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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Widerwärtiges in allen Beziehungen länger zu ertragen, fragte ich Victor eines Tages, als er, allein sich mit mir befindend, eine unfreundliche Antwort gab: Was hast du eigentlich, Victor? -- Mir schlug das Herz ein wenig, aber ich hielt seinen Blick aus, als er kalt fragte: Verlangst du es ernstlich zu wissen? -- Ja, ich wünsche es. Er zog die Achseln und ging, da nannte ich seinen Namen mit tiefem, herzlichem Gefühl. Augenblicklich drehte er den Kopf mit einem eignen Ausdruck zu mir hin. -- Geh nicht fort, Victor, wir wollen uns gegen einander erklären. -- Schweigend lehnte er in eine Fenstervertiefung und sah mich erwartungsvoll an. Hätte er nur ein Wort gesagt! sein Stillschweigen verbesserte meine Lage gar nicht. Du zürnst mir, hub ich nach einer Weile mühsam an, und ich gestehe, daß du einigen Grund dazu haben magst, aber auch du trägst bei dieser Veranlassung einen Theil der Schuld. -- Ich hoffte, die Ungerechtigkeit des Vorwurfes werde ihn zu einer Widerlegung veranlassen, aber er sah mich nur schweigend und durchdringend an. Ich seufzte tief aus, was sollte ich beginnen? mich noch tiefer demüthigen? dazu empfand ich nicht die mindeste Neigung, und so faßte ich einen kühnen Entschluß und sagte so ruhig wie möglich: Wenn es mir nur daran läge, mich augenblicklich mit dir zu versöhnen, dann würde Nichts leichter sein; ich dürfte dir nur einige zärtliche Worte sagen, einige erwünschte Versprechungen geben, und du würdest nicht unerbittlich sein. -- Er versuchte es, mich

Widerwärtiges in allen Beziehungen länger zu ertragen, fragte ich Victor eines Tages, als er, allein sich mit mir befindend, eine unfreundliche Antwort gab: Was hast du eigentlich, Victor? — Mir schlug das Herz ein wenig, aber ich hielt seinen Blick aus, als er kalt fragte: Verlangst du es ernstlich zu wissen? — Ja, ich wünsche es. Er zog die Achseln und ging, da nannte ich seinen Namen mit tiefem, herzlichem Gefühl. Augenblicklich drehte er den Kopf mit einem eignen Ausdruck zu mir hin. — Geh nicht fort, Victor, wir wollen uns gegen einander erklären. — Schweigend lehnte er in eine Fenstervertiefung und sah mich erwartungsvoll an. Hätte er nur ein Wort gesagt! sein Stillschweigen verbesserte meine Lage gar nicht. Du zürnst mir, hub ich nach einer Weile mühsam an, und ich gestehe, daß du einigen Grund dazu haben magst, aber auch du trägst bei dieser Veranlassung einen Theil der Schuld. — Ich hoffte, die Ungerechtigkeit des Vorwurfes werde ihn zu einer Widerlegung veranlassen, aber er sah mich nur schweigend und durchdringend an. Ich seufzte tief aus, was sollte ich beginnen? mich noch tiefer demüthigen? dazu empfand ich nicht die mindeste Neigung, und so faßte ich einen kühnen Entschluß und sagte so ruhig wie möglich: Wenn es mir nur daran läge, mich augenblicklich mit dir zu versöhnen, dann würde Nichts leichter sein; ich dürfte dir nur einige zärtliche Worte sagen, einige erwünschte Versprechungen geben, und du würdest nicht unerbittlich sein. — Er versuchte es, mich

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[0030] Widerwärtiges in allen Beziehungen länger zu ertragen, fragte ich Victor eines Tages, als er, allein sich mit mir befindend, eine unfreundliche Antwort gab: Was hast du eigentlich, Victor? — Mir schlug das Herz ein wenig, aber ich hielt seinen Blick aus, als er kalt fragte: Verlangst du es ernstlich zu wissen? — Ja, ich wünsche es. Er zog die Achseln und ging, da nannte ich seinen Namen mit tiefem, herzlichem Gefühl. Augenblicklich drehte er den Kopf mit einem eignen Ausdruck zu mir hin. — Geh nicht fort, Victor, wir wollen uns gegen einander erklären. — Schweigend lehnte er in eine Fenstervertiefung und sah mich erwartungsvoll an. Hätte er nur ein Wort gesagt! sein Stillschweigen verbesserte meine Lage gar nicht. Du zürnst mir, hub ich nach einer Weile mühsam an, und ich gestehe, daß du einigen Grund dazu haben magst, aber auch du trägst bei dieser Veranlassung einen Theil der Schuld. — Ich hoffte, die Ungerechtigkeit des Vorwurfes werde ihn zu einer Widerlegung veranlassen, aber er sah mich nur schweigend und durchdringend an. Ich seufzte tief aus, was sollte ich beginnen? mich noch tiefer demüthigen? dazu empfand ich nicht die mindeste Neigung, und so faßte ich einen kühnen Entschluß und sagte so ruhig wie möglich: Wenn es mir nur daran läge, mich augenblicklich mit dir zu versöhnen, dann würde Nichts leichter sein; ich dürfte dir nur einige zärtliche Worte sagen, einige erwünschte Versprechungen geben, und du würdest nicht unerbittlich sein. — Er versuchte es, mich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/30>, abgerufen am 03.12.2024.