer zu überlegen, so wird aller Schein des Wiederspruches gar bald verschwinden. Jn der Metaphysick redet man von dem Wesen der Dinge vor und an sich selbst, ohne auf die Würcklich- keit mit acht zu haben, die ein Ding, wel- ches dieses oder jenes Wesen hat, erreichen kan. Jn der Physick aber siehet man auf die Würcklichkeit der Dinge, die ein ge- wisses Wesen haben. Derowegen wenn man von wesentlichen Veränderungen re- det, saget man keinesweges, daß ein Ding, welches würcklich war, auch noch dasselbe verbleibet, indem sein Wesen anders wird,
als
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und der Natur der Coͤrper.
ten der Materie, die beſtaͤndige, veraͤn- derliche und fremde, muͤſſen demnach in Erklaͤrung der Natur von einander wohl unterſchieden werden.
§. 19.
Vielleicht werden ſich einige ei-Ein Zweiffel wird ge- hoben. ne Schwierigkeit daruͤber machen, daß wir von weſentlichen Veraͤnderungen re- den, indem ſie ſich beſinnen, daß das We- ſen eines Dinges unveraͤnderlich iſt (§. 42 Met.). Die Schwierigkeit kommet in dieſem Falle daher, daß man vermeinet, es werde in der Metaphyſick gelehret, das Weſen eines Dinges ſey unveraͤnderlich; in der Phyſick aber gebe man zu, daß es ver- aͤnderlich ſey. Und alſo wiederſpreche man in der Phyſick demjenigen, was man in der Metaphyſick behauptet. Allein wenn man beliebet die Sache genauer zu uͤberlegen, ſo wird aller Schein des Wiederſpruches gar bald verſchwinden. Jn der Metaphyſick redet man von dem Weſen der Dinge vor und an ſich ſelbſt, ohne auf die Wuͤrcklich- keit mit acht zu haben, die ein Ding, wel- ches dieſes oder jenes Weſen hat, erreichen kan. Jn der Phyſick aber ſiehet man auf die Wuͤrcklichkeit der Dinge, die ein ge- wiſſes Weſen haben. Derowegen wenn man von weſentlichen Veraͤnderungen re- det, ſaget man keinesweges, daß ein Ding, welches wuͤrcklich war, auch noch daſſelbe verbleibet, indem ſein Weſen anders wird,
als
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und der Natur der Coͤrper.
ten der Materie, die beſtaͤndige, veraͤn-
derliche und fremde, muͤſſen demnach
in Erklaͤrung der Natur von einander wohl
unterſchieden werden.
§. 19. Vielleicht werden ſich einige ei-
ne Schwierigkeit daruͤber machen, daß
wir von weſentlichen Veraͤnderungen re-
den, indem ſie ſich beſinnen, daß das We-
ſen eines Dinges unveraͤnderlich iſt (§. 42
Met.). Die Schwierigkeit kommet in
dieſem Falle daher, daß man vermeinet, es
werde in der Metaphyſick gelehret, das
Weſen eines Dinges ſey unveraͤnderlich; in
der Phyſick aber gebe man zu, daß es ver-
aͤnderlich ſey. Und alſo wiederſpreche man
in der Phyſick demjenigen, was man in der
Metaphyſick behauptet. Allein wenn man
beliebet die Sache genauer zu uͤberlegen, ſo
wird aller Schein des Wiederſpruches gar
bald verſchwinden. Jn der Metaphyſick
redet man von dem Weſen der Dinge vor
und an ſich ſelbſt, ohne auf die Wuͤrcklich-
keit mit acht zu haben, die ein Ding, wel-
ches dieſes oder jenes Weſen hat, erreichen
kan. Jn der Phyſick aber ſiehet man auf
die Wuͤrcklichkeit der Dinge, die ein ge-
wiſſes Weſen haben. Derowegen wenn
man von weſentlichen Veraͤnderungen re-
det, ſaget man keinesweges, daß ein Ding,
welches wuͤrcklich war, auch noch daſſelbe
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_naturwuerckungen_1723/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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