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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Emmy an Charlotte.

Deine Strenge erregte mir keine Besorgniß, aber, zu meiner eignen Beschämung, die Beichte, welche dieser Brief enthalten wird. Unaufrichtigkeit ist die nutzloseste Sache von der Welt, denn es kommt immer einmal eine Zeit, wo man, halb wider Willen, wahr sein muß, und dann gewinnt das an sich Unbedeutende Bedeutung. R. ist hier; als er mir vorgestellt wurde, wie ich vermuthe, mehr der Form wegen, flog ein seltsames Lächeln um seine Lippen: Ich war früher so glücklich, sagte er, mit einer sehr höflichen Verbeugung. -- Ja, ich habe ihn früher gesehn und verschwieg es dir, weil die Erinnerung für mich beschämend, schmerzlich, kurz Alles ist, wovon man gern den Blick abwendet. -- Ich wurde mit ihm bekannt in der ewig unvergeßlichen, glückseligen Zeit, als der kleine Haushalt meines Bruders unter meiner Leitung stand. Es war die seltsamste Wirthschaft von der Welt; den Jahren nach, im ganzen Hause kein verständiger Mensch. Ich mit siebzehn Jahren die Wirthin, Ludwig mit siebenundzwanzig Jahren der Wirth, und dazu fortwährend Besuche von allen seinen Universitätsfreunden, denen es unter solchen Umständen außerordentlich wohl bei uns gefiel. Auch ging Alles sehr gut von Statten, Ludwig's eigenthümliche Art zu sein und meine sorglose Fröhlichkeit paßten vortrefflich zusammen. -- Da kam R. unerwartet, aber nicht unerwünscht. --

Ich war allein zu Hause, der Bediente meldete

Emmy an Charlotte.

Deine Strenge erregte mir keine Besorgniß, aber, zu meiner eignen Beschämung, die Beichte, welche dieser Brief enthalten wird. Unaufrichtigkeit ist die nutzloseste Sache von der Welt, denn es kommt immer einmal eine Zeit, wo man, halb wider Willen, wahr sein muß, und dann gewinnt das an sich Unbedeutende Bedeutung. R. ist hier; als er mir vorgestellt wurde, wie ich vermuthe, mehr der Form wegen, flog ein seltsames Lächeln um seine Lippen: Ich war früher so glücklich, sagte er, mit einer sehr höflichen Verbeugung. — Ja, ich habe ihn früher gesehn und verschwieg es dir, weil die Erinnerung für mich beschämend, schmerzlich, kurz Alles ist, wovon man gern den Blick abwendet. — Ich wurde mit ihm bekannt in der ewig unvergeßlichen, glückseligen Zeit, als der kleine Haushalt meines Bruders unter meiner Leitung stand. Es war die seltsamste Wirthschaft von der Welt; den Jahren nach, im ganzen Hause kein verständiger Mensch. Ich mit siebzehn Jahren die Wirthin, Ludwig mit siebenundzwanzig Jahren der Wirth, und dazu fortwährend Besuche von allen seinen Universitätsfreunden, denen es unter solchen Umständen außerordentlich wohl bei uns gefiel. Auch ging Alles sehr gut von Statten, Ludwig's eigenthümliche Art zu sein und meine sorglose Fröhlichkeit paßten vortrefflich zusammen. — Da kam R. unerwartet, aber nicht unerwünscht. —

Ich war allein zu Hause, der Bediente meldete

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[0023] Emmy an Charlotte. Deine Strenge erregte mir keine Besorgniß, aber, zu meiner eignen Beschämung, die Beichte, welche dieser Brief enthalten wird. Unaufrichtigkeit ist die nutzloseste Sache von der Welt, denn es kommt immer einmal eine Zeit, wo man, halb wider Willen, wahr sein muß, und dann gewinnt das an sich Unbedeutende Bedeutung. R. ist hier; als er mir vorgestellt wurde, wie ich vermuthe, mehr der Form wegen, flog ein seltsames Lächeln um seine Lippen: Ich war früher so glücklich, sagte er, mit einer sehr höflichen Verbeugung. — Ja, ich habe ihn früher gesehn und verschwieg es dir, weil die Erinnerung für mich beschämend, schmerzlich, kurz Alles ist, wovon man gern den Blick abwendet. — Ich wurde mit ihm bekannt in der ewig unvergeßlichen, glückseligen Zeit, als der kleine Haushalt meines Bruders unter meiner Leitung stand. Es war die seltsamste Wirthschaft von der Welt; den Jahren nach, im ganzen Hause kein verständiger Mensch. Ich mit siebzehn Jahren die Wirthin, Ludwig mit siebenundzwanzig Jahren der Wirth, und dazu fortwährend Besuche von allen seinen Universitätsfreunden, denen es unter solchen Umständen außerordentlich wohl bei uns gefiel. Auch ging Alles sehr gut von Statten, Ludwig's eigenthümliche Art zu sein und meine sorglose Fröhlichkeit paßten vortrefflich zusammen. — Da kam R. unerwartet, aber nicht unerwünscht. — Ich war allein zu Hause, der Bediente meldete

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/23>, abgerufen am 23.11.2024.