Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_274.001 Stehen doch die glühenden Ergüsse eines Werther freien Rhythmen pwo_274.002 Mit unverkennbarer inneren Gesetzmäßigkeit bildet aber Lessing pwo_274.006 pwo_274.001 Stehen doch die glühenden Ergüsse eines Werther freien Rhythmen pwo_274.002 Mit unverkennbarer inneren Gesetzmäßigkeit bildet aber Lessing pwo_274.006 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0288" n="274"/> <lb n="pwo_274.001"/> <p> Stehen doch die glühenden Ergüsse eines Werther freien Rhythmen <lb n="pwo_274.002"/> prinzipiell nicht fern, und auch im weiteren Umfang spricht man <lb n="pwo_274.003"/> angesichts der Goetheschen Prosa von rhythmischer Bewegung, wie sie <lb n="pwo_274.004"/> eben künstlerisch beflügelt ist.</p> <lb n="pwo_274.005"/> <p> Mit unverkennbarer inneren Gesetzmäßigkeit bildet aber Lessing <lb n="pwo_274.006"/> sogar die Sprache des lebendigen, dramatischen Dialogs künstlerisch <lb n="pwo_274.007"/> aus. Seine wesentlichsten Stilmittel sind geflissentliche Wiederholungen, <lb n="pwo_274.008"/> Korrekturen, Antithesen, Jronie. Was ist die Wiederholung, <lb n="pwo_274.009"/> die Um- und Umwendung jedes wesentlichen Begriffes anders als ein <lb n="pwo_274.010"/> Streben nach <hi rendition="#g">Harmonie,</hi> wie sie der Wiederkehr desselben Versmaßes, <lb n="pwo_274.011"/> gleichsam der Abstimmung auf einen Ton, wie sie auch dem <lb n="pwo_274.012"/> Gleichklang des Reims zugrunde liegt? Kehren doch in Lessings <lb n="pwo_274.013"/> Meisterdramen einzelne Wendungen ganze Scenen hindurch refränartig <lb n="pwo_274.014"/> wieder. Und wie <hi rendition="#g">Satz</hi> und <hi rendition="#g">Gegensatz,</hi> Aufgesang und Abgesang <lb n="pwo_274.015"/> sich entgegentreten, wie die Harmonie sich in Disharmonie auflöst, um <lb n="pwo_274.016"/> wieder in sich zum Ausgleich zurückzukehren, so prägt Lessings Prosa <lb n="pwo_274.017"/> bald ihre scharfen Antithesen, bald ihre leiser umwendenden Korrekturen <lb n="pwo_274.018"/> des jedesmaligen Leitmotivs, bald wieder den doppelt wuchtigen <lb n="pwo_274.019"/> Gegensinn der Jronie, um je nach Umständen ausgleichend oder auflösend <lb n="pwo_274.020"/> zum Eingangsglied zurückzukehren. Man denke an Justs Abwägen <lb n="pwo_274.021"/> des guten Danzigers und der schlechten Mores, die der Wirt <lb n="pwo_274.022"/> besitzt: an den dreimaligen Refrän, nach jedem Trunk: „Herr <lb n="pwo_274.023"/> Wirt, Er ist doch ein Grobian!“ – bis er Trinken wie Reden zum <lb n="pwo_274.024"/> Abschluß bringt durch die auch im Sinne der künstlerischen Form abschließende <lb n="pwo_274.025"/> Wendung: „Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's <lb n="pwo_274.026"/> Jhm, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde <lb n="pwo_274.027"/> ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt; so guten Danziger <lb n="pwo_274.028"/> zu haben, und so schlechte Mores!“ Es ist nicht anders, als folgte <lb n="pwo_274.029"/> auf mehrere Stollen der Abgesang.</p> <lb n="pwo_274.030"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [274/0288]
pwo_274.001
Stehen doch die glühenden Ergüsse eines Werther freien Rhythmen pwo_274.002
prinzipiell nicht fern, und auch im weiteren Umfang spricht man pwo_274.003
angesichts der Goetheschen Prosa von rhythmischer Bewegung, wie sie pwo_274.004
eben künstlerisch beflügelt ist.
pwo_274.005
Mit unverkennbarer inneren Gesetzmäßigkeit bildet aber Lessing pwo_274.006
sogar die Sprache des lebendigen, dramatischen Dialogs künstlerisch pwo_274.007
aus. Seine wesentlichsten Stilmittel sind geflissentliche Wiederholungen, pwo_274.008
Korrekturen, Antithesen, Jronie. Was ist die Wiederholung, pwo_274.009
die Um- und Umwendung jedes wesentlichen Begriffes anders als ein pwo_274.010
Streben nach Harmonie, wie sie der Wiederkehr desselben Versmaßes, pwo_274.011
gleichsam der Abstimmung auf einen Ton, wie sie auch dem pwo_274.012
Gleichklang des Reims zugrunde liegt? Kehren doch in Lessings pwo_274.013
Meisterdramen einzelne Wendungen ganze Scenen hindurch refränartig pwo_274.014
wieder. Und wie Satz und Gegensatz, Aufgesang und Abgesang pwo_274.015
sich entgegentreten, wie die Harmonie sich in Disharmonie auflöst, um pwo_274.016
wieder in sich zum Ausgleich zurückzukehren, so prägt Lessings Prosa pwo_274.017
bald ihre scharfen Antithesen, bald ihre leiser umwendenden Korrekturen pwo_274.018
des jedesmaligen Leitmotivs, bald wieder den doppelt wuchtigen pwo_274.019
Gegensinn der Jronie, um je nach Umständen ausgleichend oder auflösend pwo_274.020
zum Eingangsglied zurückzukehren. Man denke an Justs Abwägen pwo_274.021
des guten Danzigers und der schlechten Mores, die der Wirt pwo_274.022
besitzt: an den dreimaligen Refrän, nach jedem Trunk: „Herr pwo_274.023
Wirt, Er ist doch ein Grobian!“ – bis er Trinken wie Reden zum pwo_274.024
Abschluß bringt durch die auch im Sinne der künstlerischen Form abschließende pwo_274.025
Wendung: „Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's pwo_274.026
Jhm, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde pwo_274.027
ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt; so guten Danziger pwo_274.028
zu haben, und so schlechte Mores!“ Es ist nicht anders, als folgte pwo_274.029
auf mehrere Stollen der Abgesang.
pwo_274.030
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |