Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

pwo_268.001
mußten die Reformen des Archilochos durch musikalische Rücksichten pwo_268.002
wesentlich beeinflußt sein. Jn Konsequenz der Auffassung einer Senkung pwo_268.003
als Maß von einfachster Zeitdauer, einer Hebung als Maß von pwo_268.004
doppelter Zeitdauer durften zwei kurze Silben durch eine Länge ersetzt pwo_268.005
werden. Weiterhin faßt er zwei Versfüße zu einer Maßeinheit pwo_268.006
zusammen; durch Beschwerung des einen von beiden treten sie in ein pwo_268.007
ähnlich geartetes, freilich im Takt umgekehrtes Verhältnis zu einander pwo_268.008
wie die Silben jedes einzelnen Versfußes. Das jambische Metron pwo_268.009
Breve - Breve - nimmt durch Uebergang in - - Breve - trochäischen pwo_268.010
Tonfall, das trochäische - Breve - Breve durch Uebergang in - Breve - - pwo_268.011
jambischen Tonfall an. So hatte der Vers energische Bewegung, in pwo_268.012
aller strengen Gesetzmäßigkeit volle Modulationsfreiheit gewonnen.

pwo_268.013

Ohne die reiche Weiterbildung der Versformen in der vielgestaltigen pwo_268.014
griechischen Lyrik eingehend zu verfolgen, müssen wir die Entstehung pwo_268.015
der dramatischen Metra ins Auge fassen. Schon ihr Zusammenhang pwo_268.016
mit dem Dithyrambos bewirkt eine gewisse metrische pwo_268.017
Kontinuität. Für die Chorlieder und die monodischen Partieen der pwo_268.018
dionysischen Festgesänge waren jambische Trimeter, trochäische, jambische pwo_268.019
und anapästische Tetrameter nebst den sich anschließenden Hypermetren pwo_268.020
gebräuchlich. Die attische Komödie gelangt metrisch nicht wesentlich pwo_268.021
über diese Grundlagen hinaus; mindestens lassen sich ihre Verse fast pwo_268.022
sämtlich auf die genannten Maße zurückführen. Die Tragödie bewahrt pwo_268.023
zwar nur jambische Trimeter, trochäische Tetrameter und anapästische pwo_268.024
Hypermeter. Aber auch die logaödischen Chormetren sind pwo_268.025
aus dem Dithyrambos geschöpft, die daktylischen wie die daktylo-epitritischen pwo_268.026
Bildungen stellen Entlehnungen aus der Lyrik dar. So pwo_268.027
werden wir auch für den in seiner Grundlage noch unaufgeklärten pwo_268.028
Teil der tragischen Maße verschüttete Quellen in der Volkslyrik vorauszusetzen pwo_268.029
haben.

pwo_268.030
§ 110. pwo_268.031
Fortsetzung: Hauptstufen in der Weiterbildung der deutschen pwo_268.032
Versform.
pwo_268.033

Nicht minder reich und - trotz mehrfach versuchter Durchbrechungen pwo_268.034
- nicht minder organisch erweist sich die Fortbildung

pwo_268.001
mußten die Reformen des Archilochos durch musikalische Rücksichten pwo_268.002
wesentlich beeinflußt sein. Jn Konsequenz der Auffassung einer Senkung pwo_268.003
als Maß von einfachster Zeitdauer, einer Hebung als Maß von pwo_268.004
doppelter Zeitdauer durften zwei kurze Silben durch eine Länge ersetzt pwo_268.005
werden. Weiterhin faßt er zwei Versfüße zu einer Maßeinheit pwo_268.006
zusammen; durch Beschwerung des einen von beiden treten sie in ein pwo_268.007
ähnlich geartetes, freilich im Takt umgekehrtes Verhältnis zu einander pwo_268.008
wie die Silben jedes einzelnen Versfußes. Das jambische Metron pwo_268.009
⏑ ─́ ⏑ ─́ nimmt durch Uebergang in ─ ─̋ ⏑ ─́ trochäischen pwo_268.010
Tonfall, das trochäische ─́ ⏑ ─́ ⏑ durch Uebergang in ─́ ⏑ ─̋ ─ pwo_268.011
jambischen Tonfall an. So hatte der Vers energische Bewegung, in pwo_268.012
aller strengen Gesetzmäßigkeit volle Modulationsfreiheit gewonnen.

pwo_268.013

  Ohne die reiche Weiterbildung der Versformen in der vielgestaltigen pwo_268.014
griechischen Lyrik eingehend zu verfolgen, müssen wir die Entstehung pwo_268.015
der dramatischen Metra ins Auge fassen. Schon ihr Zusammenhang pwo_268.016
mit dem Dithyrambos bewirkt eine gewisse metrische pwo_268.017
Kontinuität. Für die Chorlieder und die monodischen Partieen der pwo_268.018
dionysischen Festgesänge waren jambische Trimeter, trochäische, jambische pwo_268.019
und anapästische Tetrameter nebst den sich anschließenden Hypermetren pwo_268.020
gebräuchlich. Die attische Komödie gelangt metrisch nicht wesentlich pwo_268.021
über diese Grundlagen hinaus; mindestens lassen sich ihre Verse fast pwo_268.022
sämtlich auf die genannten Maße zurückführen. Die Tragödie bewahrt pwo_268.023
zwar nur jambische Trimeter, trochäische Tetrameter und anapästische pwo_268.024
Hypermeter. Aber auch die logaödischen Chormetren sind pwo_268.025
aus dem Dithyrambos geschöpft, die daktylischen wie die daktylo-epitritischen pwo_268.026
Bildungen stellen Entlehnungen aus der Lyrik dar. So pwo_268.027
werden wir auch für den in seiner Grundlage noch unaufgeklärten pwo_268.028
Teil der tragischen Maße verschüttete Quellen in der Volkslyrik vorauszusetzen pwo_268.029
haben.

pwo_268.030
§ 110. pwo_268.031
Fortsetzung: Hauptstufen in der Weiterbildung der deutschen pwo_268.032
Versform.
pwo_268.033

  Nicht minder reich und – trotz mehrfach versuchter Durchbrechungen pwo_268.034
– nicht minder organisch erweist sich die Fortbildung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0282" n="268"/><lb n="pwo_268.001"/>
mußten die Reformen des Archilochos durch musikalische Rücksichten <lb n="pwo_268.002"/>
wesentlich beeinflußt sein. Jn Konsequenz der Auffassung einer Senkung <lb n="pwo_268.003"/>
als Maß von einfachster Zeitdauer, einer Hebung als Maß von <lb n="pwo_268.004"/>
doppelter Zeitdauer durften zwei kurze Silben durch eine Länge ersetzt <lb n="pwo_268.005"/>
werden. Weiterhin faßt er zwei Versfüße zu einer Maßeinheit <lb n="pwo_268.006"/>
zusammen; durch Beschwerung des einen von beiden treten sie in ein <lb n="pwo_268.007"/>
ähnlich geartetes, freilich im Takt umgekehrtes Verhältnis zu einander <lb n="pwo_268.008"/>
wie die Silben jedes einzelnen Versfußes. Das jambische Metron     <lb n="pwo_268.009"/>
&#x23D1; &#x2500;&#x0301; &#x23D1; &#x2500;&#x0301; nimmt durch Uebergang in &#x2500; &#x2500;&#x030B; &#x23D1; &#x2500;&#x0301; trochäischen     <lb n="pwo_268.010"/>
Tonfall, das trochäische &#x2500;&#x0301; &#x23D1; &#x2500;&#x0301; &#x23D1; durch Uebergang in &#x2500;&#x0301; &#x23D1; &#x2500;&#x030B; &#x2500; <lb n="pwo_268.011"/>
jambischen Tonfall an. So hatte der Vers energische Bewegung, in <lb n="pwo_268.012"/>
aller strengen Gesetzmäßigkeit volle Modulationsfreiheit gewonnen.</p>
            <lb n="pwo_268.013"/>
            <p>  Ohne die reiche Weiterbildung der Versformen in der vielgestaltigen <lb n="pwo_268.014"/>
griechischen Lyrik eingehend zu verfolgen, müssen wir die Entstehung <lb n="pwo_268.015"/>
der <hi rendition="#g">dramatischen</hi> Metra ins Auge fassen. Schon ihr Zusammenhang <lb n="pwo_268.016"/>
mit dem Dithyrambos bewirkt eine gewisse metrische <lb n="pwo_268.017"/>
Kontinuität. Für die Chorlieder und die monodischen Partieen der <lb n="pwo_268.018"/>
dionysischen Festgesänge waren jambische Trimeter, trochäische, jambische <lb n="pwo_268.019"/>
und anapästische Tetrameter nebst den sich anschließenden Hypermetren <lb n="pwo_268.020"/>
gebräuchlich. Die attische Komödie gelangt metrisch nicht wesentlich <lb n="pwo_268.021"/>
über diese Grundlagen hinaus; mindestens lassen sich ihre Verse fast <lb n="pwo_268.022"/>
sämtlich auf die genannten Maße zurückführen. Die Tragödie bewahrt <lb n="pwo_268.023"/>
zwar nur jambische Trimeter, trochäische Tetrameter und anapästische <lb n="pwo_268.024"/>
Hypermeter. Aber auch die logaödischen Chormetren sind <lb n="pwo_268.025"/>
aus dem Dithyrambos geschöpft, die daktylischen wie die daktylo-epitritischen <lb n="pwo_268.026"/>
Bildungen stellen Entlehnungen aus der Lyrik dar. So <lb n="pwo_268.027"/>
werden wir auch für den in seiner Grundlage noch unaufgeklärten <lb n="pwo_268.028"/>
Teil der tragischen Maße verschüttete Quellen in der Volkslyrik vorauszusetzen <lb n="pwo_268.029"/>
haben.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <lb n="pwo_268.030"/>
            <head> <hi rendition="#c">§ 110. <lb n="pwo_268.031"/>
Fortsetzung: Hauptstufen in der Weiterbildung der deutschen <lb n="pwo_268.032"/>
Versform.</hi> </head>
            <lb n="pwo_268.033"/>
            <p>  Nicht minder reich und &#x2013; trotz mehrfach versuchter Durchbrechungen <lb n="pwo_268.034"/>
&#x2013; nicht minder organisch erweist sich die Fortbildung
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0282] pwo_268.001 mußten die Reformen des Archilochos durch musikalische Rücksichten pwo_268.002 wesentlich beeinflußt sein. Jn Konsequenz der Auffassung einer Senkung pwo_268.003 als Maß von einfachster Zeitdauer, einer Hebung als Maß von pwo_268.004 doppelter Zeitdauer durften zwei kurze Silben durch eine Länge ersetzt pwo_268.005 werden. Weiterhin faßt er zwei Versfüße zu einer Maßeinheit pwo_268.006 zusammen; durch Beschwerung des einen von beiden treten sie in ein pwo_268.007 ähnlich geartetes, freilich im Takt umgekehrtes Verhältnis zu einander pwo_268.008 wie die Silben jedes einzelnen Versfußes. Das jambische Metron pwo_268.009 ⏑ ─́ ⏑ ─́ nimmt durch Uebergang in ─ ─̋ ⏑ ─́ trochäischen pwo_268.010 Tonfall, das trochäische ─́ ⏑ ─́ ⏑ durch Uebergang in ─́ ⏑ ─̋ ─ pwo_268.011 jambischen Tonfall an. So hatte der Vers energische Bewegung, in pwo_268.012 aller strengen Gesetzmäßigkeit volle Modulationsfreiheit gewonnen. pwo_268.013   Ohne die reiche Weiterbildung der Versformen in der vielgestaltigen pwo_268.014 griechischen Lyrik eingehend zu verfolgen, müssen wir die Entstehung pwo_268.015 der dramatischen Metra ins Auge fassen. Schon ihr Zusammenhang pwo_268.016 mit dem Dithyrambos bewirkt eine gewisse metrische pwo_268.017 Kontinuität. Für die Chorlieder und die monodischen Partieen der pwo_268.018 dionysischen Festgesänge waren jambische Trimeter, trochäische, jambische pwo_268.019 und anapästische Tetrameter nebst den sich anschließenden Hypermetren pwo_268.020 gebräuchlich. Die attische Komödie gelangt metrisch nicht wesentlich pwo_268.021 über diese Grundlagen hinaus; mindestens lassen sich ihre Verse fast pwo_268.022 sämtlich auf die genannten Maße zurückführen. Die Tragödie bewahrt pwo_268.023 zwar nur jambische Trimeter, trochäische Tetrameter und anapästische pwo_268.024 Hypermeter. Aber auch die logaödischen Chormetren sind pwo_268.025 aus dem Dithyrambos geschöpft, die daktylischen wie die daktylo-epitritischen pwo_268.026 Bildungen stellen Entlehnungen aus der Lyrik dar. So pwo_268.027 werden wir auch für den in seiner Grundlage noch unaufgeklärten pwo_268.028 Teil der tragischen Maße verschüttete Quellen in der Volkslyrik vorauszusetzen pwo_268.029 haben. pwo_268.030 § 110. pwo_268.031 Fortsetzung: Hauptstufen in der Weiterbildung der deutschen pwo_268.032 Versform. pwo_268.033   Nicht minder reich und – trotz mehrfach versuchter Durchbrechungen pwo_268.034 – nicht minder organisch erweist sich die Fortbildung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/282
Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/282>, abgerufen am 24.11.2024.