Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_206.001 Das geistliche Schauspiel erfährt zwar im Reformationszeitalter pwo_206.004 Das weltliche Trauerspiel findet im 16. Jahrhundert zunächst pwo_206.014 Mit dem Auftauchen der englischen Komödianten wird die deutsche pwo_206.031 pwo_206.001 Das geistliche Schauspiel erfährt zwar im Reformationszeitalter pwo_206.004 Das weltliche Trauerspiel findet im 16. Jahrhundert zunächst pwo_206.014 Mit dem Auftauchen der englischen Komödianten wird die deutsche pwo_206.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0220" n="206"/><lb n="pwo_206.001"/> Kraft stellt, um damit alsbald zu einer Säule für den Weiterbau der <lb n="pwo_206.002"/> gesamten Weltlitteratur anzuwachsen.</p> <lb n="pwo_206.003"/> <p> Das geistliche Schauspiel erfährt zwar im Reformationszeitalter <lb n="pwo_206.004"/> eine eigenartige Belebung, bewahrt auch noch volkstümliche Züge, <lb n="pwo_206.005"/> unterliegt aber in der formellen Vervollkommnung gelehrten Einflüssen. <lb n="pwo_206.006"/> Paul Rebhuhns „Spiel von der keuschen Susanna“ führt einen Chor <lb n="pwo_206.007"/> nach antikem Muster ein, wie denn besonders in seiner Heimat Sachsen <lb n="pwo_206.008"/> das geistliche Spiel unter den Händen von Geistlichen und Schulmännern <lb n="pwo_206.009"/> gelehrteren Anstrich gewinnt und gern dogmatischen oder <lb n="pwo_206.010"/> pädagogischen Zwecken dient. Mehr mit dem Volke bleibt es namentlich <lb n="pwo_206.011"/> in der Schweiz verwachsen, nimmt dort indes ebenfalls tendenziös <lb n="pwo_206.012"/> protestantischen Charakter an.</p> <lb n="pwo_206.013"/> <p> Das weltliche Trauerspiel findet im 16. Jahrhundert zunächst <lb n="pwo_206.014"/> an Hans Sachs und seiner Schule Bearbeiter. Er behandelt auch <lb n="pwo_206.015"/> manche geistliche Stoffe in rein weltlich-künstlerischer Absicht, zieht vor <lb n="pwo_206.016"/> allem die deutsche Heldensage, die griechische Mythologie, sowie die <lb n="pwo_206.017"/> Geschichte als Stoffgebiet heran. Aber der Horizont dieser bürgerlichen <lb n="pwo_206.018"/> Dichter bleibt nur bürgerlich; der heroische Zug der Quellen <lb n="pwo_206.019"/> wird unfreiwillig ins Banale nüchterner Handwerksmoral travestiert. <lb n="pwo_206.020"/> So macht Hans Sachs 1557 aus der Siegfriedsage eine Tragödie <lb n="pwo_206.021"/> mit der Moral: bleibe im Lande und nähre dich redlich! Siegfried <lb n="pwo_206.022"/> kommt um, weil der Fürwitz das junge Blut stach, auf Abenteuer <lb n="pwo_206.023"/> auszureiten, statt daheim bei seinen Eltern zu bleiben, wo er so sicher <lb n="pwo_206.024"/> vor jedem Feinde war! Für tragische Größe fehlt also noch das <lb n="pwo_206.025"/> rechte Verständnis; immerhin ist es nicht bedeutungslos, daß Hans <lb n="pwo_206.026"/> Sachs diejenigen seiner Dramen, welche, selbst nach Unheil und Totschlag, <lb n="pwo_206.027"/> den Zuschauer schließlich in tröstlicher Stimmung entlassen, <lb n="pwo_206.028"/> noch Komödien nennt: erst bei absolut traurigem, entsetzlichem Endeindruck <lb n="pwo_206.029"/> tritt die Bezeichnung Tragödie ein.</p> <lb n="pwo_206.030"/> <p> Mit dem Auftauchen der englischen Komödianten wird die deutsche <lb n="pwo_206.031"/> Schauspielaufführung aus dem bisherigen Dilettantismus zu wirklicher <lb n="pwo_206.032"/> Kunst erhoben: anstelle der Festspieler treten Berufsspieler. Auch die <lb n="pwo_206.033"/> Jnscenierung, Dekoration und Maschinerie erfahren eine verhältnismäßig <lb n="pwo_206.034"/> glänzende Vervollkommnung. Vor allem gewinnt die Handlung <lb n="pwo_206.035"/> mehr Bewegung, und zum ersten male wird der menschlichen <lb n="pwo_206.036"/> Leidenschaft die Zunge gelöst. Trotz der Roheit dieser Anfänge – </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0220]
pwo_206.001
Kraft stellt, um damit alsbald zu einer Säule für den Weiterbau der pwo_206.002
gesamten Weltlitteratur anzuwachsen.
pwo_206.003
Das geistliche Schauspiel erfährt zwar im Reformationszeitalter pwo_206.004
eine eigenartige Belebung, bewahrt auch noch volkstümliche Züge, pwo_206.005
unterliegt aber in der formellen Vervollkommnung gelehrten Einflüssen. pwo_206.006
Paul Rebhuhns „Spiel von der keuschen Susanna“ führt einen Chor pwo_206.007
nach antikem Muster ein, wie denn besonders in seiner Heimat Sachsen pwo_206.008
das geistliche Spiel unter den Händen von Geistlichen und Schulmännern pwo_206.009
gelehrteren Anstrich gewinnt und gern dogmatischen oder pwo_206.010
pädagogischen Zwecken dient. Mehr mit dem Volke bleibt es namentlich pwo_206.011
in der Schweiz verwachsen, nimmt dort indes ebenfalls tendenziös pwo_206.012
protestantischen Charakter an.
pwo_206.013
Das weltliche Trauerspiel findet im 16. Jahrhundert zunächst pwo_206.014
an Hans Sachs und seiner Schule Bearbeiter. Er behandelt auch pwo_206.015
manche geistliche Stoffe in rein weltlich-künstlerischer Absicht, zieht vor pwo_206.016
allem die deutsche Heldensage, die griechische Mythologie, sowie die pwo_206.017
Geschichte als Stoffgebiet heran. Aber der Horizont dieser bürgerlichen pwo_206.018
Dichter bleibt nur bürgerlich; der heroische Zug der Quellen pwo_206.019
wird unfreiwillig ins Banale nüchterner Handwerksmoral travestiert. pwo_206.020
So macht Hans Sachs 1557 aus der Siegfriedsage eine Tragödie pwo_206.021
mit der Moral: bleibe im Lande und nähre dich redlich! Siegfried pwo_206.022
kommt um, weil der Fürwitz das junge Blut stach, auf Abenteuer pwo_206.023
auszureiten, statt daheim bei seinen Eltern zu bleiben, wo er so sicher pwo_206.024
vor jedem Feinde war! Für tragische Größe fehlt also noch das pwo_206.025
rechte Verständnis; immerhin ist es nicht bedeutungslos, daß Hans pwo_206.026
Sachs diejenigen seiner Dramen, welche, selbst nach Unheil und Totschlag, pwo_206.027
den Zuschauer schließlich in tröstlicher Stimmung entlassen, pwo_206.028
noch Komödien nennt: erst bei absolut traurigem, entsetzlichem Endeindruck pwo_206.029
tritt die Bezeichnung Tragödie ein.
pwo_206.030
Mit dem Auftauchen der englischen Komödianten wird die deutsche pwo_206.031
Schauspielaufführung aus dem bisherigen Dilettantismus zu wirklicher pwo_206.032
Kunst erhoben: anstelle der Festspieler treten Berufsspieler. Auch die pwo_206.033
Jnscenierung, Dekoration und Maschinerie erfahren eine verhältnismäßig pwo_206.034
glänzende Vervollkommnung. Vor allem gewinnt die Handlung pwo_206.035
mehr Bewegung, und zum ersten male wird der menschlichen pwo_206.036
Leidenschaft die Zunge gelöst. Trotz der Roheit dieser Anfänge –
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |