Stehen doch die glühenden Ergüsse eines Werther freien Rhythmen pwo_274.002 prinzipiell nicht fern, und auch im weiteren Umfang spricht man pwo_274.003 angesichts der Goetheschen Prosa von rhythmischer Bewegung, wie sie pwo_274.004 eben künstlerisch beflügelt ist.
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Mit unverkennbarer inneren Gesetzmäßigkeit bildet aber Lessing pwo_274.006 sogar die Sprache des lebendigen, dramatischen Dialogs künstlerisch pwo_274.007 aus. Seine wesentlichsten Stilmittel sind geflissentliche Wiederholungen, pwo_274.008 Korrekturen, Antithesen, Jronie. Was ist die Wiederholung, pwo_274.009 die Um- und Umwendung jedes wesentlichen Begriffes anders als ein pwo_274.010 Streben nach Harmonie, wie sie der Wiederkehr desselben Versmaßes, pwo_274.011 gleichsam der Abstimmung auf einen Ton, wie sie auch dem pwo_274.012 Gleichklang des Reims zugrunde liegt? Kehren doch in Lessings pwo_274.013 Meisterdramen einzelne Wendungen ganze Scenen hindurch refränartig pwo_274.014 wieder. Und wie Satz und Gegensatz, Aufgesang und Abgesang pwo_274.015 sich entgegentreten, wie die Harmonie sich in Disharmonie auflöst, um pwo_274.016 wieder in sich zum Ausgleich zurückzukehren, so prägt Lessings Prosa pwo_274.017 bald ihre scharfen Antithesen, bald ihre leiser umwendenden Korrekturen pwo_274.018 des jedesmaligen Leitmotivs, bald wieder den doppelt wuchtigen pwo_274.019 Gegensinn der Jronie, um je nach Umständen ausgleichend oder auflösend pwo_274.020 zum Eingangsglied zurückzukehren. Man denke an Justs Abwägen pwo_274.021 des guten Danzigers und der schlechten Mores, die der Wirt pwo_274.022 besitzt: an den dreimaligen Refrän, nach jedem Trunk: "Herr pwo_274.023 Wirt, Er ist doch ein Grobian!" - bis er Trinken wie Reden zum pwo_274.024 Abschluß bringt durch die auch im Sinne der künstlerischen Form abschließende pwo_274.025 Wendung: "Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's pwo_274.026 Jhm, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde pwo_274.027 ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt; so guten Danziger pwo_274.028 zu haben, und so schlechte Mores!" Es ist nicht anders, als folgte pwo_274.029 auf mehrere Stollen der Abgesang.
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Stehen doch die glühenden Ergüsse eines Werther freien Rhythmen pwo_274.002 prinzipiell nicht fern, und auch im weiteren Umfang spricht man pwo_274.003 angesichts der Goetheschen Prosa von rhythmischer Bewegung, wie sie pwo_274.004 eben künstlerisch beflügelt ist.
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Mit unverkennbarer inneren Gesetzmäßigkeit bildet aber Lessing pwo_274.006 sogar die Sprache des lebendigen, dramatischen Dialogs künstlerisch pwo_274.007 aus. Seine wesentlichsten Stilmittel sind geflissentliche Wiederholungen, pwo_274.008 Korrekturen, Antithesen, Jronie. Was ist die Wiederholung, pwo_274.009 die Um- und Umwendung jedes wesentlichen Begriffes anders als ein pwo_274.010 Streben nach Harmonie, wie sie der Wiederkehr desselben Versmaßes, pwo_274.011 gleichsam der Abstimmung auf einen Ton, wie sie auch dem pwo_274.012 Gleichklang des Reims zugrunde liegt? Kehren doch in Lessings pwo_274.013 Meisterdramen einzelne Wendungen ganze Scenen hindurch refränartig pwo_274.014 wieder. Und wie Satz und Gegensatz, Aufgesang und Abgesang pwo_274.015 sich entgegentreten, wie die Harmonie sich in Disharmonie auflöst, um pwo_274.016 wieder in sich zum Ausgleich zurückzukehren, so prägt Lessings Prosa pwo_274.017 bald ihre scharfen Antithesen, bald ihre leiser umwendenden Korrekturen pwo_274.018 des jedesmaligen Leitmotivs, bald wieder den doppelt wuchtigen pwo_274.019 Gegensinn der Jronie, um je nach Umständen ausgleichend oder auflösend pwo_274.020 zum Eingangsglied zurückzukehren. Man denke an Justs Abwägen pwo_274.021 des guten Danzigers und der schlechten Mores, die der Wirt pwo_274.022 besitzt: an den dreimaligen Refrän, nach jedem Trunk: „Herr pwo_274.023 Wirt, Er ist doch ein Grobian!“ – bis er Trinken wie Reden zum pwo_274.024 Abschluß bringt durch die auch im Sinne der künstlerischen Form abschließende pwo_274.025 Wendung: „Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's pwo_274.026 Jhm, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde pwo_274.027 ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt; so guten Danziger pwo_274.028 zu haben, und so schlechte Mores!“ Es ist nicht anders, als folgte pwo_274.029 auf mehrere Stollen der Abgesang.
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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/288>, abgerufen am 27.07.2024.
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