Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_185.001 Die griechische Tragödie hat somit die epische Hinnahme der pwo_185.010 pwo_185.017 § 75. pwo_185.018 pwo_185.019Verfall der griechischen Tragödie. Nach dieser schnellen Blüte verfällt die griechische Tragödie jäh. pwo_185.020 Schon war ein glücklicher Ausgang zugelassen, - die Folgezeit pwo_185.023 Die Verflachung nach dem mittleren Geschmack des Publikums pwo_185.028 Die Zeitzustände waren der Entwicklung der Tragödie nicht mehr pwo_185.035 pwo_185.001 Die griechische Tragödie hat somit die epische Hinnahme der pwo_185.010 pwo_185.017 § 75. pwo_185.018 pwo_185.019Verfall der griechischen Tragödie. Nach dieser schnellen Blüte verfällt die griechische Tragödie jäh. pwo_185.020 Schon war ein glücklicher Ausgang zugelassen, – die Folgezeit pwo_185.023 Die Verflachung nach dem mittleren Geschmack des Publikums pwo_185.028 Die Zeitzustände waren der Entwicklung der Tragödie nicht mehr pwo_185.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0199" n="185"/><lb n="pwo_185.001"/> es zu lenken. Bei aller psychologischen Wahrheit im einzelnen fehlt <lb n="pwo_185.002"/> es somit auch den Euripideischen Charakteren an unmittelbarem Einfluß <lb n="pwo_185.003"/> auf die entscheidende Gestaltung der Handlung, insbesondre der <lb n="pwo_185.004"/> Katastrophe. Thoas will nach der Seeseite abgehen, um die in seine <lb n="pwo_185.005"/> Hand zurückgegebenen Geschwister Jphigenie und Orest zu ereilen, <lb n="pwo_185.006"/> als Athene oberhalb des Tempels schwebend erscheint, um im Gegensatz <lb n="pwo_185.007"/> zum innern Organismus der Handlung dieser Verfolgung Halt <lb n="pwo_185.008"/> zu gebieten.</p> <lb n="pwo_185.009"/> <p> Die griechische Tragödie hat somit die epische Hinnahme der <lb n="pwo_185.010"/> Ereignisse trotz ihrer Ansätze zur Charakteristik nicht zu überwinden <lb n="pwo_185.011"/> vermocht. Auch bewahrt sich das Drama der Griechen im Chor ein <lb n="pwo_185.012"/> undramatisches, wesentlich episches Element. Während die ältere Tragödie <lb n="pwo_185.013"/> ihn mit lebhaftem Jnteresse an jedem Moment der Handlung <lb n="pwo_185.014"/> teilnehmen läßt, schließt ihn Sophokles sogar von solchem Eingreifen <lb n="pwo_185.015"/> aus: der Chor bleibt passiv und beschränkt sich auf seine überdies <lb n="pwo_185.016"/> gemessener gestalteten Lieder.</p> </div> <div n="4"> <lb n="pwo_185.017"/> <head> <hi rendition="#c">§ 75. <lb n="pwo_185.018"/> Verfall der griechischen Tragödie.</hi> </head> <lb n="pwo_185.019"/> <p> Nach dieser schnellen Blüte verfällt die griechische Tragödie jäh. <lb n="pwo_185.020"/> Manche Keime zu solcher Entartung trug sie schon während ihrer <lb n="pwo_185.021"/> klassischen Zeit in sich.</p> <lb n="pwo_185.022"/> <p> Schon war ein glücklicher Ausgang zugelassen, – die Folgezeit <lb n="pwo_185.023"/> hat ihn bevorzugt. Der Wirkung ernster Verwicklungen ist aber viel <lb n="pwo_185.024"/> von ihrer Wucht genommen, wenn – noch dazu von außen her – <lb n="pwo_185.025"/> der geschürzte Knoten durchhauen wird. Das bedeutet sowohl eine <lb n="pwo_185.026"/> Abschwächung als zugleich einen Rückfall ins Epische.</p> <lb n="pwo_185.027"/> <p> Die Verflachung nach dem mittleren Geschmack des Publikums <lb n="pwo_185.028"/> hin veranlaßt bald ein Herabschrauben des Ausdrucks ins Nüchterne <lb n="pwo_185.029"/> der prosaischen Alltagssprache, bald eine Verflüchtigung in leere Rhetorik: <lb n="pwo_185.030"/> im einen Falle glaubt man Euripides, dessen Schule vorherrscht, <lb n="pwo_185.031"/> im andern Sophokles gefolgt zu sein, während man doch nur mit <lb n="pwo_185.032"/> unzulänglicher Kraft den Stil der Klassiker veräußerlichte. Auch <lb n="pwo_185.033"/> metrische Sorglosigkeit stellte sich ein.</p> <lb n="pwo_185.034"/> <p> Die Zeitzustände waren der Entwicklung der Tragödie nicht mehr <lb n="pwo_185.035"/> gleich günstig. Eine Abstumpfung, die bald nach den Perserkriegen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [185/0199]
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es zu lenken. Bei aller psychologischen Wahrheit im einzelnen fehlt pwo_185.002
es somit auch den Euripideischen Charakteren an unmittelbarem Einfluß pwo_185.003
auf die entscheidende Gestaltung der Handlung, insbesondre der pwo_185.004
Katastrophe. Thoas will nach der Seeseite abgehen, um die in seine pwo_185.005
Hand zurückgegebenen Geschwister Jphigenie und Orest zu ereilen, pwo_185.006
als Athene oberhalb des Tempels schwebend erscheint, um im Gegensatz pwo_185.007
zum innern Organismus der Handlung dieser Verfolgung Halt pwo_185.008
zu gebieten.
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Die griechische Tragödie hat somit die epische Hinnahme der pwo_185.010
Ereignisse trotz ihrer Ansätze zur Charakteristik nicht zu überwinden pwo_185.011
vermocht. Auch bewahrt sich das Drama der Griechen im Chor ein pwo_185.012
undramatisches, wesentlich episches Element. Während die ältere Tragödie pwo_185.013
ihn mit lebhaftem Jnteresse an jedem Moment der Handlung pwo_185.014
teilnehmen läßt, schließt ihn Sophokles sogar von solchem Eingreifen pwo_185.015
aus: der Chor bleibt passiv und beschränkt sich auf seine überdies pwo_185.016
gemessener gestalteten Lieder.
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§ 75. pwo_185.018
Verfall der griechischen Tragödie. pwo_185.019
Nach dieser schnellen Blüte verfällt die griechische Tragödie jäh. pwo_185.020
Manche Keime zu solcher Entartung trug sie schon während ihrer pwo_185.021
klassischen Zeit in sich.
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Schon war ein glücklicher Ausgang zugelassen, – die Folgezeit pwo_185.023
hat ihn bevorzugt. Der Wirkung ernster Verwicklungen ist aber viel pwo_185.024
von ihrer Wucht genommen, wenn – noch dazu von außen her – pwo_185.025
der geschürzte Knoten durchhauen wird. Das bedeutet sowohl eine pwo_185.026
Abschwächung als zugleich einen Rückfall ins Epische.
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Die Verflachung nach dem mittleren Geschmack des Publikums pwo_185.028
hin veranlaßt bald ein Herabschrauben des Ausdrucks ins Nüchterne pwo_185.029
der prosaischen Alltagssprache, bald eine Verflüchtigung in leere Rhetorik: pwo_185.030
im einen Falle glaubt man Euripides, dessen Schule vorherrscht, pwo_185.031
im andern Sophokles gefolgt zu sein, während man doch nur mit pwo_185.032
unzulänglicher Kraft den Stil der Klassiker veräußerlichte. Auch pwo_185.033
metrische Sorglosigkeit stellte sich ein.
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Die Zeitzustände waren der Entwicklung der Tragödie nicht mehr pwo_185.035
gleich günstig. Eine Abstumpfung, die bald nach den Perserkriegen
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