Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_011.001 2. Die Poetik will allgemeingültig sein - und nimmt doch pwo_011.005 Jndes erkennt sie nicht jede Entwicklungsstufe für sich als gesetzgebend pwo_011.007 Es giebt ein einheitliches Wesen der Poesie, aber es hat viele pwo_011.015 3. Die entwicklungsgeschichtliche Poetik hat ihre Untersuchung pwo_011.018 Ausschlaggebend ist: ob der vorhandene Ausschnitt der Weltpoesiegeschichte pwo_011.023 Je umfassender, je voller ausgeführt, je tiefer eingehend die Jnduktion, pwo_011.034 pwo_011.001 2. Die Poetik will allgemeingültig sein – und nimmt doch pwo_011.005 Jndes erkennt sie nicht jede Entwicklungsstufe für sich als gesetzgebend pwo_011.007 Es giebt ein einheitliches Wesen der Poesie, aber es hat viele pwo_011.015 3. Die entwicklungsgeschichtliche Poetik hat ihre Untersuchung pwo_011.018 Ausschlaggebend ist: ob der vorhandene Ausschnitt der Weltpoesiegeschichte pwo_011.023 Je umfassender, je voller ausgeführt, je tiefer eingehend die Jnduktion, pwo_011.034 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0025" n="11"/><lb n="pwo_011.001"/> der Gesamtpoesie der Vergangenheit zugrunde liegen, einen Maßstab <lb n="pwo_011.002"/> für Beurteilung der Einzelerscheinungen in Vergangenheit und Gegenwart <lb n="pwo_011.003"/> gewonnen haben.</p> <lb n="pwo_011.004"/> <p> 2. Die Poetik will allgemeingültig sein – und nimmt doch <lb n="pwo_011.005"/> verschieden gestaltete Entwicklungsstufen der Poesie an!</p> <lb n="pwo_011.006"/> <p> Jndes erkennt sie nicht jede Entwicklungsstufe für sich als gesetzgebend <lb n="pwo_011.007"/> an, was ein Chaos von Widersprüchen ergäbe. Die Poetik <lb n="pwo_011.008"/> erkennt vielmehr jede Entwicklungsstufe nur als eine Potenz, eine <lb n="pwo_011.009"/> Aeußerungsform der Entwicklung an und erst aus dem Jneinandergreifen <lb n="pwo_011.010"/> und einheitlichen Grundzug dieser Potenzen erschließt sie das <lb n="pwo_011.011"/> durchgehends zugrunde liegende Prinzip der Entwicklung. Dieses ist <lb n="pwo_011.012"/> zugleich partikulär für jede einzelne Entwicklungsstufe und allgemeingültig <lb n="pwo_011.013"/> für alle Stufen insgesamt, somit unanfechtbar gesetzgebend.</p> <lb n="pwo_011.014"/> <p> Es giebt ein einheitliches Wesen der Poesie, aber es hat viele <lb n="pwo_011.015"/> Offenbarungsformen, und die identischen Urzellen derselben werden <lb n="pwo_011.016"/> dem Beschauer erst durch geordnetes Zusammenrücken sichtbar.</p> <lb n="pwo_011.017"/> <p> 3. Die entwicklungsgeschichtliche Poetik hat ihre Untersuchung <lb n="pwo_011.018"/> mit dem Beginn der Entwicklung, mit der Urpoesie, einzusetzen – <lb n="pwo_011.019"/> aber sie muß sich mit der ältesten geschichtlich erschließbaren Poesie <lb n="pwo_011.020"/> als Ausgangspunkt begnügen! Wie die Dichtung der Zukunft liegt <lb n="pwo_011.021"/> auch die der vorgeschichtlichen Vergangenheit in Dunkel gehüllt.</p> <lb n="pwo_011.022"/> <p> Ausschlaggebend ist: ob der vorhandene Ausschnitt der Weltpoesiegeschichte <lb n="pwo_011.023"/> von der ältesten ergründeten Zeit bis auf die Gegenwart <lb n="pwo_011.024"/> ausgedehnt d. h. entwicklungsreich genug ist, um ein bestimmtes Entwicklungsprinzip <lb n="pwo_011.025"/> erkennen zu lassen. Besteht diese Möglichkeit, dann <lb n="pwo_011.026"/> dürfen wir hypothetisch den Faden ebenso rückwärts in vorgeschichtliche <lb n="pwo_011.027"/> Zeit spinnen, wie wir ihn durch Aufstellung von Gesetzen, wenigstens <lb n="pwo_011.028"/> bedingungsweise, vorwärts in eine ständig ergänzende und revidierende <lb n="pwo_011.029"/> Zukunft ziehen. Nachdem wir die in geschichtlicher Zeit waltenden <lb n="pwo_011.030"/> Gesetze erkannt haben, werden wir zum mindesten voraussetzen dürfen, <lb n="pwo_011.031"/> daß die Entwicklung der Poesie in geschichtlich noch nicht erschlossener <lb n="pwo_011.032"/> Zeit nicht nach entgegengesetzten Normen erfolgte.</p> <lb n="pwo_011.033"/> <p> Je umfassender, je voller ausgeführt, je tiefer eingehend die Jnduktion, <lb n="pwo_011.034"/> desto präziser werden die Ergebnisse sein. Vorerst wird es <lb n="pwo_011.035"/> möglich und notwendig sein, in den Grundzügen die Richtung der <lb n="pwo_011.036"/> Poesieentwicklung zu erkennen.</p> <lb n="pwo_011.037"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0025]
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der Gesamtpoesie der Vergangenheit zugrunde liegen, einen Maßstab pwo_011.002
für Beurteilung der Einzelerscheinungen in Vergangenheit und Gegenwart pwo_011.003
gewonnen haben.
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2. Die Poetik will allgemeingültig sein – und nimmt doch pwo_011.005
verschieden gestaltete Entwicklungsstufen der Poesie an!
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Jndes erkennt sie nicht jede Entwicklungsstufe für sich als gesetzgebend pwo_011.007
an, was ein Chaos von Widersprüchen ergäbe. Die Poetik pwo_011.008
erkennt vielmehr jede Entwicklungsstufe nur als eine Potenz, eine pwo_011.009
Aeußerungsform der Entwicklung an und erst aus dem Jneinandergreifen pwo_011.010
und einheitlichen Grundzug dieser Potenzen erschließt sie das pwo_011.011
durchgehends zugrunde liegende Prinzip der Entwicklung. Dieses ist pwo_011.012
zugleich partikulär für jede einzelne Entwicklungsstufe und allgemeingültig pwo_011.013
für alle Stufen insgesamt, somit unanfechtbar gesetzgebend.
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Es giebt ein einheitliches Wesen der Poesie, aber es hat viele pwo_011.015
Offenbarungsformen, und die identischen Urzellen derselben werden pwo_011.016
dem Beschauer erst durch geordnetes Zusammenrücken sichtbar.
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3. Die entwicklungsgeschichtliche Poetik hat ihre Untersuchung pwo_011.018
mit dem Beginn der Entwicklung, mit der Urpoesie, einzusetzen – pwo_011.019
aber sie muß sich mit der ältesten geschichtlich erschließbaren Poesie pwo_011.020
als Ausgangspunkt begnügen! Wie die Dichtung der Zukunft liegt pwo_011.021
auch die der vorgeschichtlichen Vergangenheit in Dunkel gehüllt.
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Ausschlaggebend ist: ob der vorhandene Ausschnitt der Weltpoesiegeschichte pwo_011.023
von der ältesten ergründeten Zeit bis auf die Gegenwart pwo_011.024
ausgedehnt d. h. entwicklungsreich genug ist, um ein bestimmtes Entwicklungsprinzip pwo_011.025
erkennen zu lassen. Besteht diese Möglichkeit, dann pwo_011.026
dürfen wir hypothetisch den Faden ebenso rückwärts in vorgeschichtliche pwo_011.027
Zeit spinnen, wie wir ihn durch Aufstellung von Gesetzen, wenigstens pwo_011.028
bedingungsweise, vorwärts in eine ständig ergänzende und revidierende pwo_011.029
Zukunft ziehen. Nachdem wir die in geschichtlicher Zeit waltenden pwo_011.030
Gesetze erkannt haben, werden wir zum mindesten voraussetzen dürfen, pwo_011.031
daß die Entwicklung der Poesie in geschichtlich noch nicht erschlossener pwo_011.032
Zeit nicht nach entgegengesetzten Normen erfolgte.
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Je umfassender, je voller ausgeführt, je tiefer eingehend die Jnduktion, pwo_011.034
desto präziser werden die Ergebnisse sein. Vorerst wird es pwo_011.035
möglich und notwendig sein, in den Grundzügen die Richtung der pwo_011.036
Poesieentwicklung zu erkennen.
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