Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723.Cap. XIV. Von den Sinnen. Auge leicht hin und wieder bewegen: wel-ches insonderheit nöthig ist, weil man das Auge gerade gegen die Sache richten muß, wenn man genau sehen will. Die schwartze Haut (choroidea) verdunckelt nicht allein das Auge: sondern da Ruysch viel kleine Puls-Adern darinnen observiret, so wird auch dadurch dem Auge Nahrung zugefüh- ret und dieselbe nicht ungeschickt in den Kul- musischen Tabellen das Ader Häutlein ge- nennet. Endlich hinten lieget darüber das netzförmige Häutlein (retina), wel- ches aus den subtilen Fäserlein des Ge- sichts-Nerven (nervi optici) wie ein dün- nes Gewebe sich ausbreitet. Es sind aber in diesem hohlen Auge verschiedene Feuch- tigkeiten, die nicht allein die Höhle ausfül- len, sondern auch zum Sehen dienen. Mit- ten im Auge ist die Crystalline Feuchtig- keit (humor crystallinus), welche einem geschliffenen Glase gleichet, und daher die durch den Stern einfallenden Strahlen des Lichtes dergestalt bricht daß, die aus einem Puncte der Sache ausgeflossen waren, hin- ten auf dem netzförmigen Häutlein in einem Puncte wieder zusammen kommen und da- durch die Sache abbilden zwar sehr subtil und verkehrt, aber überaus deutlich mit al- len Farben die sie haben (§. 32. Optic.). Und dieses ist die gantze Absicht des Auges. Ausser dieser Feuchtigkeit ist noch gleich
Cap. XIV. Von den Sinnen. Auge leicht hin und wieder bewegen: wel-ches inſonderheit noͤthig iſt, weil man das Auge gerade gegen die Sache richten muß, wenn man genau ſehen will. Die ſchwartze Haut (choroidea) verdunckelt nicht allein das Auge: ſondern da Ruyſch viel kleine Puls-Adern darinnen obſerviret, ſo wird auch dadurch dem Auge Nahrung zugefuͤh- ret und dieſelbe nicht ungeſchickt in den Kul- muſiſchen Tabellen das Ader Haͤutlein ge- nennet. Endlich hinten lieget daruͤber das netzfoͤrmige Haͤutlein (retina), wel- ches aus den ſubtilen Faͤſerlein des Ge- ſichts-Nerven (nervi optici) wie ein duͤn- nes Gewebe ſich ausbreitet. Es ſind aber in dieſem hohlen Auge verſchiedene Feuch- tigkeiten, die nicht allein die Hoͤhle ausfuͤl- len, ſondern auch zum Sehen dienen. Mit- ten im Auge iſt die Cryſtalline Feuchtig- keit (humor cryſtallinus), welche einem geſchliffenen Glaſe gleichet, und daher die durch den Stern einfallenden Strahlen des Lichtes dergeſtalt bricht daß, die aus einem Puncte der Sache ausgefloſſen waren, hin- ten auf dem netzfoͤrmigen Haͤutlein in einem Puncte wieder zuſammen kommen und da- durch die Sache abbilden zwar ſehr ſubtil und verkehrt, aber uͤberaus deutlich mit al- len Farben die ſie haben (§. 32. Optic.). Und dieſes iſt die gantze Abſicht des Auges. Auſſer dieſer Feuchtigkeit iſt noch gleich
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Cap. XIV. Von den Sinnen.
Auge leicht hin und wieder bewegen: wel-
ches inſonderheit noͤthig iſt, weil man das
Auge gerade gegen die Sache richten muß,
wenn man genau ſehen will. Die ſchwartze
Haut (choroidea) verdunckelt nicht allein
das Auge: ſondern da Ruyſch viel kleine
Puls-Adern darinnen obſerviret, ſo wird
auch dadurch dem Auge Nahrung zugefuͤh-
ret und dieſelbe nicht ungeſchickt in den Kul-
muſiſchen Tabellen das Ader Haͤutlein ge-
nennet. Endlich hinten lieget daruͤber das
netzfoͤrmige Haͤutlein (retina), wel-
ches aus den ſubtilen Faͤſerlein des Ge-
ſichts-Nerven (nervi optici) wie ein duͤn-
nes Gewebe ſich ausbreitet. Es ſind aber
in dieſem hohlen Auge verſchiedene Feuch-
tigkeiten, die nicht allein die Hoͤhle ausfuͤl-
len, ſondern auch zum Sehen dienen. Mit-
ten im Auge iſt die Cryſtalline Feuchtig-
keit (humor cryſtallinus), welche einem
geſchliffenen Glaſe gleichet, und daher die
durch den Stern einfallenden Strahlen des
Lichtes dergeſtalt bricht daß, die aus einem
Puncte der Sache ausgefloſſen waren, hin-
ten auf dem netzfoͤrmigen Haͤutlein in einem
Puncte wieder zuſammen kommen und da-
durch die Sache abbilden zwar ſehr ſubtil
und verkehrt, aber uͤberaus deutlich mit al-
len Farben die ſie haben (§. 32. Optic.).
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